„Sie haben ihn getötet!“ rief Weda vorwurfsvoll.
„Wohl kaum, die Erde ist ja trocken“, versetzte Dar Weter mit einem schlauen Lächeln.
Und schon knurrte der Stier schwach, erhob sich und rannte, ohne sich umzusehen, auf unsicheren Beinen davon. Die beiden Forscher kehrten zum Feuer zurück und brachten mit einem Armvoll Reisig die fast erloschenen Flammen wieder zum Auflodern.
„Mir ist nicht mehr kalt“, sagte Weda. „Gehen wir auf den Hügel!“
Das Feuer wurde von der Spitze des Hügels verdeckt, die blassen Sterne des nördlichen Sommerhimmels verschwammen am Horizont zu kleinen Kugeln.
Im Westen war überhaupt nichts zu sehen, im Norden, auf den Abhängen der Berge, schimmerte eine Kette von Feuern; im Süden, weit entfernt, leuchtete der Stern eines Beobachtungsturms der Viehzüchter.
„Das ist sinnlos, wir müßten die ganze Nacht hindurch laufen“, murmelte Dar Weter.
„Nein, nein, schauen Sie doch mal!“ Und Weda zeigte nach Osten, wo plötzlich vier Lichter aufleuchteten, wie Eckpunkte eines Quadrats. Bis dorthin waren es nur ein paar Kilometer. Sie prägten sich die Richtung nach den Sternen ein und gingen wieder zum Feuer hinunter. Weda blieb vor den schwach züngelnden Flammen stehen, als wolle sie sich an etwas erinnern. „Leb wohl, mein Haus!“ sagte sie nachdenklich. „Wahrscheinlich haben die Nomaden immer solche Unterkünfte gehabt — behelfsmäßig und vorübergehend. Ich kam mir heute wie eine Frau aus jener Zeit vor.“
Sie drehte sich zu Dar Weter um und legte ihm vertraulich den Arm um die Schulter.
„Ich brauche heute Schutz. Nicht daß ich Angst gehabt hätte, nein, aber so etwas wie eine verführerische Ergebenheit vor der Macht des Schicksals scheint mir…“
Weda verschränkte die Hände im Nacken und dehnte ihren geschmeidigen Körper. Dann sah sie Dar Weter übermütig an.
„Also los, übernehmen Sie die Führung… mein Held!“ Ihre tiefe Stimme klang geheimnisvoll und zärtlich.
Die vom Duft der Gräser geschwängerte, dämmrige Nacht war erfüllt vom Geraschel der wilden Tiere und vom Schreien der Nachtvögel. Weda und Dar Weter schritten vorsichtig aus, um nicht in ein Loch oder eine Erdspalte zu geraten. Die rispenförmigen Halme des Steppengrases streiften ihre Knöchel. Sobald dunkles Strauchwerk auftauchte, blieb Dar Weter stehen und hielt sorgfältig Umschau.
Weda lachte leise.
„Vielleicht hätten wir den Akku und das Kabel mitnehmen sollen?“
„Sie sind ja leichtsinnig, Weda“, sagte Dar Weter gutmütig. „Das hätte ich von Ihnen nicht gedacht.“
Die junge Frau wurde plötzlich ernst.
„Ich fühlte mich heute so ganz in Ihrem Schutz.“
Und dann sprach Weda über die nächsten Aufgaben ihrer Expedition. Die erste Etappe der Ausgrabungen in der Steppe war beendet, Wedas Mitarbeiter kehrten zu ihrer früheren Beschäftigung zurück oder suchten sich eine neue. Dar Weter aber hatte sich noch für keine neue Arbeit entschieden. Noch war er frei und konnte wählen. Nach allem, was sie gehört hatten, war Mwen Mass durchaus erfolgreich. Auch wenn das nicht der Fall gewesen wäre, würde der Rat Dar Weter nicht so schnell wieder jenen Posten übertragen. Im Zeitalter des Großen Rings hielt man es nicht für nutzbringend, wenn jemand lange Zeit ein und dieselbe Arbeit tat. Das Wertvollste, die schöpferische Eingebung, würde nachlassen. Erst nach einer längeren Unterbrechung konnte man wieder an seinen alten Arbeitsplatz zurückkehren.
„Kam Ihnen unsere Arbeit nicht nebensächlich und eintönig vor, nachdem Sie doch nun sechs Jahre an den Kosmos gewöhnt waren?“ Weda sah forschend in sein Gesicht.
