Die Siebenjährige erwiderte das Grinsen, überprüfte dann eifrig Gregors Dolche, Schwert, Schild, Bogen und Köcher und half ihrem Vater dann in seine Rüstung. Seine Rüstung bestand aus Eisenteilen, die von Lederriemen und Bronzegelenken zusammengehalten wurden. Der Helm war relativ offen, weshalb Gregor besser zielen und sich kühner bewegen konnte.
Kitiara wirkte wie eine verkleinerte Ausgabe des eindrucksvollen Kriegers. Gregor hatte Kit die langen Haare abgeschnitten, nachdem er sie zu diesem Abenteuer aus dem Haus geschmuggelt hatte.
Mit dem dunklen, lockigen Haarschopf und dem schlanken, aber athletischen Körperbau mochte man sie für einen kleinen Jungen halten. Ihre Augen waren so braun wie die von Gregor, und selbst den zielstrebigen Gang hatte die kleine Kit ihrem Vater abgeschaut, was schon fast komisch wirkte.
Wenn andere Soldaten zu ihm kamen, stellte Gregor Kit mit den Worten »mein hartnäckiger Sohn« vor, wobei er ihr heimlich zuzwinkerte, wenn niemand hinsah. Sieben Jahre war früh, um einen Jungen ins Lager zu bringen, aber keiner seiner Kameraden hätte es verstanden, daß Gregor eine Tochter mitbrachte, denn Mädchen galten vor allem als Last.
Daran störte sich Kit nicht. Keinesfalls wollte sie lieber ein Junge sein. Ihr taten die Leute leid, die eine Person wegen ihres Geschlechts oder wegen der äußeren Erscheinung nicht ernst nahmen. Diesen Fehler würde sie bestimmt nie machen.
Während sie sich weiter für den Kampf rüsteten, bemerkte Kit eine gewisse Unruhe am Rand des Lagers. Im schwachen Licht der frühen Dämmerung kam es ihr so vor, als sähe sie einen Haufen Kinder herumlaufen.
»Guck mal, Vater, vielleicht kann ich heute abend mit einem von den Kindern da Fechten üben«, sagte sie und zeigte auf die Gestalten.
»Das sind keine Kinder. Das sind Gossenzwerge.« Gregor spuckte den Namen dieser rückständigen Rasse aus, als wäre er ein Schimpfwort. »Es ist erstaunlich, wie sie früher oder später immer auftauchen, ganz egal, welche Gefahr droht oder wo man sein Lager aufschlägt.«
Während Gregor noch sprach, war einer der Gossenzwerge so dreist und huschte herbei, um neugierig ihre Ausrüstung zu begutachten. Von dem kleinen Wesen ging ein unangenehmer Geruch aus. Gregor holte mit dem Fuß aus und versetzte dem Gossenzwerg einen Tritt, der ihn durch das halbe Lager fliegen ließ. »War nett, dich kennenzulernen!« hörte Kit das unglückliche Geschöpf noch im Flug schreien. Offenbar unbeschadet und unbeeindruckt rappelte der Gossenzwerg sich wieder auf und hüpfte in die entgegengesetzte Richtung davon.
Kit lächelte in sich hinein. Selbst Gossenzwerge trugen zu ihrem Spaß am Lagerleben bei. Doch gleich mußte sie sich wieder wichtigeren Angelegenheiten zuwenden, als Gregor anfing, ihr den Schlachtplan zu erklären.
Flinkwassers Gesetzlose hausten an einem dicht bewaldeten Hang am anderen Ende des Tals. Von dem Ort aus konnten die Räuber den Osten hervorragend überblicken.
In ihrem Rücken stieg der Hang steil an und bot dort wenig Deckung bis auf ein paar weit auseinanderliegende Felsen. Ein Angreifer hatte kaum eine Wahl.
Gregors Truppen standen einsatzbereit zwischen Felsen und Bäumen verstreut an einem steilen Hang im Süden. Bisher war es ihnen gelungen, unentdeckt zu bleiben.
Burek hatte warten wollen, bis der Sturm ausbrach, der sich zusammenbraute und die Banditen ablenken sollte, damit sie den Angriff vielleicht übersahen, erklärte Gregor. Dann hätte der ebenso stolze wie ungeduldige Minotaurus einen Frontalangriff anführen wollen, um Flinkwasser und dessen Leute möglichst aus ihrem Schlupfwinkel zu locken. Ein Teil der angeheuerten Truppen sollte zusätzlich einen Halbkreis schlagen und den Versuch unternehmen, Flinkwassers Lager trotz des ungünstigen Geländes von hinten anzugreifen.
