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Raistlins Prüfung

Für Caramon war es ein schöner Tag. Den ganzen Morgen buk seine Mutter Sonnenblumenbrötchen, und er half dabei. Naja, sozusagen. Er hing Rosmund am Rockzipfel, und jedesmal, wenn sie einen Rührlöffel nicht mehr brauchte, leckte er die Geräte sauber. Sein Gesicht und die kleine Tunika waren voller Teigspritzer; sogar in den Haaren hatte er die honigfarbene Masse verschmiert. Und als die Brötchen fertig waren, aß er ganz freiwillig so zwölf bis siebzehn Stück. Caramon zählte nicht mit – er war sowieso nicht gut im Zählen.

Nach dieser gewaltigen Anstrengung fühlte sich sein Magen etwas voll an.

»Puuuhhh«, sagte er, wobei er sich seinen runden Bauch rieb. »Mutter, findest du nicht, daß es mir gut täte, jetzt spielen zu gehen?« Er grinste seine kränkliche Mutter an, die strahlend zurücklächelte. Rosamund hatte beste Laune.

»Sicher, Liebling, aber lauf nicht zu weit weg. Ich muß noch ein bißchen nähen und flicken.«

Weil er sich an sein Versprechen erinnerte, sich um sie zu kümmern, warf Caramon noch einen Blick über die Schulter, um sich zu versichern, daß es seiner Mutter gutging. Dann eilte er los. Rosamund summte vor sich hin, während sie die Töpfe und das Geschirr abwusch.

Draußen kletterte der Sechsjährige eine Strickleiter zu dem Platz direkt unter ihrer Hütte hinunter, wo er und Raist manchmal in Rufweite der Mutter spielten. Außer einem gelegentlichen Wanderer auf der Hauptstraße, den er durch die Vallenholzbäume sah, war niemand da. Also stampfte Caramon herum und trat Äste und Steine beiseite, um einen Platz zum Graben frei zu machen.

Beim Herumsuchen fand er mehrere dicke Stöcke, die er zum Hacken, zum Schaufeln und als Keile brauchbar fand. Er wußte, daß er einen größeren Vorrat brauchte, weil sie leicht brachen.

Eine gute Stunde lang buddelte Caramon höchst zufrieden nach vergrabenen Schätzen (sein Vater hatte ihm erzählt, daß man Schätze manchmal an den unwahrscheinlichsten Stellen fand). Anschließend stand der kleine Junge schweißgebadet, zerkratzt und schmutzig bis zum Bauch in einem Loch, das fast zwei Fuß tief war. Zufrieden betrachtete er sein Werk. Er hatte noch keinen Schatz gefunden, aber er war weiterhin zuversichtlich.

Als Caramon gerade weitergraben wollte, kam eine Horde Jungen in seinem Alter, von denen er einige aus der Schule kannte, laut rufend vorbeigerannt.

»Wo lauft ihr hin?« rief Caramon einem zu, den er erkannte.

»Holzapfelkrieg!« erwiderte der Junge, ein sommersprossiger Achtjähriger, der die Gelegenheit nutzte, um keuchend eine Pause einzulegen. »Komm mit!«

»Au ja! Aber laß deinen schlappen Bruder hier!« fügte ein anderer hinzu, der rutschend zum Stehen kam und fast den ersten über den Haufen gerannt hätte.

Caramon kletterte die Strickleiter hoch, um nach Rosamund zu sehen. Er fand sie auf der kleinen Veranda vor der Hütte sitzen, wo sie neben einem Stapel Kleider die Sonne genoß, während sie ein Kleid säumte. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht winkte ihm seine Mutter sorglos zu, daß er ruhig gehen sollte.

Eilig rannte er der Bande Jungs hinterher, die sich etwa zehn Minuten von Caramons Haus entfernt bei einer kleinen Baumgruppe versammelt hatten. An den tief herunterhängenden Zweigen hingen kleine, feste, grüne Holzäpfel, die die Jungen zu Dutzenden pflückten und auf dem Boden zu Stapeln aufschichteten. Mit dieser »Munition« stopften sie sich Taschen, Beutel und Rucksäcke voll und trugen darüber hinaus so viele wie möglich in jeder Hand.

»Da bist du ja, Caramon. Mach schnell! Du bist unser Anführer«, schrie eine Gruppe der Jungen. Sie hatten sich bereits in zwei Armeen aufgeteilt.

Caramon, der – im Gegensatz zu seinem Zwillingsbruder – sehr beliebt und bei Kriegsspielen sehr gefürchtet war, wurde zum »General« gewählt, obwohl mehrere Acht- und sogar Zehnjährige in Betracht kamen. Der andere General, ein breitschultriger Zehnjähriger namens Ranelag, war volle zwei Köpfe größer als Caramon.