„Ihre Arbeit ist durchaus nicht nebensächlich und eintönig“, entgegnete Dar Weter, „doch gibt sie mir nicht die Spannung, die ich gewohnt bin. Dafür fühle ich mich in bester Laune und bin so ausgeglichen, als würde ich mit hellblauen Träumen behandelt.“
„Mit hellblauen?“ fragte Weda zurück, und ihr stockender Atem sagte Dar Weter mehr, als es die im Dunkeln unsichtbare Röte ihrer Wangen getan hätte. „Als nächstes untersuche ich eine alte Höhle“, fuhr sie rasch fort, „aber nicht eher, als bis sich wieder ein Freiwilligentrupp mit Archäologen zusammengefunden hat. In der Zwischenzeit nehme ich an Ausgrabungen im Meer teil — Kollegen haben mich dazu eingeladen.“
Dar Weter hatte sie verstanden, und sein Herz klopfte vor freudiger Erregung. Doch er beherrschte sich und fragte ruhig: „Sie meinen die Ausgrabungen der versunkenen Stadt südlich von Sizilien? Im Atlantis-Palast habe ich phantastische Dinge von dort gesehen.“
„Nein. Zur Zeit graben wir an den Küsten des östlichen Mittelmeers, des Roten Meers und Indiens. Wir suchen nach erhalten gebliebenen Kulturschätzen, angefangen bei der kretisch-indischen Kultur bis zum Beginn des Dunklen Zeitalters.“
„Ach, nach dem, was man versteckte oder häufiger einfach ins Meer warf, als die Inseln der Zivilisation unter dem Ansturm der ungestümen frischen Kräfte der Barbaren untergingen. Ich verstehe“, sagte nachdenklich Dar Weter, während seine Augen weiterhin aufmerksam die dämmerige Ebene absuchten. „Ich verstehe auch die Zerstörung der alten Kultur, als die antiken Staaten, einst stark durch ihre Naturnähe, nicht imstande waren, die Welt zu verändern und mit der abscheulichen Sklaverei und ihrer parasitären Oberschicht fertig zu werden.“
„Und dann wurde die antike Sklaverei durch den Feudalismus und die religiöse Finsternis des Mittelalters abgelöst“, setzte Weda fort. „Aber was ist Ihnen noch unklar?“
„Ich kann mir unter dem Begriff kretisch-indische Kultur kaum etwas vorstellen.“
„Sie kennen also die neuesten Forschungsergebnisse noch nicht! Spuren dieser Kultur wurden in dem ausgedehnten Gebiet von Amerika über Kreta, das südliche Zentralasien und Nordindien bis nach Westchina gefunden.“
„Ich hätte nie gedacht, daß es in so alter Zeit bereits Verstecke für Kunstschätze gab, wie wir sie von Karthago, Griechenland oder Rom kennen.“
„Fahren Sie mit mir, und Sie werden es sehen“, sagte Weda leise.
Dar Weter ging eine Weile stumm neben ihr her. Sie kletterten auf einen sanft ansteigenden Hügel. Auf der Spitze blieb Dar Weter plötzlich stehen.
„Ich danke für die Einladung. Ich fahre mit.“
Weda sah ihn ein wenig ungläubig an, doch in der nächtlichen Dämmerung waren die Augen ihres Begleiters schwarz und undurchdringlich.
Auf dem Hügel stellten sie fest, daß sie den Lichtern schon sehr nahe waren. Die Lampen in den polarisierenden Glocken zerstreuten das Licht nicht und schienen deshalb weiter entfernt. Die konzentrische Beleuchtung ließ erkennen, daß hier nachts gearbeitet wurde. Immer stärker wurde das Heulen der Hochspannung. Die Konturen eines Zauns schimmerten silbrig im bläulichen Licht der hochhängenden Lampen. Sirenengeheul veranlaßte die beiden stehenzubleiben — der automatische Wächter war in Tätigkeit getreten.
„Vorsicht! Links halten! Kommen Sie den Pfählen nicht zu nahe!“ brüllte ein unsichtbarer Lautsprecher. Gehorsam schritten sie auf die fahrbaren weißen Häuschen zu.
„Blicken Sie nicht zu dem Feld hinüber!“ fuhr der fürsorgliche Automat fort.
In zwei der Häuschen gingen gleichzeitig die Türen auf, zwei Lichtkegel kreuzten sich auf dem dunklen Weg. Freudig begrüßten mehrere Männer und Frauen die Forscher und zeigten sich über ihre — zumal bei Nacht — unvollkommene Art der Fortbewegung höchst verwundert.
In engen Kabinen erfrischten sich die beiden Reisenden unter einer Dusche von aromatischem Wasser, das mit Kohlensäure und Elektrizität angereichert war, und ließen sich anschließend mit punktförmigen elektrischen Entladungen massieren.
Zum Essen trafen sie sich dann wieder.
„Stellen Sie sich vor, Dar, wir sind bei Kollegen zu Gast!“
Weda goß ein goldgelbes Getränk in schmale Gläser, die sofort beschlugen.