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»Es wird Raistlin guttun, diese alte Kunst zu lernen«, sagte Gilon freundlich, als er sie draußen losließ. »Es bedeutet ihm viel. Aus diesem Grunde können wir Morats Ungastlichkeit ruhig ignorieren. Nutzen wir den Tag für den Jahrmarkt von Solace.«

Kit sah sich grimmig, aber ziellos um, bevor sie mit den Schultern zuckte. Im Grunde war es eine einmalige Gelegenheit, mal einen halben Tag allein zu verbringen. Und auf dem Weg nach Solace zum diesjährigen Markt des Roten Mondes hob sich sofort ihre Stimmung.

Auf einer kleinen Anhöhe blieb sie stehen und drehte sich noch einmal nach der Zauberschule um. Es überraschte sie nicht, daß sie den Umriß des weißen, felsigen Hügels kaum ausmachen konnte, der im grellen Schein der späten Morgensonne fast unsichtbar war.

Kit sah Gilon an, der schweigend neben ihr stand. Er war ganz anders als ihr richtiger Vater. Trotzdem und trotz der Tatsache, daß Holzfällen ihr wenig imponierte und sie das eintönige Leben von Gilon nicht mochte, gefiel es Kit, wie sich ihr Stiefvater um die Zwillinge kümmerte. Und es gefiel ihr, daß er nie versucht hatte, sie herumzukommandieren. Gilon war alles in allem nicht völlig blöd.

Nach einem tiefen Seufzer sagte Kit mit gezierter Stimme, indem sie die des Magiers nachahmte: »Teichgrund! Könnte auch gleich Misthaufen heißen!«

Kit grinste Gilon verschmitzt an, und beide lachten los.

Es war ein herrlicher Tag. Die Umrisse der Bäume, die der Winterwind kahlgeblasen hatte, waren bereits mit einem zarten, reinen Grün belaubt. Kitiara und Gilon schwiegen einträchtig, während sie auf den Marktplatz am Nordrand von Solace zusteuerten. Zuerst hörten sie nur den Lärm, dann kamen sie über einen kleinen Berg und sahen die strahlend bunten Fahnen und Zelte.

Der Festplatz fing etwa eine Meile unterhalb des Hügels an, auf dem sie jetzt standen, gleich an der Straße. Von dort aus erstreckte er sich wie eine kleine Stadt. Es gab grasbewachsene Promenaden, an denen Zelte und Stände anstelle von Häusern standen. Dazwischen lagen immer wieder kleine, freie Plätze, auf denen zahlreiche Vorstellungen stattfanden.

Als Kitiara und Gilon die Straße hinuntergingen, musterte Kit die Menschen, die zum Markt kamen, denn sie hoffte immer noch, einen Mann mit dunklen Locken zu sehen, der die meisten anderen um einen Kopf überragte, und der beim Anblick seiner Tochter nach all diesen Jahren vor väterlichem Stolz strahlen würde.

Statt dessen entdeckte sie einen Magier in schwarzer Robe, der durch die Menge glitt und leicht auszumachen war, weil die Leute ihm so schnell auswichen. Sie sah eine Kenderfamilie, deren Vater über einer Karte grübelte, während die Mutter stolz ihr kleines Mädchen betrachtete. Kit lächelte in sich hinein, als sie die Kleine beobachtete, die auf und ab hüpfte, bei jeder neuen Entdeckung in die Hände klatschte und Steine und Papierfetzen einsteckte – und hier und da ein paar glänzende Nippsachen, ob sie nun jemandem gehörten oder nicht.

Von zahlreichen Ständen wehten Düfte herüber, die einem das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen. Es war noch nicht Mittagszeit, aber die morgendliche Wanderung hatte Kit einen nagenden Hunger beschert. Ihr knurrender Magen lenkte sie von dem ab, was sie sah und hörte. Sie blieb stehen und sah in ihrem Sack nach, ob sich noch etwas Brot oder Käse darin befand, und dabei merkte Kit, daß Gilon nicht mehr neben ihr war. Eine Minute später tauchte er wieder auf. Er trug zwei dampfende Schalen Ziegenfleischsuppe.

»Ich dachte, du bist vielleicht hungrig«, sagte Gilon einfach, während er ihr eine Schale reichte. Kit lächelte ihn dankbar an. Dann drängelten sie sich durch den Strom der Menschen zu einer Bank im Schatten einer Eiche.

»Ich dachte mir schon, daß ich dich auf dem Markt finden würde, aber ich hatte dich bei der Schwertkampfausstellung erwartet, nicht faul im Schatten eines alten Baums.«

Die Stimme verriet gutmütigen Spott. Kit blickte über die Schulter und entdeckte die wie üblich herausgeputzte Aurelie in einem fließenden, zartbunten Kleid. Im letzten Jahr war ihr Körper aufgeblüht, und sie war kein Mädchen mehr, sondern schon fast eine junge Dame. So verschieden sie auch voneinander waren, Kit freute sich immer, die Freundin zu sehen.

