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Tina Daniell

Das Mädchen mit dem Schwert. Verspätete Rache

1

Gregors Erbe

Kitiara Uth Matar stand im Schatten einer freistehenden Eiche auf einer kleinen Anhöhe über einem flachen Tal. Der Tag brach gerade an, und über dem hohen Gras der Wiese, die sich vor ihr erstreckte, hing morgendlicher Nebel.

Von den vertrauten Vallenholzbäumen Solaces war sie eine gute Tagesreise entfernt, und jetzt hatte sie zum ersten Mal die Möglichkeit, einen Blick auf das hügelige Gelände zu werfen, das sich von ihrem gemütlichen Dorf weit nach Westen hinzog.

Als sie am Abend zuvor das Lager erreicht hatten, war es schon dunkel gewesen, und es hatten keine einladenden Lagerfeuer gebrannt. Die Soldaten wollten nicht riskieren, ihre Stellung zu verraten.

Als sie in das Lager hineingeritten war, hatte Kit das gedämpfte Klirren von Waffen und Rüstungen gehört, die abgelegt wurden. Die unscharfen Umrisse von Männern und anderen Wesen hatten ihre Decken zum Schlafen ausgerollt.

Kit selbst war gar nicht müde gewesen. Ihre Nerven waren bis zum Äußersten angespannt – ein neues, nicht unangenehmes Gefühl – Aufregung mit einem Quentchen Angst. Sie würde ihre erste Schlacht erleben!

Als Gregor Uth Matar sich jedoch geschmeidig von Cinnamon, seiner wertvollen braunen Stute, geschwungen und einem wartenden Knappen die Zügel in die Hand gedruckt hatte, war auch Kit von ihrem kleineren Pferd geklettert, um ihn nicht zu verlieren. Sie wollte sich nicht allzu weit aus dem Schutz dieses großen, eindrucksvollen Kriegers, der ihr Vater war, entfernen.

Der lief zügig auf die einzige Lichtquelle im Lager zu, eine abgeblendete Laterne im Zelt des Befehlshabers der Truppe. Nolan von Vinsen war – Gregor zufolge – nicht viel mehr als ein einfältiger Bauer, und Gregor hatte wenig Verwendung für Bauern und andere, zu deren Arbeit es nicht auch gehörte, ein Schwert zu führen.

Doch es war Nolan, der die fünf Mann starke Miliz der reichen Bauerngemeinde Vinsen anführte, und Nolan hatte die Hüter des Dorfes schließlich auch davon überzeugt, in die Taschen zu greifen und eine Söldnertruppe zu bezahlen, die die Ansässigen gegen das Heer der plündernden Barbaren verteidigen sollte, welches sie seit über einem Jahr in Angst und Schrecken versetzte. Also hatte er zumindest offiziell das Kommando.

Nachdem er sich etwas umgehört hatte, hatte Nolan von Gregor erfahren und ihn aufgesucht und angeheuert. Dann hatte Gregor an die fünfzig weitere wackere Kämpen rekrutiert. Außerdem hatte er Nolan geraten, nach Burek zu schicken, dem Anführer einer Minotaurentruppe mit Sitz in Kargod, die sich als Söldner verdingten. Wenn Nolan die Überfälle beenden wollte, indem er Flinkwasser und seine verfemten Gefolgsleute tötete, würde es nützlich sein, Minotauren auf seiner Seite zu haben, hatte Gregor erklärt.

»Ich habe von diesem Flinkwasser gehört«, erzählte Gregor seiner Tochter, als sie durch das stille Lager liefen. »Er ist ein Wilder, schlimmster menschlicher Abschaum. Es heißt, daß er ohne Kopf kämpft – und auch ohne Herz. Bei einem solchen Gegner sind die Minotauren ihren Preis wert. Seine primitive Wildheit wird sie wütend machen, und sie werden kämpfen bis zum Letzten.«

Als sie Nolans Zelt erreichten, wies Gregor Kitiara an, draußen zu warten. Sie kroch so nah wie möglich an das Licht heran, das unter der Türklappe des Zelts herausdrang, und blinzelte hinein. Sie sah ihren Vater mit dem Rücken zum Eingang vor einem Tisch stehen, auf dem eine große Karte ausgebreitet war. Nicht zum ersten Mal fand sie, daß Gregor der schönste Mann ihres Lebens war: Majestätisch und kräftig mit muskulösen Gliedmaßen und rabenschwarzen Haaren, die sich dicht um seinen Kopf lockten und seine Oberlippe mit einem üppigen Schnurrbart schmückten.

Gregor gegenüber stand auf der anderen Seite des Tischs ein blonder, glattrasierter Mann. Er trug eine grüne Bauerntunika, und sein Schwert steckte in einer Scheide, die er sich mit einer Schärpe ungeschickt vor den Bauch gebunden hatte. Nolan, dachte Kitiara.

