„Also tauchen wir?“ Er zeigte auf den hellschimmernden Fleck in der Tiefe.
Miiko zog ihre von Natur aus gewölbten Augenbraunen noch mehr in die Höhe.
„Können Sie das denn? Das Wasser ist hier mindestens fünfundzwanzig Meter tief — nur erfahrene Taucher kommen da hinunter.“
„Ich werde es versuchen. Und Sie?“
Statt einer Antwort stand Miiko auf, sah sich suchend um, fand schließlich einen großen Stein, den sie zum Rand des Felsvorsprungs schleppte.
„Lassen Sie es mich erst einmal probieren, mit einem Stein. Das ist zwar gegen meine Grundsätze, aber wie mir scheint, hat das Wasser hier keine Strömung. Der Grund ist so klar.“
Das Mädchen hob die Arme, beugte den Rumpf und richtete sich wieder auf, wobei sich sich weit nach hinten bog. Aufmerksam verfolgte Dar Weter diese Atemübungen, um sie sich einzuprägen. Miiko sprach kein Wort mehr. Nach mehrmaligem Beugen und Aufrichten nahm sie den Stein und stürzte sich in die dunkle Tiefe.
Nachdem über eine Minute vergangen war und das mutige Mädchen nicht wieder auftauchte, verspürte Dar Weter bange Unruhe. Er suchte sich ebenfalls einen Stein als Ballast, meinte jedoch, einen größeren als Miiko zu brauchen. Gerade hatte er einen riesigen Andesitklumpen gefunden, als Miiko an der Oberfläche erschien. Das Mädchen atmete schwer und machte einen erschöpften Eindruck.
„Da… Da unten… ist ein… Pferd“, brachte sie mühsam hervor.
„Was für ein Pferd?“
— „Eine große Pferdestatue… da unten, in einer richtigen Nische. Ich tauche gleich noch mal hinab.“
„Aber das schaffen Sie doch nicht, Miiko! Lassen Sie uns zurückschwimmen und Tauchgeräte und ein Boot holen.“
„Nein! Ich will es ganz allein schaffen, und zwar jetzt gleich, ohne Geräte. Später können wir die anderen holen.“
„Dann komme ich mit!“ Dar Weter wollte seinen Stein aufheben. Miiko lächelte.
„Nehmen Sie den kleineren dort. Und wie steht’s mit der Atmung?“
Gehorsam machte Dar Weter ein paar Atemübungen und sprang dann mit dem Stein kopfüber ins Meer. Das Wasser klatschte ihm ins Gesicht, drehte ihn mit dem Rücken zu Miiko, preßte ihm die Brust zusammen und verursachte in den Ohren einen dumpfen Schmerz. Er biß die Zähne zusammen. Das kalte graue Halbdunkel wurde immer dichter, das Tageslicht verblaßte rasch. Die kalte, feindselige Macht der Tiefe bekam Gewalt über ihn, ihm schwindelte, die Augen schmerzten. Plötzlich legte sich Miikos feste Hand auf seine Schulter, und seine Füße berührten den silbern schimmernden festen Sandboden. Als er mühsam den Kopf in die von Miiko gewiesene Richtung drehte, wich er vor Überraschung zurück und ließ den Stein fallen — sofort wurde er nach oben gedrückt. Er wußte nicht, wie er an die Oberfläche gelangt war. Vor seinen Augen wogte ein roter Nebel. Krampfhaft schnappte er nach Luft.
Erst nach einer geraumen Zeit hatte er sich von dem starken Wasserdruck erholt und erinnerte sich, was er gesehen hatte. Nur ein Augenblick war es gewesen, aber wie viele Einzelheiten hatte das Auge wahrgenommen und das Gehirn sich eingeprägt!
Die dunklen Felsen unter Wasser bildeten einen gigantischen Spitzbogen, unter dem eine riesige Pferdestatue stand. Keine einzige Alge oder Muschel haftete an der glattpolierten Oberfläche der Statue. Der unbekannte Bildhauer hatte vor allem die Kraft des Tieres zum Ausdruck bringen wollen. Der vordere Teil des Rumpfes war stark vergrößert, die Brust übermäßig verbreitert und der vorgereckte Hals langgezogen. Das linke Vorderbein war angehoben, sein mächtiger Huf drohend auf die Brust des Betrachters gerichtet. Die Mähne war durch eine gezackte Kurve angedeutet, der Kopf bohrte sich fast in den Bug, die Augen unter der gesenkten Stirn hatten etwas Unheimliches, und auch die angelegten kleinen Ohren unterstrichen den bösartigen Ausdruck des steinernen Ungeheuers.
