Die Bilder verblaßten, und die polierte Fläche des grünen Steins wurde wieder sichtbar.
Danach traten die beiden in der goldglänzenden Kleidung zur Seite, und das zweite Paar nahm ihren Platz ein. Mit einer schnellen Bewegung warfen sie die Umhänge ab, und auf dem perlmuttfarbenen Hintergrund der Wände spiegelten sich die dunkelroten halbentblößten Körper. Der Mann streckte der Frau beide Hände entgegen; sie antwortete ihm mit einem so strahlenden Lächeln, daß die Erdenbewohner unwillkürlich ebenfalls lächelten. Die beiden begannen einen langsamen Tanz. Eigentlich war es kein Tanz, sondern eher ein rhythmisches Posieren. Die Tanzenden wollten offenbar die Vollkommenheit und Schönheit, die plastische Geschmeidigkeit ihrer Körper zeigen. Bei der rhythmischen Folge der Bewegungen vermeinte man eine majestätische und gleichzeitig melancholische Musik zu spüren.
Mwen Mass schien es, als höre er eine Melodie: eine Kadenz glockenreiner hoher Töne über dem gemessenen Rhythmus eines dröhnenden Basses. Weda Kong preßte Dar Weters Hand, doch er bemerkte es gar nicht. Mit angehaltenem Atem starrte Yuni Ant auf die Szene, und Schweißtropfen traten ihm auf die Stirn.
Die Wesen des Tukans waren den Erdenmenschen so ähnlich, daß sich der Eindruck einer fremden Welt allmählich verlor. Ihre Körper jedoch waren von so vollendeter Schönheit, wie sie auf der Erde nur selten existierte und oft nur in den Träumen und Schöpfungen der Künstler lebte.
Je schwieriger und länger die Evolution bis zum ersten denkenden Wesen ist, desto schöner, desto zweckentsprechender sind die höchsten Formen des Lebens, dachte Dar Weter. Die Menschen haben längst begriffen, was Schönheit ist — die intuitiv erfaßte Zweckmäßigkeit der Struktur im Einklang mit einem bestimmten Ziel. Je vielseitiger die Bestimmung, desto schöner die Formen. Diese rothäutigen Wesen sind wahrscheinlich noch vielseitiger und geschickter als wir. Vielleicht hat sich in ihrer Zivilisation mehr der Mensch selbst, seine geistige und körperliche Kraft entwickelt und weniger dagegen die Technik. Unsere Kultur war lange Zeit vorwiegend auf Technik begründet, erst die Herausbildung der kommunistischen Gesellschaft hat zur Vervollkommnung des Menschen geführt und nicht nur seiner Maschinen, seiner Häuser, seiner Nahrung und seines Zeitvertreibs.
Der Tanz wurde unterbrochen. Die junge rothäutige Frau trat in die Mitte des Saals, und die Fernsehkamera konzentrierte sich auf sie allein. Ihre ausgebreiteten Arme und das Gesicht waren der Saaldecke zugewandt.
Unwillkürlich folgten die Augen der Erdenbewohner ihrem Blick. Entweder hatte der Saal überhaupt keine Decke, oder aber der Sternenhimmel mit den klaren, großen Sternen war eine geschickte optische Täuschung; höchstwahrscheinlich war es jedoch nur eine Darstellung. Die Anordnung der Gestirne rief keine Assoziationen hervor. Das junge Mädchen bewegte die Hand, und an ihrem linken Zeigefinger blitzte eine kleine blaue Kugel auf. Daraus schoß ein silbriger Strahl hervor, ein riesiger Zeigestab. Der runde leuchtende Punkt an der Spitze des Strahls verweilte bald auf dem einen, bald auf dem anderen Stern an der Decke. Gleichzeitig breitete sich auf der smaragdenen Wand ein langgestrecktes Panorama aus. Langsam wanderte die Spitze des Strahls, und ebenso langsam zogen die Bilder unbewohnter oder besiedelter Planeten vorüber. In bedrückender Trostlosigkeit leuchteten steinerne oder sandige Weiten unter roten, blauen, violetten oder gelben Sonnen. Die Strahlen einer merkwürdig bleigrauen Sonne hatten auf ihren Planeten kuppel- und spiralförmige Lebewesen erzeugt, die Medusen gleich in einer orangefarbenen Atmosphäre oder in einem Ozean schwammen. In der Welt einer roten Sonne wuchsen unvorstellbar hohe Bäume mit schlüpfrig schwarzer Rinde. Sie reckten wie in auswegloser Verzweiflung Myriaden krummer Zweige in die Höhe. Andere Planeten waren dagegen völlig von dunklem, trübem Wasser überflutet. Auf der ruhigen Wasserfläche schwammen riesige Inseln aus Tieren oder Pflanzen, die unzählige wollige Fühler regten.
