»Natürlich«, mußte Caramon unbedingt noch hinzufügen, »hätte ich sie auch plattmachen können, wenn ihr zugelassen hättet, daß ich die Sache auf meine Art regele.« Er nahm eine verletzte Haltung ein. »Aber das war natürlich lustiger«, gab er kurz darauf zu. »Gute Arbeit, Raist.«
»Das ›Monster‹ hast du gebaut«, sagte der.
»Das Ding da lassen wir hier«, meinte Kit, die aufgestanden war, um die Reste ihrer Schöpfung anzusehen. »Bronk und Dune kommen bestimmt tagsüber zurück, um die Sache zu untersuchen. Dann können sie sehen, wovor sie davongelaufen sind – Birkenrinde, ein leeres Bierfaß, Schafblasen und alte Lumpen. Das war die Hexe vom Altweibersee.«
Wieder lachten sie.
»Morgen erzählen wir es überall, stimmt’s?« rief Caramon begeistert. »Das wird ihnen eine Lehre sein.«
»Nein«, sagte Raist.
Caramon wunderte sich, doch Kit nickte. Sie verstand.
»Sollen sie sich doch fragen, warum wir es niemandem erzählen«, sagte Raist weise. »Sollen sie sich doch fragen, wann wir damit anfangen.«
Auf dem ganzen Rückweg zur Hütte lachten sie, während sie noch einmal ihren fabelhaften Streich an Dune und Bronk durchspielten. Zu Hause war sogar Kit entzückt, denn Rosamund hatte Vanillepudding gekocht.
Fast seit dem Moment ihrer Rückkehr nach Solace brannte Kitiara vor Ungeduld. Doch während die Tage kürzer wurden und der Herbst nahte, blieb Kit weiter im Haus Majere. Ehe sie sich versah, war schon wieder der Winter angebrochen, dann der Frühling, dann ein weiterer Sommer.
Kit wollte unbedingt wieder fort, doch sie hatte kaum Geld und kein rechtes Ziel. Es gab nichts Neues über ihren Vater, und sie war so weit von Silberloch entfernt, daß sie nicht erwarten konnte, irgend etwas Neues von Ursa zu hören. Sie wußte ja auch, daß der Söldner nie wieder in diesen Teil der Welt zurückkehren wollte.
Meistens kümmerte sie sich um Caramon und Raistlin, doch die beiden beschäftigten sich nur mit ihrer Schule und waren inzwischen so selbständig, daß Kitiara sich kaum um sie zu kümmern brauchte.
Rosamunds Gesundheitszustand hatte sich erneut verschlechtert. Die meiste Zeit hatte sie keine Ahnung, daß Kit wie früher oben in ihrem kleinen Kabuff lebte. Rosamund war so schwach, daß sie teilweise wochenlang bettlägerig war. Wenigstens konnte man sie so leicht pflegen. Auf Gilons Bitte hin kam Bigardus mehrmals in der Woche ins Haus.
Kits alte Freundin Aurelie Damark hatte sich zur Frau entwickelt und einen festen Freund gefunden, Ewen Low, einen Kadetten der Miliz. Wenn die beiden jungen Mädchen sich trafen, kicherten und tratschten sie wieder wie früher, doch Aurelies Mutter sorgte dafür, daß Kit möglichst wenig eingeladen wurde.
Der nächste Winter kündigte sich an. Als das Wetter kälter wurde, hockte Kit häufiger bei Otik, um sich die Reisenden anzusehen, die durch Solace zogen.
10
Ein Versprechen
Obwohl Otik Sandahl das Wirtshaus »Zur Letzten Bleibe« erst ungefähr fünfzehn Jahre führte, hatte sich der Ruf des Hauses schon in ganz Abanasinia verbreitet. Reisende legten Wert darauf, in Solace Station zu machen, um Otiks selbstgebrautes Bier und seine Würzkartoffeln zu kosten. Der Wirt selbst galt als Original. Seine runden Augen und sein ebenso runder Bauch verrieten eine Lebensfreude, die er trotz der harten Arbeit mit seinen Gästen teilen wollte.
Der gegenwärtige Bekanntheitsgrad des Wirtshauses »Zur Letzten Bleibe« war um so bemerkenswerter wegen des schlechten Rufs seiner vorherigen Besitzer. Das waren Hügelzwerge gewesen, ein Ehepaar, dessen sture Art einem alles vergällen konnte, vom Bier bis zu der ohnehin ungastlichen Stimmung, die die Reisenden schon in dem Moment spürten, in dem sie das Haus betraten. Die Küchengerüche hätten selbst die Nase eines Gossenzwergs beleidigt – zumindest beinahe.
Vielleicht lag die Wurzel in ihrer Unzufriedenheit, daß sie so hoch über der Erde wohnen mußten, oder in dem endlosen Ärger darüber, daß ihr Clan aus den Bergen vertrieben worden war. Was auch immer der Grund war, ihre Ehe bestand aus kalten Blicken und offenem Gekeife, obwohl sich der Ruf des Wirtshauses dadurch immer noch weiter verschlechterte.
