Выбрать главу

Das Aufwachen fiel ihr schwer. Kit streckte sich auf ihrer zu kurzen Unterlage. Aus dem Geflüster, das von unten kam, schloß sie, daß Gilon und Raist sich bereits für ihren langen Weg nach Teichgrund rüsteten und daß der Rest der Familie noch schlief. Es war früh – erst kurz nach Sonnenaufgang –, als sie sie aus der Tür schlüpfen hörte.

Kit wartete noch einen Augenblick, bis sie ganz sicher fort waren, bevor sie ein paar Kleidungsstücke nahm und vom Dachboden herunterstieg. Als sie unten ankam, war Caramon schon auf. Auf die Ellenbogen gestützt, lächelte er sie verschlafen an.

»Was ist mit deiner Schule, Caramon? Wann mußt du da sein?«

»Ich muß in einer Stunde los, falls ich gehe. Wenn Mutter einen Anfall hat, bleibe ich meist zu Hause, damit ihr nichts passiert. Was ist mit Frühstück? Vater läßt mir normalerweise was da.«

Kit fand ein Honigbrot, das im Vorratsschrank beiseite gelegt war. Allzu gut war der Schrank nicht bestückt. Sie schmierte sich selbst eine Scheibe und holte noch mehr Essen für sich und Caramon zum Frühstück heraus.

»Was machen wir nach dem Essen?« fragte Caramon gespannt. »Soll ich dir meinen Scheinangriff zeigen?«

»Schling nicht so«, ermahnte Kit ihren kleinen Bruder, der angefangen hatte, sein Frühstück in sich hineinzustopfen.

»Zuerst muß ich auch mal was essen, und bevor ich dann etwas anderes mache, muß ich mich um Cinnamon kümmern, die braucht Futter und Wasser. Vielleicht hinterher.«

»Ich habe dein Holzschwert genommen, solange du fort warst, das, was Gregor dir dagelassen hat«, sagte Caramon, der fröhlich weiterplapperte. »Ich hoffe, da hast du nichts dagegen. Zum Üben ist das nämlich ganz toll. Allerdings bin ich jetzt zu groß dafür – jetzt, wo ich ein echtes Schwert habe.«

Kitiara langte über den Tisch und verpaßte ihm eine Kopfnuß.

»Aua! Was soll das?« fragte Caramon.

»Für deine Dämlichkeit«, antwortete Kit. »Das richtige Schwert läßt du zu Hause, bis du größer bist. Das hat mir mein Vater jedenfalls eingeschärft: Zeig nie ein Schwert, wenn du es noch nicht richtig benutzen kannst. Und soweit bist du die nächsten Jahre noch nicht. In der Zwischenzeit ist ein Holzschwert genau richtig für einen Knirps wie dich.«

»Och«, sagte Caramon zerknirscht.

»Aber, Kitiara, du bist ja wieder da.«

Kit schrak hoch, als sie ihren Namen hörte, und drehte sich zu Rosamund um, die auf der Schwelle zu ihrer Schlafkammer stand. Ihre Mutter war aufgewacht, lächelte und war im Moment bei klarem Verstand. Sie schien nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen und wirkte fast wie eine Greisin.

Weder Rosamunds geisterhafte Erscheinung noch ihre veränderte Gemütslage schienen Caramon besonders zu beeindrucken, der glücklich zu seiner Mutter hinsprang, sie umarmte und küßte.

»Ja, ist das nicht toll? Sie ist gestern zum Abendessen nach Hause gekommen. Sie hat mir ein richtig wertvolles Schwert mitgebracht, Mutter.«

Caramon nahm Rosamund jetzt an der Hand und führte sie zur Kochstelle. Dort ließ er sie los und holte schnell den bequemen Lehnstuhl aus Eschenholz, Rosamunds Stuhl, den Gilon eigenhändig gebaut hatte. Caramon schob ihn ans Fenster, wo die Sonne hereinschien. Rosamund sank in den Stuhl und lehnte den Kopf zurück. Anscheinend hatte sie allein der kurze Weg durch den Raum schon erschöpft.

Kit sah, wie schwach Rosamunds Verfassung war. Heute würde Caramon nicht zur Schule gehen. »Soll ich Teewasser für dich aufsetzen, Mutter?« fragte der Junge.

Rosamund lächelte. »Das klingt gut, Schatz.«

Caramon holte eifrig den Kessel. Kit sah deutlich, daß er ihr beweisen wollte, daß er bereits ganz alleine Tee kochen konnte.

Als Rosamund einen Schluck Tee nahm, zeigte Caramon ihr stolz das Schwert, das Kit ihm mitgebracht hatte. Während er neben ihr kniete, streichelte sie seine goldbraunen Haare. Die ganze entrückte Aufmerksamkeit ihrer Mutter galt dem Jungen. Obwohl Kit wochenlang fort gewesen war, nahm Rosamund ihre Tochter kaum wahr. Je länger Kit unbeachtet dastand, desto mehr ärgerte sie sich über die idyllische häusliche Szene, von der sie sich ausgeschlossen fühlte.

