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„Hier läßt sich’s leben!“ sagte Dar Weter fröhlich und langte nach seinem Glas.

„Bezwinger des Stiers, Sie sind in der Steppe verwildert“, protestierte Weda. „Ich erzähle Ihnen eine interessante Neuigkeit, Sie aber denken nur an Essen und Trinken.“

„Hier Ausgrabungen?“ meinte Dar Weter zweifelnd.

„Ja, aber keine archäologischen, sondern paläontologische. Sie untersuchen die fossile Fauna des Perms — zweihundert Millionen Jahre sind seitdem vergangen. Dagegen komme ich mir mit unseren wenigen Jahrtausenden erbärmlich vor.“

„Sie untersuchen, ohne erst zu graben? Wie ist denn das möglich?“

„Ja. Aber wie sie das machen, habe ich noch nicht erfahren können.“

Ein hagerer gelbhäutiger Mann, der mit ihnen am Tisch saß, mischte sich ins Gespräch: „Unsere Gruppe löst jetzt eine andere ab. Die Vorbereitungsarbeiten sind abgeschlossen, und wir beginnen jetzt mit der Durchleuchtung.“

„Mit elektromagnetischer Strahlung?“ fragte Dar Weter.

„Ja. Wenn Sie nicht zu müde sind, sehen Sie sich das an. Morgen werden wir schon wieder an einem anderen Ort arbeiten, aber dort ist es wenig interessant.“

Weda und Dar Weter stimmten erfreut zu. Ihre freundlichen Gastgeber standen vom Tisch auf und führten sie in das Haus nebenan. Dort hingen mehrere Schutzanzüge, jeweils in Nischen mit einem Geigerzähler darüber.

„Die Ionisation unserer großen Röhren ist sehr stark“, sagte, leicht entschuldigend, eine etwas gebeugte Frau, die Weda in den dichtgewebten Anzug und den durchsichtigen Helm half und die Taschen mit den Batterien auf ihrem Rücken befestigte.

In dem polarisierten Licht zeichnete sich jede kleine Erhebung in dem hügeligen Steppengelände unnatürlich deutlich ab. Hinter dem dünnen Zaun, der um ein quadratisches Feld gezogen war, ertönte dumpfer Lärm. Die Erde hob sich und riß auf zu einem Trichter, aus dem ein spitz zulaufender glänzender Zylinder auftauchte. Um seine polierte Wandung ringelte sich ein Spiralkamm, und an seinem Vorderende drehte sich eine komplizierte Elektrofräse aus bläulichem Metall. Der Zylinder schlängelte sich über den Trichterrand hinweg und grub sich wenige Meter entfernt mit der blanken Spitze fast senkrecht wieder in den Boden, wobei die Schaufeln an seinem hinteren Ende nur kurze Zeit sichtbar waren.

Der Zylinder zog zwei Kabel hinter sich her, ein isoliertes und ein blankes. Weda berührte Dar Weters Arm und zeigte auf einen Punkt jenseits des Magnesiumzauns. Dort wand sich ein zweiter, ebensolcher Zylinder aus dem Erdreich, schlängelte sich nach links und tauchte nach wenigen Metern wieder in den Boden wie in Wasser.

Ihr gelbhäutiger Begleiter forderte sie durch ein Zeichen zur Eile auf.

„Jetzt weiß ich, wer das ist“, flüsterte Weda, während sie der vorausgegangenen Gruppe nacheilten. „Das ist Ljau Lan, der Paläontologe. Er hat das Rätsel um die Besiedlung des asiatischen Festlandes im Paläozoikum gelöst.“

„Er ist chinesischer Abstammung?“ fragte Dar Weter und dachte an den dunklen Blick der schräggestellten Augen des Wissenschaftlers. „Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich seine Arbeiten nicht kenne.“

„Ich sehe schon, Sie haben wenig Ahnung von der Paläontologie unseres Planeten“, entgegnete Weda. „In der Paläontologie anderer Welten kennen Sie sich wahrscheinlich besser aus.“

In Gedanken zogen an Dar Weter unzählige Formen des Lebens vorüber: Millionen eigenartiger Skelette in den Gesteinsschichten der verschiedenen Planeten — Zeugnisse vergangener Zeiten, die in den Ablagerungen jedes bewohnten Planeten verborgen sind. Zeugnisse, von der Natur selbst geschaffen und so lange von ihr versteckt gehalten, bis ein denkendes Wesen sich ihrer erinnert und aus ihnen Vergessenes rekonstruierte.