Rechts neben Nolan trat auf ein Zeichen ihres Vaters jemand aus dem Schatten. Sie hielt den Atem an. Das Wesen überragte selbst Gregor, der über sechs Fuß groß war. Es trug einen schweren Ledergürtel, an dem bunte Edelsteine blitzten und in dem eine beeindruckende Vielzahl von Dolchen und anderen Waffen steckte, am auffälligsten darunter eine riesige Doppelaxt. Die zwei Hörner von jeweils mindestens zwei Fuß Länge, die aus seiner Stirn ragten, drohten die Spitze des Zelts zu zerreißen.

»Ein Minotaurus!« flüsterte Kit atemlos.

Ihr Vater hatte ihr viele Geschichten von diesen wilden, gnadenlosen Kämpfern erzählt, aber in ihren sieben Lebensjahren hatte sie in Solace, dem Dorf in den Baumwipfeln, noch keinen gesehen.

Burek, der Minotaurus, erläuterte mit tiefer, kehliger Stimme die Strategie für die Schlacht am nächsten Tag. Gregor und Nolan grübelten über der Karte. Irgendwann machte Gregor eigene Vorschläge für den Schlachtplan, von denen einige Burek offenbar nicht besonders gefielen. Nolan schlug sich unerwartet auf Bureks Seite, und Gregor, der vor unterdrücktem Ingrimm bebte, wandte sich gegen Burek. Er baute sich vor dem Minotaurus auf und redete heftig auf ihn ein. Burek wich nicht von seiner Meinung ab, doch auch Gregor gab nicht nach. Der Krieger bearbeitete Burek mit lauter Stimme und vor Wut rot angelaufenem Gesicht. Kitiara konnte sehen, wie die Punkte in den Augen ihres Vaters über dem Heben und Senken seines auffälligen Schnurrbarts tanzten.

»Red mir nicht von mutmaßlichen Situationen; gib mir den eisernen Würfel der Schlacht! Alles andere ist Blabla! Ich verwette mein Leben.«

»Pah! Ich sage, es ist besser, abzuwarten und zuzusehen. Dein Leben bedeutet mir nichts. Ihr Menschen habt es sowieso alle so eilig mit dem Sterben!«

»Wenn ich mal was sagen dürfte – «

»NEIN!«

Der Streit wurde heftiger. Er schien stundenlang so weiterzugehen.

Kitiara mußte eingeschlafen sein, während sie dort draußen vor dem Zelt auf dem Boden hockte. Sie erwachte, als Gregor sie liebevoll auf die Arme hob und mit ihr zu ihrem Nachtlager lief. Jetzt sah er gelassen aus, wie üblich um diese nächtliche Stunde, wenn alle Leute – und alle Streitereien – ruhten. Das kleine Mädchen lächelte seinen Vater verschlafen an, und er lächelte zurück. Ihre Gesichter waren sich so ähnlich. Beide zogen den rechten Mundwinkel immer ein wenig nach oben, was sie gleichzeitig charmant und durchtrieben wirken ließ.

»Morgen, meine kleine Kriegerin, morgen wirst du sehen, welche Macht und Wahrheit im Schwert liegt«, flüsterte Gregor Kit zu, während er eine Decke um sie feststeckte. Sie zitterte vor Vorfreude, rollte sich neben ihrem Vater zusammen und schlief wieder ein.

Es war noch dunkel, als Gregor Kitiara weckte. Die Sommernacht hatte sich nicht abgekühlt, und jetzt, vor der Morgendämmerung, hing die warme Luft schwer und feucht über dem Lager. Kit rieb sich die Augen und stand dann schnell auf. Sie band sich ihr geliebtes Holzschwert um, das Gregor ihr vor zwei Jahren von einem seiner Abenteuer mitgebracht hatte. Kitiara hatte mehr als vorübergehendes Interesse an dem Spielzeug gezeigt, so daß Gregor anfing, sie zur Kriegerin auszubilden.

Das Schwert paßte zu Kitiaras Größe und hatte eine äußerst scharfe Spitze. Gregor hatte die kostbare Übungswaffe mit Wappen und Siegeln verziert. Zu Hause trug Kitiara es vom Aufstehen an, bis sie abends ins Bett kippte, ständig am Gürtel. Es gab nichts, was ihr ähnlich wichtig war.

Erst jetzt, mitten in den Vorbereitungen zu einer echten Schlacht, fand Kit ihr Schwert plötzlich kindisch. Sie wollte es abnehmen, doch Gregor, der schweigend zugesehen hatte, hielt sie auf.

»Es gibt Männer, die können ein echtes Schwert nicht so gut führen wie du dein hölzernes«, sagte Gregor. »Keine Sorge. Nicht mehr lange, dann bist du so erfahren, daß du jedes beliebige Schwert schwingen kannst. Schließlich«, sagte er, während seine Augen sie anblitzten, »bist du meine Tochter.«