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Kit fuhr herum und sah, daß Caramon mit Becks Schwert herumfuchtelte. Wütend riß sie es ihm weg und packte es schnell wieder ein. Dann schob sie es tiefer ins Stroh bis hinter einen Steinhaufen.

»Wo das herkommt, geht dich nichts an«, sagte sie ergrimmt. »Keiner darf erfahren, daß ich das habe. Verstanden? Niemand! Bei deiner Kriegerehre, versprich, daß du es vergißt.« Drohend baute sie sich vor ihrem kleinen Bruder auf.

»Bei was?«

Kit hob die Hand.

»Ja, ja, schon gut, versprochen.«Später gingen sie reiten. Kit saß hinter Caramon und hatte die Arme um ihn gelegt, so daß sie beide die Zügel halten konnten. Nachdem sie die Fuchsstute hinter dem Wald ins hohe Gras gelenkt hatten, ritten sie ein paar Stunden kreuz und quer durch das freie Gelände, wobei sie so lachten, daß sie fast vom Pferd fielen. Wie gut sich der Wind anfühlte!

Als sie vom Reiten zurückkamen, war schon fast der ganze Tag vergangen. Um diese Zeit kam Raist gewöhnlich heim. Caramon erzählte Kit, daß sein Zwillingsbruder an manchen Tagen länger blieb und dann in Teichgrund übernachtete. Eine Reihe von Lehrlingen stammten von weiter fort und wohnten in der Zauberschule, weshalb es gute Zimmer gab. Aber meistens lief Raistlin lieber den langen Weg nach Hause. Als Kit nach dem Grund fragte, erwiderte Caramon mit nachdenklicher Miene:

»Er hat dort nicht viele Freunde. Er hat mir erzählt, daß sie ›der Schlaue‹ zu ihm sagen. Ich glaube, weil er klüger ist als alle anderen. Er ist immer als erster mit seinen Aufgaben fertig und kann sich die Zaubersprüche am besten merken.« Caramon machte eine kurze Pause, sah auf seine Zehen hinunter und trat beim Gehen nach einem Stein. Er runzelte die Stirn.

»Morat mag ihn anscheinend auch nicht besonders. Der Zaubermeister denkt sich immer wieder besondere Aufgaben für ihn aus. Das ist der Grund, warum Raist über Nacht bleibt; wenn er nämlich zu viele Extraaufgaben hat.«

Vor dem Aufstieg zum Haus Majere blieb Caramon stehen, die Fäuste in die Seiten gestemmt. »Ich weiß, ich sollte ihm helfen, aber ich weiß nicht, wie. Ich weiß, ich müßte mich um Raistlin und Mutter kümmern, wenn du nicht da bist. Vater versucht es ja, aber er arbeitet von morgens bis abends, bloß damit wir etwas zu essen auf dem Tisch haben.«

In diesem Augenblick war Kit stolz auf Klein-Caramon. War er nicht in mancher Hinsicht genau wie sie? War sie nicht auch erst sieben gewesen, als Gregor sie mit Rosamund allein zurückgelassen hatte? Und hatte sie nicht mit acht die volle Verantwortung für die Pflege der Zwillinge übernommen?

Da tauchte Raistlin vor ihnen auf. Seine Kleider waren schmutzig und zerrissen. Ein Auge war zugeschwollen, und seine Oberlippe blutete.

»Wer war das?« fragte Caramon herrisch.

Raist schob sich mit zitternder Unterlippe an den beiden vorbei in Richtung Haus, ohne eine Wort zu sagen. Drinnen stürzte sich Rosamund auf der Stelle aufgeregt schluchzend auf ihn. Sie setzte ihn auf einen Stuhl, um seine Lippe und die Kratzer zu säubern. Caramon lief vor der Tür auf und ab und schwor Rache. Kit hielt sich abseits, während sie die Szene besorgt beobachtete.

Anschließend zog sich Rosamund in den Anbau zurück, und Raistlin und Caramon begannen zu streiten.

»Wenn ich bei dir gewesen wäre, wäre das nie passiert«, sagte Caramon, der sich in die Brust warf.

»Mach dich nicht lächerlich. Das ist etwas zwischen mir und – «

»Caramon, reg dich ab«, befahl Kit. »So, Raist, jetzt erzähl uns, was passiert ist. Ich glaube, wir sind uns einig, daß jede Rache von uns allen dreien viel süßer sein wird als alles, was du allein aushecken kannst.« Ihr Ton ließ keine Widerrede zu.

»Ich war auf dem Heimweg von der Schule, kurz vor Solace, da wo die jungen Bäume stehen«, fing Raistlin langsam an. »Ich war gerade aus der hellen Sonne in den Schatten dieses Waldstücks gekommen, und meine Augen hatten sich noch nicht ganz an das Zwielicht angepaßt, darum weiß ich nicht genau, was passiert ist. Aber irgend jemand oder irgend etwas ist in dem Moment auf mich heruntergesprungen, als ich gestolpert bin. Ich glaube, über ein Seil, das quer über den Pfad gespannt war. Ich bin mit dem Gesicht auf ein paar Steine geknallt, davon habe ich die aufgesprungene Lippe.