Eines Tages stand der Mann vor allen anderen Bewohnern von Solace auf, packte ein paar Sachen ein und verließ die Stadt. Keiner vermißte ihn, am allerwenigsten seine Frau, die das Haus Gerüchten zufolge »für einen halben Kenderpfennig« an den nächstbesten Reisenden verscherbelte – nämlich Otik Sandahl. Wo Otik hergekommen war oder wo er hinwollte, war ziemlich unklar. Doch unabhängig von seinen ursprünglichen Plänen, hatte Otik einen Punkt in seinem Leben erreicht, wo er weniger reisen und endlich seßhaft werden wollte. Auf jeden Fall war es ein glücklicher Zufall. Otik hatte seine wahre Berufung gefunden.
Zuallererst ging er daran, das Wirtshaus gründlich zu putzen und den Vallenholzboden sowie die Einrichtung liebevoll auf Hochglanz zu polieren. Dann nahm er sich die Küche vor. Über seine würzigen Bratkartoffeln verriet Otik nur, daß das Rezept zwei Grundzutaten hatte: Kartoffeln und Gewürze. »Wenn dich das nicht satt macht, brauchst du nicht zu zahlen«, sagte Otik gerne. Bald zweifelte keiner mehr an dieser Aussage.
Nicht ganz so berühmt, aber ebenso lecker waren die anderen Gerichte, deren Zubereitung er auf seinen Reisen gelernt hatte – geschmorte Forelle, Entenleberpastete, Rehsuppe und Cranbeerenüberraschung.
Seine Wanderzeit spiegelte sich auch in der Dekoration der Wirtsstube wider. Otik schmückte die Wände mit zahlreichen Mitbringseln, Kuriositäten und allem möglichen Zeug, an dem sein Herz hing. Und diese Sammlung wurde ständig erweitert. Trotz der Proteste seiner Gäste ließ es sich Otik nicht nehmen, sein Wirtshaus jedes Jahr für einen Monat zu schließen – weil er niemand anders zugetraut hätte, es ordentlich weiterzuführen –, um seiner immer noch drängenden Wanderlust nachzugehen.
Otik war fest entschlossen, in seinem Leben so viel wie möglich von Krynn zu sehen, und er kam weit herum. Auf einer groben Karte hinter dem langen Schanktisch, die er von einem Kender gegen die Mahlzeit eingetauscht hatte, waren alle Orte mit einem Kreuzchen markiert, an denen er gewesen war. Otik kam immer mit Andenken zurück – einmal mit einer furchterregenden Minotaurenstreitaxt, ein anderes Mal mit einem feinbestickten Elfenschal.
An seinem ersten Tag in Solace präsentierte er diese Mitbringsel dann mit großem Tamtam seinen Stammgästen und jedem, der zufällig im Gasthaus weilte. Anschließend fügte er die Dinge stolz seiner Dekoration hinzu, machte viel Aufhebens um den besten Ausstellungsplatz und ließ sich dabei ausgiebig von seinen Gästen beraten.
Inzwischen war das Wirtshaus »Zur Letzten Bleibe« zu einem richtigen Museum mit Gegenständen aus den verschiedensten Kulturen von Krynn geworden. Diese Sammlung war einer der Gründe, weshalb Kitiara es liebte, aber auch haßte, im Gasthaus herumzulungern. Dort starrte sie die Sachen an und gab sich Tagträumen hin, woher sie wohl stammten und was sie mitgemacht haben mochten. Aber solche Tagträume führten Kit immer wieder zu der Tatsache zurück, daß sie in Solace festsaß, fernab von allen Abenteuern. Bei diesem Gedanken vergrub sie dann ihren Kopf in den Händen, stöhnte vor Sehnsucht und verließ dann eilig das Gasthaus, in dem sie sich eine gute Woche lang nicht mehr blicken lassen würde.
Doch Kitiara kam stets zurück. Da sie zu jung war, um an Otiks Bier Geschmack zu finden, und zu knapp bei Kasse, um sich seine herzhaften Gerichte leisten zu können, bestellte sie meist nicht viel, sondern saß einfach allein an ihrem Tisch, wo sie stundenlang an einem Glas Birnensaft nippte. Ihr Lieblingsplatz war eine Ecke an der Eingangstür. Dort hatte sie alle Reisenden gleich im Blick, die die lange Wendeltreppe zu dem Haus in den Baumwipfeln hochkamen. Einer von ihnen brachte vielleicht Neuigkeiten über ihren Vater. Einer von ihnen konnte vielleicht das langweilige Leben in Solace erträglicher machen.
Kitiara war viel länger in dem Baumdorf geblieben, als sie nach der Rückkehr von ihren Abenteuern mit Ursa und dem Aufenthalt in Stumpfhausen erwartet hatte – über zwei Jahre. Vergeblich hatte sie auf eine passende Reisegruppe gewartet, der sie sich hätte anschließen können, um wieder fortgehen zu können, Reisende, die etwas Interessanteres ansteuern wollten als das nächste Dorf.