»Hallo, Meister Majere«, sagte Aurelie mit niedlichem Lächeln zu Gilon.

Kit sah zu, wie ihr Stiefvater etwas verlegen aufstand, weil er offensichtlich von Aurelie bezaubert war, sich aber auch fehl am Platze vorkam.

»Ähm, schön dich zu sehen, Aurelie«, sagte Gilon. »Soll ich dir eine Schale Suppe holen?«

»Ach, nein, ich habe keinen Hunger«, sagte Aurelie, die dabei ihre rotblonden Locken schüttelte. »Ich weiß nicht, wo Kit das viele Essen hinsteckt, das sie vertilgt.«

»An dieselbe Stelle, wo du die Krapfen hinsteckst, die du dir jeden Tag beim Bäcker holst«, murmelte Kit so leise, daß es nur Aurelie hören konnte. Die beiden Mädchen fingen an zu kichern, und Gilon schloß sich dem an; er hatte zwar den Witz nicht richtig verstanden, aber er genoß die gute Laune.

Kit war mit ihrer Ziegensuppe fertig und stand auf.

»Aurelie und ich schauen uns mal nach ein paar, äh, Gauklern um«, sagte Kit ohne Überleitung zu Gilon. Ein verschwörerischer Ausdruck glitt über das Gesicht ihrer Freundin. »Wir treffen uns in vier Stunden an der Kreuzung hinter dem Markt und gehen dann zurück, um Raist abzuholen. In Ordnung?«

Gilon, der den Mund voll Suppe hatte, konnte nur nicken und sie mit einer Handbewegung verabschieden.

»Mmmm, Gaukler. Na schön, dann machen wir uns mal auf die Suche nach diesen aufregenden Wesen«, neckte Aurelie, die Gilon noch über die Schulter anlächelte, während die zwei Mädchen Arm in Arm abzogen.

Sie waren noch nicht sehr weit lachend durch die Menge gebummelt, als eine andere bekannte Stimme sie aufhielt.

»Aurelie! Wir wollten uns doch schon vor einer Stunde am Stand des Kleiderhändlers treffen.« Vor den beiden Freundinnen stand Aurelies Mutter, die Hände in die Hüften gestemmt.

Sie war eine einfache Frau mit braunem, welligem Haar und hängenden Mundwinkeln. Die Tochter trug Spitzen, die Mutter hingegen gewöhnlich schlichte Kittel.

Wie so oft, wenn sie Aurelies Mutter traf, dachte Kit, daß ihre beste Freundin ihr Aussehen bestimmt vom Vater geerbt hatte. Ihr Vater arbeitete hart, hatte ein faltenreiches, aber schönes Gesicht und immer strahlende Augen.

»Ach, hallo, Kitiara.«

Kit entging der kühle Ton nicht. Aurelies Mutter hatte die Freundschaft ihrer Tochter mit Kit noch nie gutheißen können, der Tochter »dieses verantwortungslosen Kriegers und seiner armen, verrückten Frau – die er sitzengelassen hat.«

Aurelie zuckte mit den Achseln und zwinkerte Kit fast unwahrnehmbar zu, bevor sie daran ging, ihre Mutter zu besänftigen. Sie nahm die Frau am Ellenbogen und begann, sie durch die Marktbesucher zum Stand des Kleiderhändlers zu schieben. »Ich war gerade auf dem Weg zu dir, Mutter, aber da haben Kit und ich Minna getroffen. Du weißt ja, was das für eine Tratschtante ist, aber du hast mir schließlich beigebracht, niemals unhöflich zu Erwachsenen zu sein. Jedenfalls… «

Als sie außer Hörweite von Kit waren, drehte sich Aurelie um und winkte Kit entschuldigend zu.

Jetzt war diese für den Rest des Tages allein. Auch gut. Kit hatte so selten Zeit für sich.

Kit ließ den Lärm und die Massen auf dem Markt hinter sich und trieb auf das große Lager zu, wo Hunderte von Besuchern, die extra für dieses Ereignis nach Solace gekommen waren, ihre Unterkunft hatten. Der grasbewachsene Platz war mit Zelten, Vorzelten, Wohnwagen, Schlafdecken und Hängematten übersät. Gruppenweise standen die Leute zusammen, redeten und lachten laut und teilten Essen und Trinken – Trödler und Kaufleute, Barden auf Wanderschaft, ehrliche wie unehrliche Händler, Illusionisten, Schwätzer und gelegentlich ein Krieger, der nur der dicksten Geldbörse treu war.

Kit wich einem hageren Kleriker aus, der auf einem Baumstumpf stand und jedem, der ihm zuhörte, lautstark von der Allmacht der neuen Götter erzählte. Es hörten kaum Leute zu, und Kitiara machte um Kleriker immer einen großen Bogen.