Выбрать главу

Alles Leben in der Stadt spielte sich nicht mehr auf den hohen Hängebrücken, sondern in den unteren Ebenen ab, wo der Marktplatz und die Schmiede lagen. Die Bewohner von Solace liefen auf dem Platz herum, begrüßten Freunde und bildeten Grüppchen, die zu den Nordfeldern außerhalb der Stadt aufbrachen, wo der Markt des Roten Mondes stattfand. Kitiara und ihre beiden Brüder kundschafteten erst den Platz aus, bevor sie sich denen anschlossen, die zum Markt hinüberliefen.

Wo die dicht stehenden Vallenholzbäume aufhörten und der Markt des Roten Mondes begann, blieben Kit und die Jungen einen Augenblick stehen, um alles in sich aufzunehmen – was sie sahen, was sie hörten, die Fremden…

Händler, die ihr ganzes Leben damit verbrachten, auf Ansalon von Fest zu Fest zu reisen, hatten Zelte mit bunten Wimpeln aufgestellt. An Verkaufsständen wurden Wandbehänge, Glasgefäße und Schmuck, unförmige Möbel, Heilkräuter, Kupfergeschirr und Schuhe, Leinen und Kleider feilgeboten – einfach alles. Notare standen mit Wachs und Pergament bereit, um Verträge zu besiegeln; Musikantengruppen drängten sich durch die Menschenmenge; es gab Vorstellungen mit abgerichteten Tieren und Seiltänzern. Überall herrschte Gedränge.

Es war wirklich die Honigseite des Menschenlebens und einiger, die eindeutig keine Menschen waren. Unter den Reisenden, die zu diesem Fest hergekommen waren, befanden sich viele Kinder, ein paar Elfen, dazu Zwerge, die zumeist für sich blieben, und sogar ein einzelner, hochmütiger Minotaurus, von gewaltiger Gestalt, dem überall, wo er hinkam, eine breite Gasse freigemacht wurde.

Caramon war stehengeblieben, und sein Blick klebte auf ein paar Eisensachen. Er hörte zu, wie der Handwerker die Güte seiner Ware anpries, während er sie an seine Zuhörer verkaufte. Da er unterhalb der Blickhöhe des Mannes sicher war, langte Caramon hin, um die kunstvoll gearbeiteten Schnallen und Sporen zu betasten.

Kitiara und Raistlin warteten ein paar Schritte weiter geduldig auf ihn. Kitiara war inzwischen etwas hungrig geworden und durchsuchte ihre Taschen nach Münzen. Skeptisch sah sie einen Stand an, der gebratene Möwe oder Hase und ein grünes Getränk anbot, in dem gehackter Diptam, Gartenraute, Gänsefingerkraut, Minze und Levkojen zusammengemengt waren. Kein Geld. Egal. Sie reckte ihr Kinn in die Luft und atmete mit tiefen Zügen die Gerüche um sie herum ein.

Dann fiel ihr eine Gruppe Männer in kunterbunter Aufmachung auf, die am Rand des Festplatzes standen. Von einem ihrer Pferde rutschte der Sattel herunter, und ein Mitglied der Gruppe, ein dicker, muskulöser Kerl, gab seinem Knappen eine Ohrfeige. Aber es war mehr ein gutmütiger Klaps gewesen, und die anderen Männer lachten lauthals, als der Knappe sich sputete, alles in Ordnung zu bringen. Die Männer achteten nicht auf das bunte Markttreiben. Sie waren zu wichtigeren Abenteuern unterwegs.

Einen Augenblick lang fragte sich Kit, ob sie sie ansprechen und nach ihrem Vater fragen sollte. Vielleicht hatten sie etwas von Gregor Uth Matar gehört oder ihn sogar einmal getroffen. Sie sahen aus wie Halunken, die viel herumgekommen waren. Aber sie zauderte zu lange, und bevor sie sich ein Herz fassen konnte, waren sie bereits wieder aufgebrochen, wobei sie immer noch lachten und herumbrüllten.

Weil sie so versunken in das war, was um sie herum vorging, überhörte Kitiara die dummdreisten Späße und Sprüche der Kinder hinter ihr zunächst. Aber jetzt wurden ihr einige der Kommentare bewußt.

»Na, wenn das nicht Fräulein Holzfäller ist!«

»Bißchen von der mütterlichen Sorte!«

»Nicht gerade eine Schönheit, soviel steht mal fest!«

Sie drehte sich zu einer Horde Jungen und Mädchen ihres Alters oder etwas älter um. Ein paar von ihnen, die sich mit den Ellenbogen anstießen und einander neckten, kannte sie aus der Schule, auch wenn sie sie eine Weile nicht mehr gesehen hatte. Wegen ihrer häuslichen Pflichten und der Erziehung der Zwillinge hatte Kitiara nur wenig Zeit für die Schule gefunden. Um genau zu sein, hatte sie nur überhaupt sehr wenig Zeit für sich selbst, gerade genug für ein paar Augenblicke Tagträumen oder für ihr geliebtes Schwerttraining. Im letzten Winter hatte sie Gilon erklärt, daß sie nicht mehr in die Schule gehen würde. Ihr Stiefvater wußte nur zu gut, daß Einwände nutzlos waren, wenn Kit ihm etwas sagte und dabei auf diese Weise ihre Hände in die Hüften stemmte und die Lippen aufeinanderpreßte.