Nachdem Miiko nach Dar Weter gesehen hatte, der ausgestreckt auf dem flachen Felsvorsprung lag, tauchte sie nochmals. Schließlich war das Mädchen vom tiefen Tauchen erschöpft und hatte sich an ihrem Fund satt gesehen. Sie setzte sich neben Dar Weter und schwieg lange, bis sie wieder normal atmen konnte.
„Ich möchte wissen, wie alt diese Statue ist“, sagte Miiko nachdenklich.
Dar Weter zuckte mit den Achseln. Er erinnerte sich, was ihn am meisten verwundert hatte.
„Warum war an der Statue keine einzige Alge oder Muschel zu sehen?“
Ruckartig wandte sich ihm Miiko zu.
„Das ist nichts Neues. So etwas habe ich schon öfter gesehen. Die Fundstücke waren mit einer besonderen Schutzschicht überzogen; sie verhindert, daß Lebewesen anhaften. Danach zu urteilen, stammt diese Statue aus dem letzten Jahrhundert der Ära der Partikularistischen Welt.“
Im Meer tauchte ein Schwimmer auf. Er kam rasch näher, richtete sich etwas aus dem Wasser auf und winkte den beiden grüßend zu. Dar Weter erkannte die breiten Schultern und die glänzende dunkle Haut Mwen Mass’. Bald darauf zog er sich an dem Felsvorsprung hoch, auf seinem nassen Gesicht lag ein gutmütiges Lächeln. Er verbeugte sich knapp vor der zierlichen Miiko und begrüßte Dar Weter herzlich und unbefangen.
„Ich bin mit Ren Boos auf einen Tag hergekommen, um Ihren Rat zu erbitten.“
„Mit Ren Boos?“
„Dem Physiker von der ›Akademie der Grenzen des Wissens‹.“
„Ich kenne ihn flüchtig. Er arbeitet über die Probleme der Wechselbeziehungen zwischen Raum und Feld. Wo haben Sie ihn gelassen?“
„Am Ufer. Er schwimmt nicht so gut wie…“
Ein leises Aufklatschen unterbrach Mwen Mass.
„Ich schwimme ans Ufer zurück, zu Weda!“ rief ihnen Miiko aus dem Wasser zu.
Dar Weter sah dem Mädchen lächelnd nach.
„Sie hat eine Entdeckung gemacht“, erklärte er Mwen Mass und erzählte ihm von dem Unterwasserfund.
Der Afrikaner hörte ohne Interesse zu. Mit seinen langen Fingern strich er sich übers Kinn. In seinen Augen las Dar Weter Unruhe und Hoffnung.
„Sie haben doch etwas auf dem Herzen? Also, heraus mit der Sprache!“
Nur zu gern kam Mwen Mass der Aufforderung nach. Er hatte sich am Rand des Felsvorsprungs niedergelassen und sprach von seinen quälenden Gedanken. Sein Zusammentreffen mit Ren Boos war nicht zufällig. Die Vision von der herrlichen Welt des Sterns Epsilon Tucanae hatte ihn nicht wieder losgelassen. Seit jener Nacht träumte er davon, dieser Welt näher zu kommen, den unermeßlichen Raum zu überwinden, ganz gleich wie, damit zwischen Sendung und Empfang der Botschaft, des Signals oder des Bildes nicht mehr sechshundert Jahre lagen, die für ein Menschenleben unüberbrückbar waren. Mwen Mass hatte, sich ganz darauf konzentriert, die ungelösten Fragen und die noch unvollendeten Versuche kennenzulernen, die bereits seit einem Jahrtausend zur Erforschung des Raumes als Funktion der Materie angestellt wurden.
In der „Akademie der Grenzen des Wissens“ leitete Ren Boos, ein junger Mathematiker und Physiker, gleichgerichtete Forschungen. Seine Begegnung mit Mwen Mass und ihre beginnende Freundschaft resultierten aus ihrem gemeinsamen Ziel.
Nunmehr hielt Ren Boos das Problem für so weit gelöst, daß ein Experiment durchgeführt werden könnte. Wie alle Experimente mit kosmischer Ausdehnung konnte auch dieses nicht im Laboratorium vorgenommen werden. Ren Boos wollte den Versuch über die Außenstationen unter Verwendung der gesamten Erdenergie ausführen, einschließlich der Reservestation der Q-Energie in der Antarktis.
Dar Weter ahnte dunkel die drohende Gefahr, als er Mwen Mass’ funkelnde Augen und bebende Nasenflügel sah.
„Sie wollen wissen, wie ich in diesem Falle handeln würde?“ fragte er ruhig.
Mwen Mass nickte und fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen.
„Ich würde das Experiment nicht wagen“, sagte Dar Weter klar und deutlich. Die Enttäuschung, die sich für einen Moment auf dem Gesicht des Afrikaners widerspiegelte und einem weniger aufmerksamen Beobachter entgangen wäre, übersah Dar Weter.