Nachdem sie an entgegengesetzten Enden des Holzapfelwäldchens Stellung bezogen hatten, stürmten die gegnerischen Parteien beim vereinbarten Zeichen aufeinander los. Caramon rannte kreischend vor seiner Armee her, die etwa ein halbes Dutzend Jungen zählte, und kommandierte sie herum.

»Willem, du läufst da lang. Lank, paß auf, was hinter dir los ist. Wolf, nimm ein paar Holzäpfel und kletter auf den Baum da.«

Er führte den Angriff an und warf die kleinen Äpfel, so schnell und fest er konnte. Caramon traf gut, und er wich geschickt dem Apfelhagel aus, der ihm entgegengeprasselt kam. Der Sinn des Spiels war, so viele Treffer wie möglich zu erzielen und sich dann zurückzuziehen, bevor man an die Schulter, am Schienbein oder – noch schlimmer – am Schädel angeschlagen wurde. Es war kein Spiel für Muttersöhnchen.

Der Holzapfelkrieg zog sich fast den ganzen Nachmittag hin. Hin und wieder mußte einer die Seite wechseln, weil ein anderer nach Hause mußte, und hin und wieder gab es Pausen, in denen sich alle ausstreckten und in die sauren Früchte bissen. Doch die meiste Zeit hieß es Angriff und Rückzug, Angriff und Rückzug, Angriff und Rückzug, immer wieder, bis die Sonne unterging.

Caramon hatte sich als fähiger, mutiger Taktiker erwiesen. Er konnte mehr Beulen und blaue Flecken von gut gezielten Holzäpfeln vorweisen als die anderen, ganz zu schweigen von den Fruchtfleischresten und den Saftflecken. Während der Pausen hatte der Anführer ein paar Holzäpfel zuviel verschlungen, so daß er leichtes Bauchgrimmen hatte.

Er und Ranelag, der einem von Caramons besten Würfen eine deutlich sichtbare, blutige Beule auf der Stirn zu verdanken hatte, erklärten den Krieg für unentschieden. Zum Zeichen des Waffenstillstands schüttelten sie sich die Hand.

»Das war ein guter Kampf. Auf daß wir eines Tages wieder gegeneinander kämpfen«, sagte Caramon mit dem Ernst, den ein echter Krieger seiner Meinung nach verspüren mußte, wenn ein heftiger Zweikampf zu Ende ging. Dann stieß er einen Juchzer aus, was ihm lauten Jubel von den Überlebenden beider Seiten einbrachte.

Es war schon fast Abendbrotzeit, und Caramon bemühte sich, halb hüpfend, halb rennend, schnellstens nach Hause zu kommen. Er war ausgepumpt und voller Blessuren und verspürte, ehrlich gesagt, schon wieder leichten Hunger. Seine Kleider waren zerrissen, die goldbraunen Haare klebten ihm an der Stirn. Angetrockneter Teig, Dreck, Holzapfelstückchen, Kratzer, Risse und lila Beulen erzählten von seinem ereignisreichen Tag.

Als Caramon in Sichtweite der hohen Vallenholzbäume, auf denen sein Zuhause stand, um eine Ecke bog, hörte er einen Hilfeschrei. Augenblicklich dachte er an seine Mutter, aber der Schrei kam aus der anderen Richtung, von einer niedrigeren Baumgruppe, nicht aus der Hütte.

Als er hinlief, sah er ein Mädchen in seinem Alter, das dastand und in die höheren Äste eines Baums blickte. Sie war niedlich und hatte kleine Grübchen, aber ihr Gesicht war tränenüberströmt. Nachdem auch Caramon hochgeschaut hatte, sah er ein kleines Kätzchen in den Zweigen ganz oben im Baum hocken.

»Mein Kätzchen!« klagte das Mädchen und zeigte für Caramon nach oben. »Mein Kätzchen sitzt da oben im Baum fest!«

Caramon sah wieder stirnrunzelnd nach oben. Er war schrecklich müde, und der Baum sah schrecklich hoch aus.

»Es ist so ein hoher Baum«, fuhr das Mädchen fort, das sich umdrehte, um Caramon besser flehend ansehen zu können. »Ich würde ja selbst hochklettern, aber ich komm’ nicht an die ersten Zweige dran. Mein Kater heißt Zirke. Ich fürchte, er sitzt da oben für immer fest.« Sie begann zu weinen und schluchzte und schniefte. Caramon stand verlegen neben ihr, weil er sie trösten wollte, aber nicht wußte, was er machen sollte.

»Du siehst aus, als wenn du gut klettern kannst. Glaubst du, du kannst ihn runterholen?«

Angesichts ihres Bettelblicks warf sich Caramon leicht in die Brust und vergaß vorläufig Hunger und Müdigkeit. Wieder sah er zu dem maunzenden Kätzchen hoch. Dann zog er sich mannhaft die Hosen zurecht, griff fest nach einem der unteren Äste und begann hinaufzuklettern.