Einen der Jungen, den Fetten mit dem rosa Gesicht, das von braunen Sommersprossen übersät war, kannte sie schon von früher her gut – ein zudringlicher Kerl namens Bronk Wister. Bronk war der geborene Unruhestifter, Sohn eines Gerbers, mit dem Gilon hin und wieder Tauschgeschäfte machte. Bronks Vater lächelte Kit immer freundlich an, aber sein Sohn hatte es sich in den Kopf gesetzt, daß er ihr überlegen war. Er reizte sie gern mit Anspielungen auf Gilon, Rosamund und die Zwillinge. Um es ihm heimzuzahlen, rief Kit ihn »Flecki«, aus offensichtlichen Gründen.

»Na, das ist doch unser Flecki«, erwiderte sie und stützte in der für sie typischen Weise die Hände in die Hüften.

Der kleine Raistlin neben ihr beobachtete die Gegner wachsam.

»Heute schon ein paar gute Bäume gefällt?« Bronks höhnisches Lachen klang rauh und mißtönend wie der Schrei eines Esels.

»Mal wieder ein paar Spiegel zerbrochen mit deiner häßlichen Visage?« gab sie zurück.

Die jungen Leute jubelten. Sie wollten ihren Spaß haben, und es war ihnen egal, wer die Zielscheibe des Spottes war. Bronk trat mit verächtlicher Miene vor und krempelte die Ärmel hoch. »Ich sollte dir mal eine Lektion erteilen. Was du brauchst, ist eine ordentliche Tracht Prügel. Genau wie jeder Junge.«

Raistlin schaute sich nervös um, konnte Caramon aber nicht entdecken. Instinktiv wich er einen Schritt zurück.

Im gleichen Moment trat Kitiara vor ihn, um ihren kleinen Bruder abzuschirmen.

Kitiaras Lächeln war abschätzig. Flecki vor seinen blöden Freunden zu verhauen, würde den Morgen so richtig abrunden. Ob sie gewann oder verlor, der Kampf würde sich auf jeden Fall lohnen.

Die Jungen und Mädchen feuerten Bronk an, als er langsam vortrat und dabei mit den Fäusten wie mit kleinen Schilden vor seinen Augen kreiste. Kit suchte sich einen guten Stand und erwartete seinen Angriff.

Plötzlich wurde sie von hinten geschubst und, als sie ihr Gleichgewicht verlor, beiseite geschoben. Ein neuer Kämpfer war galanterweise an ihre Stelle getreten.

»Laß meine Schwester in Ruhe!« schrie der fünfjährige Caramon, der seine kleinen Fäuste phantasievoll erhoben hielt. In der einen Hand schwang er einen dicken Ast, der fast so lang war wie er selbst. Kits kleiner Bruder reichte ihr erst gerade bis zur Brust, aber er war stämmig – und mutig – für sein Alter. Seine braunen Augen – kaum zu sehen hinter den strubbeligen, goldbraunen Haaren, die ihm in die Stirn hingen – blitzten vor Wut.

Den Zuschauern gefiel die Wende. Sie brachen erneut in Gelächter, Gejohle und Anfeuern aus. Bronk jedoch starrte sie ungläubig an. »Ach, sie braucht Hilfe von ihrem kleinen Brüderchen. Wie niedlich!«

»Pssst!« flüsterte Kitiara, allerdings nicht besonders leise. »Zurück, Caramon. Das hier ist mein Kampf.«

»Das wäre nicht ehrenhaft«, fing Caramon ernsthaft an und versuchte, sich dabei wie ein großer Krieger anzuhören. Der Robustere der beiden Majerebrüder stapfte vor, um sich Bronk zu stellen, der stehengeblieben war, weil er nicht recht wußte, mit wem oder mit wie vielen er jetzt kämpfen sollte.

Dann kam wieder ein Schubs von hinten, und diesmal stolperte Caramon Hals über Kopf nach vorn, prallte gegen einen Gemüsekarren und brachte diesen gefährlich ins Schwanken. Der Besitzer, der mitten aus einem vielversprechenden Verkaufsgespräch gerissen wurde, stieß einen Fluch aus. Er packte den Jungen am Kragen seiner Tunika und hob ihn hoch, bis Caramons Beine in der Luft baumelten. Das war wirklich das Spaßigste bisher, fand die wachsende Zuschauerzahl.