Gregor war dagegen gewesen und hatte sich schließlich durchgesetzt. Zuverlässige Späher hatten dem Söldnerführer berichtet, daß die Barbaren jeden Morgen eine große Gruppe Plünderer losschickten, die häufig von Flinkwasser selbst kommandiert wurde. Gregor wollte, daß sich die Minotauren aufteilten und vorsichtig im Schutz der Bäume auf beiden Seiten des Tals bis direkt unter den Grat vorrückten, auf dem sich das Lager der Gegner befand.
Wenn die Gruppe für den Raubzug auf der Wiese auftauchte, sollten die Minotauren ihnen den Rückweg abschneiden, während Gregor und seine Getreuen von vorne kamen. Mit etwas Glück würde Flinkwasser in der eingekesselten Gruppe sein. Wäre der erst tot, würden seine direkten Anhänger wahrscheinlich in Panik geraten und in den Wald fliehen. Ein paar von Gregors Soldaten würden zwischen den Bäumen warten, um sie dort zu erledigen. Der Plan brachte die Minotauren zugegebenermaßen in eine schlechte Position, da sie sowohl im Nahkampf mit der Räuberbande stehen würden als auch einen Angriff von hinten zu erwarten hatten, wenn die, die in Flinkwassers Lager zurückgeblieben waren, sich dem Kampf anschlossen. Aber Gregors Truppen sollten von allen Seiten heftig angreifen und versuchen, die Minotauren aus der Schußlinie zu bekommen.
Burek hatte Gregors kühnem Plan schließlich zugestimmt. Als kriegerische Rasse hatten die Minotauren ihre riskante Aufgabe mit Würde angenommen. Bevor sie sich aufteilten, bemerkte Kit, daß die hünenhaften Wesen, die voller glitzernder Waffen hingen, gemeinsam niederknieten, um geflüsterte Schwüre auszutauschen, geheime Worte, die kein Mensch je hören durfte.
Die anderen Söldner beobachteten das Ritual respektvoll. Die langen Minuten des Schweigens waren fast unerträglich.
Dann erhoben sich die gut zwanzig Minotauren hinter Burek wie ein Mann und marschierten los. Ihnen folgten sehr feierlich Gregor und seine Männer. Kits Vater ritt ein geliehenes Streitroß, einen silbergrauen Hengst. Seine kostbare Cinnamon hatte er Kit dagelassen, damit sie – für den unwahrscheinlichen Fall ihrer Niederlage – ein zuverlässiges Tier für die Flucht hatte.
Ihr Vater schenkte ihr jetzt keinerlei Beachtung mehr. Seine Augen richteten sich entschlossen auf die vor ihm liegende Aufgabe. Die Lippen hatte er fest aufeinandergepreßt. Es war das erste Mal, daß Kit Gregor in die Schlacht ziehen sah, und so wie in dieser Szene würde sie sich immer an ihn erinnern: stolz, aufrecht, unbesiegbar.
Hinter ihnen trotteten – eigentlich nur als Rückversicherung – Nolan und seine kleine Gruppe von Freiwilligen aus dem Ort her. Im Gegensatz zu den Berufssoldaten umklammerten die Bauern grobe Keulen und Schaufeln und merkwürdige Gerätschaften. Aber im Kampf von Mann zu Mann, der dem ersten Aufeinandertreffen folgen würde, konnten die genauso tödlich sein.
Von ihrem Aussichtspunkt unter der Eiche, den Gregor für sie ausgesucht hatte, versuchte Kit angestrengt, die Minotauren auszumachen, die hinter den Büschen und den paar Bäumen am Rand des Tals durch das hohe Gras liefen. Doch sie konnte sie nicht entdecken.
Plötzlich hörte Kitiara in der stillen Morgenluft Pferde schnauben und wiehern. Vögel flogen aus dem Unterholz an der anderen Seite des Tals auf, und eine Gruppe von etwa vierzig Barbaren ritt einer nach dem anderen aus dem Wald, und zwar auf Vollblutpferden, die für ihre Schnelligkeit berühmt waren. Kitiara fragte sich, wie sich die Minotauren, die zu Fuß waren, wohl gegen sie durchsetzen würden.
Die Räuber saßen unbeschwert im Sattel. Aus der Ferne sah es für Kitiara so aus, als hätten sie Lederumhänge an, die mit bunten Federn geschmückt waren. Sie meinte auch, sie könnte den untersetzten, eingebildeten Häuptling Flinkwasser an der Spitze sehen. Dann fiel ihr ein anderer aus der Horde auf. Als einziger war er wie ein Geist gekleidet und trug einen Mantel ganz ohne Verzierung oder Farbe. Von seinem Sattel baumelte ein Haufen Fläschchen und Tränke. Ein Zauberer, folgerte Kit.
Nachdem die Barbaren das Land schon über ein Jahr lang ohne nennenswerten Widerstand heimsuchten, achteten sie nicht mehr auf mögliche Gefahren. Die Reiter redeten kaum miteinander, nur die kleinen, nebenherlaufenden Hunde kläfften oder knurrten gelegentlich.