„In ihrer Nähe gibt es keine Planeten mit höheren Lebensformen“, sagte plötzlich Yuni Ant, der unverwandt die Bilder des unbekannten Sternenhimmels verfolgt hatte.
„Doch“, widersprach Dar Weter, „nicht weit von ihnen liegt ein flaches Sternsystem, einer der letzten Ausläufer der Galaxis. Wir wissen aber, daß flache und sphärische Systeme, neue und alte, einander nicht selten ablösen. Zum Sternbild des Eridanus zu existiert ein System mit denkenden Lebewesen, das zum Ring gehört.“
„WWR-4955 + MD 3529 und so weiter“, warf Mwen Mass ein. „Weshalb wissen sie aber nichts davon?“
„Das System hat sich vor zweihundertfünfundsiebzig Jahren dem Großen Ring angeschlossen, und dieser Bericht ist schon vor dieser Zeit gesendet worden“, antwortete Dar Weter. Das rothäutige Mädchen aus der fernen Welt streifte die kleine blaue Kugel vom Finger und wandte sich mit ausgebreiteten Armen den Zuschauern zu, als wollte sie jemand umarmen. Sie bog Kopf und Schultern leicht zurück. Die halbgeöffneten Lippen bewegten sich, formten unhörbare Worte. So erstarrte sie, während sie ihren flammenden Appell an die Mitmenschen, die denkenden Wesen anderer Welten, in die eisige Finsternis des Kosmos hinausschleuderte.
Und wieder nahm ihre strahlende Schönheit die Menschen gefangen. Auf ihrem Antlitz lag nicht die gemeißelte bronzene Strenge der rothäutigen Erdenbewohner; das runde Gesicht mit der kleinen Nase, den großen, weit auseinanderstehenden blauen Augen und dem kleinen Mund erinnerte eher an die nördlichen Völker der Erde. Auch das schwarze wellige Haar war nicht hart und strähnig. Jede Linie des ebenmäßigen Gesichts und Körpers drückte beschwingte Zuversicht aus.
„Sollten sie wirklich vom Großen Ring nichts wissen?“ flüsterte Weda Kong, völlig gebannt von der Anmut ihrer schönen Schwester aus dem Kosmos.
„Jetzt wissen sie sicherlich davon“, gab Dar Weter zurück. „Denn das, was wir heute sehen, geschah vor dreihundert Jahren.“
„Achtundachtzig Parsek“, brummte Mwen Mass mit tiefer Stimme. „Achtundachtzig. Alle, die wir gesehen haben, sind längst tot!“
Und wie zur Bestätigung seiner Worte verschwand das Bild aus der wunderbaren Welt, erlosch auch das magische Auge, das die Verbindung anzeigte. Die Sendung über den Großen Ring war beendet.
Eine Weile saßen alle wie versteinert. Als erster faßte sich Dar Weter. Verdrossen biß er sich auf die Lippen und schaltete hastig die Geräte aus. Bevor die Säule der gelenkten Energie abgeschaltet wurde, ertönte ein tiefes, ehernes Dröhnen, das die Ingenieure der Kraftwerke aufforderte, den mächtigen Strom wieder in seine altgewohnten Kanäle zurückzuleiten. Erst nachdem Dar Weter alle Operationen ausgeführt hatte, wandte er sich seinen Gefährten zu.
Mit hochgezogenen Brauen überflog Yuni Ant die engbeschriebenen Blätter.
„Die Aufzeichnungen von der Sternkarte an der Saaldecke müssen sofort ins ›Institut für den südlichen Sternenhimmel‹ geschickt werden!“ erklärte er Dar Weters jungem Assistenten.
Der blickte Yuni verwundert an, als erwache er soeben aus einem ungewöhnlichen Traum.
Der strenge Gelehrte unterdrückte ein Lächeln — glich das Ganze nicht tatsächlich einem Traum von einer wunderschönen Welt? Einem Traum, den jetzt, nach drei Jahrhunderten, Milliarden von Menschen auf der Erde und in den Stationen des Mondes, des Mars und der Venus deutlich sehen würden.
„Sie hatten recht, Mwen Mass“, sagte Dar Weter lächelnd, „als Sie vor Beginn der Sendung erklärten, heute werde etwas Besonderes geschehen. Zum erstenmal in vierhundert Jahren, seit Bestehen des Großen Rings, empfingen wir aus dem Weltall das Bild eines Planeten, dessen Bewohner nicht nur dem Verstand, sondern auch der Körperbildung nach unsere Brüder sind. Meine Freude über diese Entdeckung ist unbeschreiblich. Ihr Dienst hat gut angefangen. Früher hätten die Menschen das als gutes Vorzeichen angesehen. Wie nennen es doch gleich unsere Psychologen? Ein Zusammentreffen von Umständen, das Zuversicht und Enthusiasmus für die künftige Arbeit stärkt.“