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Kit sah die kleine Gestalt, die pflichtschuldig vor ihnen her wanderte. Raistlins Augen betrachteten neugierig den Himmel, die Baumwipfel und den Wegrand und blieben immer wieder an interessanten Dingen hängen. Er achtete nicht auf Kit und Gilon, denn er stellte sich vor, er wäre der kühne Leiter ihrer kleinen Expedition.

»Wenn es so aussieht, als ob er müde wird, können wir ihn abwechselnd auf dem Rücken tragen«, sagte Kit, um dann flüsternd hinzuzufügen, »– wäre nicht das erste Mal.« Obwohl Raistlin seiner Schwester ähnlich sah, hatte er nichts von ihrer kräftigen Drahtigkeit.

Es war ein warmer Morgen, an dem die Lieder der Vögel, die aus ihren Winterquartieren zurück waren, von willkommenem Wind herangetragen wurden. Kit merkte, wie sich ihre Laune verbesserte, als sie auf die alte Brücke über den Solacer Bach zuhielten. Bald verließen sie den Weg. Gilon kannte eine Abkürzung durch den Wald, der sich am Krystallmirsee entlangzog.

Schon bald traten die drei aus den Schatten der Vallenholzbäume in weniger bewaldetes Hügelland. Raist trottete weiterhin vor Kitiara und Gilon her. Es war ihm nicht anzumerken, ob seine Kräfte nachließen. Er mußte wirklich sehr aufgeregt sein, dachte Kit bei sich.

Eine Dreiviertelstunde verstrich, ohne daß sie viel geredet hatten. Zu dritt hintereinander folgten sie einem engen, steinigen Pfad, der sich durch das hohe gelbe Gras und die wilden Blumen wand, die den Frühling ankündigten. Kleine Tierchen huschten vor ihnen über den Pfad, und scheinbar aus dem Nichts flogen Vögel vom Boden auf. Es war ein schönes Land, und seine natürliche Harmonie tat den Wanderern gut.

Kit träumte von ihrem Vater vor sich hin, als ein lauter Ruf von Raist sie in die Gegenwart zurückriß. Raist hüpfte zwischen Kit und Gilon auf und ab, zog sie am Ärmel und zeigte nach vorne, während er rief: »Seht doch, seht, das ist sie! Die Schule!«

Ein Felsen ragte ganz unvermittelt wie eine kleine Insel mitten im Meer aus der gleichmäßigen Landschaft auf. Eben hatten sie ihn noch nicht gesehen. Die gleißende Sonne ließ sie ihre Augen mit der Hand beschatten. Der Felsen bildete einen steilen Hügel, dessen Ausmaße im hellen Sonnenlicht schlecht zu erkennen waren. Die Farben waren verblichen, die Seiten mit Kalkstein bedeckt, die Spitze nicht zu sehen. Kitiara mußte blinzeln, damit sie glauben konnte, was sie sah.

»Das ist sie! Das ist sie! Seht ihr denn nicht?« forderte Raistlin sie mit offensichtlicher Ungeduld auf.

Beim Näherkommen erkannten Kit und Gilon, was Raistlin meinte: die helle Steinfassade eines Eingangs, der so perfekt an seine Umgebung angepaßt war, daß er für Vorbeigehende fast unsichtbar war. Durch diese Tarnung sorgte der Zauberer für das Besondere an seiner Schule und beschützte gleichzeitig seine Schüler vor möglichen böswilligen Anschlägen durch die ansässige Bevölkerung, die – wie die meisten intelligenten Wesen auf Krynn – Zauberei mit Skepsis, Mißtrauen oder offener Feindseligkeit begegneten.

Gilons staunendes Gesicht verriet, wie sehr der ungewöhnliche Ort den Holzfäller beeindruckte. Raist hingegen zeigte keinerlei Ehrfurcht. Viel eher sah das Kind zufrieden aus, als könne es an diesem Ort nichts beeindrucken.

Die Zauberschule war in den Hügel gebaut und durch Felsen und den kargen Bewuchs darauf getarnt. Zwischen dem Geröll und den Büschen hindurch konnte man aus der Nähe auch das Gebäude ausmachen. Kitiara sah hoch und entdeckte etwas, bei dem sie sich fragte, wie sie es hatte übersehen können. In regelmäßigen Abständen stiegen Enten und andere Wasservögel von der Spitze des felsigen Hügels auf, was sie auf den Gedanken brachte, daß es dort einen versteckten Teich geben mußte.

Als sie in ein paar Metern Entfernung stehenblieben, hörten sie ein leises Rumpeln, und mit erstaunlicher Leichtigkeit schwang die schwere Eingangstür auf. Jemand hatte aufgemacht, ohne daß sie irgendwie auf sich aufmerksam gemacht hatten! Während sie Raistlin nach drinnen folgte, mußte Kit Gilon einen Rippenstoß versetzen, weil dessen Mund ganz unhöflich offenstand. Die Tür fiel hinter ihnen wieder zu.

