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El-Navar war sehr sorgfältig. Eine Zeitlang widmete er sich ihrem Pony, den er fast bis zum Haaransatz zurückschnitt. Und dabei starrte er Kit direkt in die Augen. Überrascht stellte sie fest, daß seine Augen gar nicht hart und metallisch glänzten, wie sie ihr erst vorgekommen waren. Sie konnte durch sie hindurchsehen bis in sein Wesen, das voller Sinnlichkeit war. Sein heißer Atem roch aromatisch, was sie an ferne Länder denken ließ.

»Aber«, fuhr El-Navar fort, »Trauerkloß hat keine echte Begabung zum Zauberer. Alles nur Tricks und Illusionen. Ich für meinen Teil finde, die Magie zieht wie die Pest durch Krynn, und es gibt viel zu viele Leute, die sich als Sprücheklopfer versuchen, obwohl sie mit ihrem Leben etwas anderes anfangen sollten.«

»Sag mir doch«, bat Kitiara und wechselte das Thema, »wer ist Gwatmeys Sohn, und warum ist er für uns so wichtig?«

Der Karnuthier lachte herzlich, wobei sie seine weißen Zähne sehen konnte, schüttelte seine lockigen Schlangenhaare und ließ den Goldring wild herumtanzen. »Du gibst nicht auf, Kitiara«, sagte er, »aber du wirst alles noch früh genug erfahren. Jetzt nicht. Nicht heute…« Seine Stimme schnurrte tief und beruhigend.

Der Himmel war dunkel. Die anderen drei Männer waren anscheinend eingeschlafen. Lunitari hatte sich hinter Wolken versteckt, doch Kit konnte sehen, daß der rote Mond voll war.

»Fertig!« Der Karnuthier stand auf, griff in seine Tasche und zog eine Spiegelscherbe heraus, die er Kitiara hinhielt.

Sie betrachtete sich gründlich und fand ein erstaunlich fremdes Gesicht, das an Stirn und Schläfen sehr viel Haut zeigte, die von Koteletten umrahmt wurde. Gekrönt wurde alles von einem exakt geschnittenen schwarzen Haarschopf. Jetzt sah sie wirklich aus wie ein junger Edelmann.

El-Navar steckte ein paar Haarsträhnen in einen kleinen Beutel. »Den Schnurrbart machen wir morgen früh fertig«, sagte er.

»Schnurrbart?«

»Du bist unser Lockvogel, Kitiara«, sagte El-Navar. »Wir sind nicht hinter Gwatmeys Sohn her. Um genau zu sein, wir sind hinter dem her, was er bei sich hat. Während wir ihn angreifen, führst du seine Wachen ein bißchen an der Nase herum. Aus einiger Entfernung wirst du fast genauso aussehen wie der Junge.«

El-Navar lief zu Radissons Pferd und holte etwas aus den Satteltaschen. »Radisson sollte diese Rolle spielen, aber dann bist zufällig du aufgekreuzt. Wir können ihn auch woanders gebrauchen. Hier, probier die mal an«, fügte er hinzu, während er ihr ein kleines Kleiderbündel zuwarf. »Damit sie dann auch passen.«

Kitiara nahm die Sachen und verschwand hinter einem Baum. Die Verkleidung bestand aus Lederhosen, einem brokatbesetzten Hemd und einer teuren Weste. Eine Jacke vervollständigte den Anzug. Die Sachen waren ein bißchen weit, aber Kitiara kam damit zurecht und trat hinter dem Baum hervor, um sich El-Navar zu zeigen. Der reinigte sein Messer mit Wasser. Als er aufsah, war er richtig überrascht. Langsam steckte er das Messer ein und stand auf, um Kitiara genauer anzuschauen.

»Ja«, sagte er mit erkennbarer Befriedigung.

Sie blickte ihn stirnrunzelnd an. »Ich komme mir blöd vor. Kann ich nicht etwas Wichtigeres machen?«

»Du machst etwas sehr Wichtiges«, sagte El-Navar. »Keine Bange.«

»Was für Reichtümer hat denn der feine Herr dabei?«

»Morgen, Kitiara«, antwortete El-Navar gutgelaunt. »Jetzt schlaf lieber.«

Kit betrachtete ihr Gesicht noch einmal in der Spiegelscherbe; sie mußte zugeben, daß es ihr gefiel, wie sie in dieser luxuriösen Garderobe aussah. Als sie den Winkel des Spiegels veränderte, entdeckte Kit, daß El-Navar sie ungeniert anstarrte. Plötzlich merkte sie, wie sie zitterte. Kit hielt seinem Blick mehrere Sekunden lang stand, bevor sie den Spiegel senkte.

»Gefällt mir«, sagte sie, als sie sich zu seinen glitzernden Augen umdrehte.