Sie stiegen auf eine kleine Plattform, die sich an einen stark gewölbten Bogen anschloß. In der Mitte der Fläche befand sich eine große Mattscheibe. Alle acht setzten sich in stummer Erwartung auf die niedrigen Bänke vor dem Bildschirm.

„Gleich sind die ›Maulwürfe‹ mit ihrem Werk fertig“, erklärte Ljau Lan. „Wie Sie sicherlich schon erraten haben, ziehen sie das blanke Kabel durch die Gesteinsschichten und weben ein metallenes Netz. In vierzehn Meter Tiefe lagern die Skelette der ausgestorbenen Tiere in porösem Sandstein. Drei Meter darunter, also in siebzehn Meter Tiefe, ist die gesamte Fläche von dem Metallnetz durchzogen, das an starke Induktoren angeschlossen ist. So entsteht ein reflektierendes Feld, das Röntgenstrahlen auf die Mattscheibe wirft. Auf ihr werden dann die versteinerten Knochen sichtbar.“

Zwei große Metallkugeln drehten sich auf massiven Sockeln. Scheinwerfer flammten auf, und Sirenengeheul warnte vor der Gefahr. Gleichstrom mit einer Spannung von einer Million Volt ließ alle Anschlüsse, Isolatoren und Freileitungen bläulich aufleuchten.

Scheinbar achtlos bediente Ljau Lan die Schalter und Hebel an der Schalttafel. Die große Mattscheibe wurde immer heller. Verschwommene Konturen zogen langsam auf ihr vorüber. Plötzlich stockte die Bewegung, ein großer verschwimmender Fleck nahm fast die ganze Mattscheibe ein, doch dann wurden seine Umrisse zusehends schärfer.

Noch einige Handgriffe an der Schalttafel, und den Zuschauern zeigte sich matt beleuchtet das Skelett eines unbekannten Tieres. Breite Tatzen mit Krallen krümmten sich unter dem Rumpf, der in einem langen gebogenen Schwanz endete. Besonders augenfällig waren die dicken, massiven Knochen. Die kräftigen Vorderzähne in dem geschlossenen Rachen lagen frei. Der Schädel wirkte von oben wie ein einziger mächtiger Knochen mit ungleichmäßiger, zerfurchter Oberfläche. Ljau Lan schaltete auf Vergrößerung um, und nun füllte der Kopf des vorsintflutlichen Reptils die ganze Mattscheibe aus. Vor ungefähr zweihundert Millionen Jahren hatte es hier an einem Fluß gelebt. Die Schädeldecke war mindestens zwanzig Zentimeter dick. Über den Augenhöhlen, ragten Knochenwülste vor. Ebensolche Vorsprünge schützten von oben die Schläfengruben und die Wölbungen der Schädelbögen. Auf dem hinteren Teil des Schädels war ein großer Kegel zu sehen, offensichtlich ein riesiges Scheitelauge. Ljau Lan seufzte tief auf vor Begeisterung.

Dar Weter wandte kein Auge von dem plumpen, schweren Skelett. Die zunehmende Muskelkraft hatte eine Verstärkung der Knochen bewirkt, die einer großen Belastung ausgesetzt waren, und das wiederum erforderte eine erneute Verstärkung der Muskeln. So führte die direkte Abhängigkeit in den urzeitlichen Organismen die Entwicklung der meisten Tiere in eine Sackgasse, so lange, bis wichtige physiologische Vervollkommnungen einen Ausweg geschaffen hatten und eine neue Evolutionsstufe erreichbar wurde. Daß sich solche Wesen unter den Vorfahren des Menschen mit seinem schönen und erstaunlich beweglichen Körper befanden, mutete ganz unwahrscheinlich an.