»Und, Caramon?« unterbrach sie scharf. »Wollen wir jetzt mit den Schwertern üben oder nicht?«

»Na klar!« Er sprang schon auf.

»Holst du mein Schwert auch, ja?« bat sie ihn.

Caramon griff unter sein Bett und holte sowohl Kitiaras altes Holzschwert als auch das mit dem kleinen Griff hervor, das Gilon ihm geschnitzt hatte. Während der Möchtegernkämpfer begeistert beide Holzklingen durch die Luft sausen ließ, warf Kit einen Blick auf Rosamund, die mit verletztem Gesichtsausdruck in ihrem Stuhl zusammengesackt war.

»Erst müssen wir nach Cinnamon sehen«, erinnerte Kit. »Ich bring’ dir mal bei, wie man ein Pferd pflegt. Das sollte ein Krieger auch wissen.«

Caramon schoß ohne einen weiteren Blick auf seine Mutter zur Tür hinaus.

Caramon und Kitiara trainierten ein paar Stunden lang. Kit benutzte ihr altes Holzschwert, womit sie sich kindisch vorkam, doch sie würde bestimmt nicht Becks Schwert herausholen, damit Caramon – oder wer auch immer vorbeikommen würde – es sehen konnte. Caramon schwang das Schwert, das er von Gilon hatte. Es war kürzer als ihres, aber stabiler. Beide Spielzeugwaffen waren so scharf, daß es weh tat, wenn sie trafen.

Bruder und Schwester setzten einander unten am Schuppen hart zu. Kit mußte eingestehen, daß Caramon sich enorm verbessert hatte. Was ihm an Technik fehlte, machte er durch Behendigkeit und Entschlossenheit mehr als wett. Sie konnte ihn zwar treffen, aber nicht mehr in die Enge treiben. Der forsche Sechsjährige runzelte konzentriert die Stirn, auf der ihm die schweißnassen Haare klebten, doch er wurde langsam müde. Kit ging es ebenso, aber keiner wollte aufgeben.

»Gehen wir an den See«, machte Kit schließlich ein Friedensangebot.

Nicht weit von ihrem Haus entfernt lag der Krystallmirsee – Altweibersee, wie die Kinder ihn manchmal nannten, weil der Legende nach eine Hexe dort herumspukte. Hin und wieder wurde das alte Weib von einem Fischer gesichtet, der zuviel getrunken hatte, oder von einem Gnom auf Wanderschaft, der sich, wenn er die Geschichte hörte, zwei oder drei Tage lang ans Seeufer setzte und sein Absolut-alles-durchschauendes-Aquaskop ausprobierte.

»Gute Idee«, meinte Caramon, der vor ihr herlaufen wollte. Kit überholte ihn an einer Biegung ohne Mühe.

Das Ufer war teils moosbewachsen, teils sandig, der See still. Am Wasserrand hatten sich Stöcke, Blätter, tote Insekten, Wasserpflanzen und Seerosen angesammelt.

Eine Stunde lang erforschten sie das Ufer, wobei sie häufig stehenblieben, um große Steine umzudrehen und kleinere über die Wasseroberfläche hüpfen zu lassen. Caramon watete hinein, um Krebse zu fangen, die ihm jedoch aus den ungeschickten Händen entwischten. Kit grinste, als er einen von ihnen beschimpfte, dem es gelungen war, ihn in den Finger zu zwicken. Als ihr Bruder rückwärts in Wasser kippte und klatschnaß wieder auftauchte, brach sie in schallendes Gelächter aus.

Oben am Ufer wrang Caramon sein Hemd aus, während Kit faul auf dem Rücken lag und sich wunderte, wie sie das gute alte Solace so bald schon wieder langweilen konnte.

»Kit?«, fragte Caramon, der angestrengt das Wasser aus seinem Hemd drückte.

»Ja?« antwortete sie verträumt.

»Hast du je das alte Weib gesehen?« wollte er wissen.

»Was für ein Weib?«

»Das vom Altweibersee.«

»Ach«, meinte sie mit geschlossenen Augen. »Das ist bloß so eine Geschichte, um kleinen Kindern angst zu machen.«

»Das sagt Raist auch«, gab Caramon kleinlaut zu.

Anschließend gingen sie nach Hause, sahen nach Rosamund, die schlief, und beschlossen, Cinnamon ein bißchen Bewegung zu verschaffen. Während Kit die Stute sattelte, scharrte Caramon ziellos herum und durchwühlte den Schuppen.

»Kit! Was ist das denn? Das hast du mir gar nicht gezeigt. Wo hast du das her? Das ist wunderschön!«