Bevor Kit hinter den Baum ging, um sich wieder umzuziehen, gab sie dem Karnuthier seinen Spiegel zurück. Sie hatte gerade die Lederhosen ausgezogen und knöpfte ihr Hemd auf, als El-Navars Stimme als hypnotisierendes Flüstern herüberdrang.

»Es wird eine kalte Nacht, Kitiara«, sagte El-Navar. »Ich könnte meine Decke mit dir teilen.«

Halb ausgezogen kam sie hinter dem Baum hervor.

»Was meinst du damit?« fragte sie knapp.

»Komm her zu mir«, erwiderte El-Navar.

Aus Gründen, die sie nicht in Worte hätte fassen können, warf Kit einen Blick zum schlafenden Ursa. Der lag mit dem Rücken zu ihr. Sie konnte nicht sehen, wie er bei El-Navars Worten die Augen aufriß. Doch er lag still, als schliefe er. Ohne weiter zu zögern, ging Kitiara zu El-Navar.

7

Lockvogel

Kitiara schlief traumlos. Als ihre Augen sich langsam öffneten, streckte sie sich und gähnte. Kit stellte erschrocken fest, daß ihr die Sonne hell in die Augen schien, und sie sprang bestürzt auf, wobei sie die Decke um sich zog.

Sie hatte am längsten geschlafen. Radisson, der gerade etwas an seinem Pferd festzurrte, grinste höhnisch. Trauerkloß saß bereits mit Sack und Pack auf seinem Maultier und wirkte so wach und zielstrebig wie seit Tagen nicht.

Mit schamrotem Gesicht huschte Kit hinter die Büsche, um ihre Männerkleidung anzulegen. Sie konnte Radisson kichern hören. Ursa sagte etwas zu ihm. Radisson murmelte noch etwas, doch Ursa befahl ihm, die Klappe zu halten. Wütend zog sie sich fertig an und kam wieder hinter den Büschen vor.

Ursa kam mit zornigem Gesicht zu ihr herüber. Er griff in die Tasche und holte einen Streifen Haarsträhnen von Kit heraus, die an einem Stück Mousselin befestigt waren. Mit einer Paste klebte er ihr den nachgemachten Schnurrbart so unsanft unter die Nase, daß sie zusammenzuckte. »Ja«, sagte Ursa beifällig, als er ihre männliche Verkleidung begutachtete.

In der ganzen Gruppe war eine gewisse Spannung zu spüren, jetzt, wo sie dem Ziel so nahe waren.

Aber wo steckte El-Navar? Sie entdeckte den sehnigen Karnuthier auf seinem weißen Hengst auf einer etwas entfernten Anhöhe, wo er mit der Hand seine Augen beschattete und nach Nordosten blickte. El-Navar saß fast wie ein Buckliger zusammengesunken im Sattel, denn wie gewohnt war er bei Tage wieder merkwürdig träge.

Für Kit hatte er keinen Blick übrig.

Sie merkte, daß sie den Karnuthier offen anstarrte und daß Ursa sie genau beobachtete. Deshalb wandte Kit ihr Gesicht abrupt dem Söldner zu.

»Warum habt ihr mich nicht eher geweckt?« wollte sie verärgert wissen.

»Warum bist du nicht von selber aufgewacht, Prinzessin?« flötete Radisson von seinem Pferd aus. Trauerkloß brach ganz untypisch in schallendes Gelächter aus.

Kitiara machte einen Schritt auf Radisson zu, während ihre Hand zu ihrem Messer glitt, das nicht da war – tatsächlich, sie war unbewaffnet, und zu ihren Kleidern gehörte weder ein Gürtel noch Schlingen für Waffen.

»Du hast dich gut ausgeruht«, sagte Ursa gereizt, der Kit den Weg abschnitt. »Du hast sowieso nicht viel zu tun. Aber jetzt beeil dich.« Er sah zur Sonne, die bereits die Hälfte ihrer morgendlichen Bahn zurückgelegt hatte. »Wir wollen doch unsere… Verabredung nicht versäumen.«

Kit sah unwillkürlich erneut zu El-Navar, doch der Karnuthier hatte sich nicht gerührt, ja, noch nicht einmal zu ihr hergesehen. Es sah aus, als würde er schlafen oder als wäre er tot, als wenn nur seine Augen lebten, die den Horizont absuchten.

Verdammt sollst du sein, dachte Kit kalt.

Während die anderen warteten, kümmerte sie sich um Cinnamon. Dann steckte sie – nur für alle Fälle – Gilons kleines Schnitzmesser ein. Minuten später hatte Kit sich schon auf die Fuchsstute ihres Vaters geschwungen und ritt als letzte der Söldnergruppe los, deren Mitglieder in weitem Abstand bereits dahinzogen. Heute ritt El-Navar ganz vorn, wenn auch im Sattel zusammengesunken. Die ganze Zeit warf er keinen Blick nach hinten.