Die Abbildung auf der Mattscheibe war bereits durch eine andere abgelöst worden. Der breite parabolische Schädel eines Lurchs war zu erkennen, eines urweltlichen Salamanders, der einst im Permsumpf auf der Lauer gelegen hatte, bis etwas Freßbares in erreichbare Nähe kam. Dieser weitere Beweis für eine endlos lange und unerbittliche Entwicklung des Lebens bedrückte Dar Weter und machte ihn gleichzeitig gereizt. Ungeduldig richtete er sich auf, und Ljau Lan, der ihm seine Gemütsverfassung ansah, schlug vor, zurückzukehren und sich ein wenig auszuruhen. Nur mit großem Bedauern trennte sich die wißbegierige Weda vom Bildschirm, als sie sah, daß die Wissenschaftler die Geräte für Elektronenfotografie und synchrone Tonaufzeichnung einschalteten, um die gewaltige elektrische Energie nicht ungenutzt verströmen zu lassen.

Kurze Zeit darauf lag Weda schon im Gästezimmer auf einer breiten Couch. Dar Weter ging noch eine Weile auf dem glattgewalzten Platz vor dem Haus auf und ab, um die Eindrücke auf sich wirken zu lassen.

Der morgendliche Tau hatte das staubige Gras reingewaschen. Als Ljau Lan von der Nachtarbeit zurückkehrte, schlug er vor, die Gäste mit einer „Elfe“, einem kleinen akkumulatorbetriebenen Auto, zum nächsten Flughafen für springende Düsenflugzeuge zu bringen, knapp hundert Kilometer entfernt am Unterlauf des Trom-Jugan-Flusses. Weda bat, eine Verbindung zu ihrer Expedition herzustellen, aber die Paläontologengruppe verfügte über keinen Sender mit genügend großer Leistung. Seitdem die Menschen wußten, wie schädlich die elektromagnetische Strahlung ist, und ein strenges Regime eingeführt hatten, waren für Sendungen mit gelenkter Strahlung über große Entfernungen komplizierte technische Anlagen notwendig geworden. Außerdem gab es weit weniger Sendestationen. Ljau Lan wollte dem nächstgelegenen Beobachtungsturm der Viehzüchter eine Sendung durchgeben. Diese Türme standen durch Richtfunk miteinander in Verbindung und konnten der Zentralstation ihres Bezirks alles Gewünschte mitteilen. Die junge Praktikantin, die die Gäste begleiten sollte, um die „Elfe“ wieder zurückzubringen, schlug vor, unterwegs einen dieser Türme aufzusuchen. Dann könnten die Gäste selbst über Televisiofon ein Gespräch führen. Dar Weter und Weda stimmten erfreut zu. Die drei fanden kaum Platz in dem schmalen Dreisitzer; neben dem breiten Dar Weter saßen die beiden Frauen ziemlich eingezwängt. In der Ferne zeichnete sich undeutlich die schmale Silhouette eines Beobachtungsturms gegen den klaren blauen Himmel ab. Nach kurzer Zeit hielt die „Elfe“ dicht neben dem Turm. Die weit auseinandergestellten Metallstreben trugen ein Schutzdach aus Plast, unter dem ebenfalls eine „Elfe“ stand. Durch das Schutzdach gingen die Gleitschienen eines Aufzugs nach oben. Die winzige Kabine trug die drei nacheinander an der Wohnetage vorbei zur Turmspitze hinauf, wo sie ein braungebrannter junger Mann mit freiem Oberkörper begrüßte. Aus der plötzlichen Verlegenheit ihrer sonst keineswegs schüchternen Begleiterin schloß Weda, daß die Findigkeit der Paläontologin besondere Ursachen hatte.