Sie standen am Anfang eines Korridors mit Wänden aus glattem Alabaster, der sich langsam im Uhrzeigersinn nach oben schraubte. Der Gang hatte keine sichtbare Lichtquelle, sondern die Helligkeit schien direkt aus dem blaßgrauen Stein hervorzudringen. Raistlin war bereits vorgelaufen. Gilon und Kit eilten ihm hinterher. Der gewundene Gang führte an zahlreichen, fest geschlossenen Eisentüren vorbei, an denen Raistlin jedoch vorbeilief, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Er wirkte sehr zielstrebig.

Zehn Minuten lang folgten sie dem spiralförmigen Gang und kamen dabei nach Kits Zählung an siebenundzwanzig Türen vorbei. Schließlich waren sie oben – oder zumindest am Ende des merkwürdigen Gangs. Vor ihnen lag eine eindrucksvolle eiserne Doppeltür, deren schwarzes Metall mit Runen und fein eingearbeiteten Zaubersprüchen verziert war.

Kit merkte, wie sie zurückblieb und sich dicht an Gilon hielt. Ihr kleiner Bruder hatte die Türen als erster erreicht, schien jedoch mit dem Anklopfen zu zögern. Er stand leicht vorgebeugt davor, als ob er herausfinden wollte, was ihn wohl dahinter erwartete. Es blieb Gilon überlassen, ein paar Sekunden später neben seinen Sohn zu treten, um einfach zu klopfen.

Kit wartete unruhig, nicht mehr aus Nervosität, sondern weil sie sich über denjenigen ärgerte, der diesen ganzen Hokuspokus veranstaltete. Das alles diente ganz offensichtlich dem Zweck, Besucher einzuschüchtern.

Die drei – ein schlicht gekleideter, stämmiger Holzfäller, ein kleinwüchsiger Sechsjähriger und ein schlankes, junges Mädchen mit dunklem Lockenkopf – warteten in unterschiedlicher Haltung, doch allen gemeinsam war ihre Ungeduld. Lange Zeit kam von der inneren Tür, anders als bei der äußeren, keinerlei Reaktion auf ihre Anwesenheit.

Schließlich quietschten die eisernen Angeln, und die Doppeltür schwang nach innen auf. Gilon, Raist und Kitiara betraten einen großen, kreisrunden Raum ohne Fenster oder Lampen. Jedes Stückchen Wand war mit Bücherregalen zugestellt, die sich unter ihrer Last bogen – Hunderte von geheimnisvollen, in Leder gebundenen Büchern, dazu Hunderte von einfachen, mit Zahlen versehenen Bänden, eine ganze Wand voll dünner Schriften und Hefte mit akkurat geordneten Aufsätzen, eine weitere Wand mit gelben, zerfallenden Manuskripten, die sorgfältig mit Bändern verschnürt waren, und reihenweise weitere Aufzeichnungen und Ordner.

Durch die durchscheinende, kuppelförmige Decke drang gedämpftes Licht herein. Erst als Kit beim Hochgucken draußen einen Hecht schwimmen sah, der mit der Schwanzflosse schlug, erkannte sie, daß dieses Zimmer direkt unter dem Teich auf dem getarnten Berg lag.

In der Mitte des Raums stand ein riesiger Holztisch, hinter dem eine verhüllte Gestalt wartend saß. Die Kapuze, die das Gesicht verhüllte, hatte die Farbe der ausgeblichenen Steine, die über den Berg verteilt waren. Wie jedes Kind auf Krynn wußte, war das ein Zeichen dafür, daß der Zaubermeister mit den Kräften des Guten im Bunde war.

Unvermittelt schlug der Magier seine Kapuze zurück, unter der sein kurzgeschorenes, stahlgraues Haar zum Vorschein kam. Schwarze Augen blitzten die Besucher an.

»Ich bin Morat. Ich sollte euch in meiner bescheidenen Studierstube willkommen heißen, doch ihr seid ohne Einladung aufgetaucht, und – «, hierbei seufzte Morat und machte eine müde Handbewegung, »– ich kann wenig Zeit auf ungeladene Gäste verschwenden. Also bitte ich euch, euer Anliegen vorzubringen und wieder zu gehen.«

Gilon straffte seine Schultern und trat vor.

»Wenn Ihr so gut sein wolltet, Herr, ich bin Gilon Majere, hier aus Solace. Ich möchte meinen Sohn, Raistlin Majere, in Eure Zauberschule schicken, die in dieser Gegend wohlbekannt ist. Ich weiß, daß er noch recht klein ist, aber er hat bereits Interesse und Begabung für Eure Kunst bewiesen. Als er noch nicht einmal fünf war, konnte er schon einem Wanderzauberer die Tricks abgucken und nachmachen, der auf dem Markt des Roten Mondes auftrat.«