Bevor ich wieder klar denken konnte, waren meine Hände und Füße gefesselt. Ich habe gesehen, wer mich gefesselt hat – das war Dune Wister. Sein Bruder Bronk war bei ihm. Sie haben sich darüber lustig gemacht, daß ich ein Zauberkundiger bin. Dann haben sie meine Taschen durchsucht. Ich hatte natürlich kein Gold oder Silber, aber sie haben die Beutel genommen, die du mir für meine Zauberzutaten gegeben hast, und haben statt dessen Fledermausmist hineingetan. Dann sind sie lachend weggerannt, und ich habe ziemlich lange gebraucht, um mich zu befreien.«

Raist sah ganz kurz so aus, als wenn er gleich weinen würde, doch dann unterdrückte er die Tränen standhaft.

»Diese Schweine!« fuhr Caramon auf.

»Ruhe!« fauchte Kitiara.

»Dune und Caramon sind in der Schule in einer Klasse«, fuhr Raist fort. »Dune ist genau wie sein Bruder, ein fetter Raufbold. Jedesmal, wenn er uns sieht, zieht er über Mutter her.« Raistlins Stimme wurde etwas gedämpft.

»Erzähl ihr vom letzten Mal«, drängte Caramon.

»Letztes Mal«, berichtete Raistlin nach einem Blick auf seinen Bruder, »war ich vorbereitet. Wir haben in Teichgrund bis jetzt noch nicht viele Zauber gelernt, bloß ein paar einfache Illusionen. Für die eine braucht man nur getrocknete Käferflügel, die ja leicht zu bekommen sind. Darum hatte ich welche dabei. Und als Dune dann anfing, etwas über Mutter zu sagen, hat Caramon ihn festgehalten und ich hab’ den Zauber gesprochen. Jedesmal, wenn er den Mund aufmachte, um etwas zu sagen, kamen Viecher raus.« Raistlin und Caramon grinsten bei der Erinnerung daran.

»Viecher?« wiederholte Kit.

»Na, Käfer und Ameisen, Tausendfüßler und Fliegen. Dune konnte nicht mehr den Mund aufmachen, ohne Viehzeug auszuspucken. Der Spruch sollte ein paar Stunden anhalten; darum glaube ich, daß es ihm an dem Tag bestimmt keinen Spaß mehr gemacht hat, andere zu ärgern.«

Trotz seiner Kratzer und der geschwollenen Lippe wirkte Raistlin stolz. Caramon grinste jedoch nicht mehr. »Wir sollten es auf meine Weise beilegen«, erklärte er wild. »Wir sind drei gegen zwei. Bronk und Dune werden es nicht wagen, Raist noch einmal anzuspringen.«

Raistlin sah seinen Zwillingsbruder finster an, doch Kit kam ihm zuvor.

»Ein guter Kopf ist mehr wert als ein Dutzend gestandene Krieger«, sagte sie mit Nachdruck. Das war einer von Gregors Wahlsprüchen, den die Zwillinge schon öfter von Kitiara gehört hatten.

»Kommt her«, sagte sie, während sie ihre kleinen Brüder nah zu sich heran zog. »Ich habe eine Idee.«

Die Sonne war gerade aufgegangen, als Kit den Zettel unter der Tür durchschob. Sie hoffte, daß Bronk – der Älteste – als erster zur Arbeit aufstehen würde. Wenn Aurelie damals vor ein paar Monaten recht gehabt hatte, würde Bronk einer Einladung von Kitiara nicht widerstehen können, selbst wenn sein bißchen Verstand ihm sagen sollte, daß die Umstände verdächtig waren.

Mein Herz hat schneller geschlagen, als ich dich neulich sah. Wir treffen uns bei Sonnenuntergang am Ende des Wegs zum Krystallmirsee.

Voller Sehnsucht, Kitiara.

Weil Raistlin immer noch über Schmerzen klagte, ging er heute nicht nach Teichgrund. Gilon zog bei dieser Ausrede die Augenbrauen hoch, denn Raist war selbst mit hohem Fieber immer ganz versessen auf die Schule gewesen. Aber Gilon hatte seine eigenen Sorgen, und Raists Schauspielerei überzeugte ihn.

Nachdem Rosamund den Zwillingen fürsorglich Frühstück gemacht hatte, war sie erschöpft, und sie döste in ihrem Lieblingsstuhl ein.

Kit, Raist und Caramon liefen den ganzen Tag geheimnistuerisch rein und raus. Nachdem sie sich ein letztes Mal flüsternd abgesprochen hatten, verschwand Kit am Spätnachmittag mit einem Bündel unterm Arm. Keiner von ihnen kam zum Abendbrot nach Hause, so daß Rosamund sich große Sorgen machte.