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Kitiara hatte in Solace schon viele Messer in der Hand gehabt, doch sie hatte nie richtig zielen gelernt, geschweige denn mit einem kurzen Messer wie diesem geübt. Gilons Messer waren eher nützlich. Sie eigneten sich dazu, Fleisch zu schneiden oder ein Tischbein zu glätten, und weniger zum Kämpfen.

Stratke grinste sie ermutigend an. Er, Lurie und Kit waren so etwas wie Freunde geworden, was etwas überraschend war, wenn man bedachte, daß Stratke keinen einzigen Satz herausbringen konnte und Lurie seine ganz eigene Ausdrucksweise hatte, die nicht immer einen Sinn ergab.

»Hier«, sagte Lurie, »so halten.« Er legte ihr den Arm um die Schulter, legte seine Hand auf ihre, und wollte ihr zeigen, wie sie das Messer anfassen und die Finger am Griff entlang legen mußte. Dann machte er eine peitschenartige Bewegung zur Seite. Das Messer flog aus ihrer Hand, sauste über eine Handbreit am Ziel vorbei und bohrte sich dann in ein Regenfaß, das glücklicherweise leer war.

Stratke bekundete seine Verachtung für Lurie, der vergessen hatte, ihrer beider Schülerin eine lebenswichtige Sache mitzuteilen. Er lief hin, zog das Messer heraus und brachte es Kit zurück. Bevor er es ihr gab, wischte er betont sorgfältig beide Seiten der Klinge an seiner Hose ab. Verwirrt sah sie Lurie an, denn die Klinge war doch gar nicht naß geworden.

»Stratke meint: ›Trocken halten‹«, übersetzte Lurie.

»Wieso?« fragte Kitiara, die sich auf den nächsten Wurf vorbereitete.

Stratke gab ein paar kaum erkennbare, erstickte Laute von sich, die er mit dem für ihn typischen Grinsen beendete. »Besseres Ziel«, sagte Lurie wie nebenher. »Wasser krümmt das Messer. Trocken geht auch tiefer rein. Immer trocken vor großem Kampf oder nach jedem Wurf. Sehr trocken, am besten.«

Diesmal wollte Kit alleine werfen. Im letzten Augenblick brachte ein Schwanken des Schiffes sie aus dem Gleichgewicht, so daß der Wurf daneben ging und das Messer mehrere Fuß neben dem Ziel aufs Deck fiel. Begeistert rannte Stratke los, um es wieder zu holen.

Als der große Sklave zurückkam, zeigte er ihr, wie er gewöhnlich das Messer anfaßte und warf. Stratkes Finger schlossen sich um den Griff. Sein Körper spannte sich, als er sich halb herumwarf – trotz seiner Fülle war Kitiara von der Geschmeidigkeit seiner Bewegung beeindruckt –, und das Messer blitzschnell aus seiner Hand schoß. Einen Augenblick später sah sie, daß die Klinge in der Brust der Puppe steckte.

Lurie schlenderte hin, um es herauszuziehen, und warf Stratke einen verächtlichen Blick zu, als er sich selbst zum Werfen anschickte. Es war, als müßte sich Patricks Sklave eigentlich schämen, daß er geprahlt hatte. »Volltreffer«, meinte der Maat trocken.

Lurie wies Kitiara bereitwillig in alle Vorgänge auf dem Schiff ein, vor allem, argwöhnte sie, um dadurch seinen üblichen Pflichten zu entkommen. Mit nur gut hundertzwanzig Fuß Länge vom Bug bis zum Heck war die »Silberhecht« kein besonders großes Schiff. Dennoch gab es eine Unmenge Dinge zu sehen und zu entdecken. Der einzige Raum, der Kits Forschungsdrang verschlossen blieb, war La Cavas Privatkajüte. Der Kapitän schloß seine Kabine ab, wenn er nicht darin war, und Lurie, der einen Schlüssel besaß, wagte keine Übertretung. Kits und Patricks Kabine lagen neben der des Kapitäns im Heck.

Die anderen Passagiere waren weiter vorne in zehn Kabinen untergebracht, die kleiner als die von Kit, doch auch sehr schön eingerichtet waren. Einmal sahen sie und Lurie sich diesen kleinen Teil des Schiffes an. Mehrere Türen standen offen, damit noch der kleinste Windhauch eindringen konnte. Die stets neugierige Kit sah in alle Kabinen hinein, wo das möglich war, und entdeckte, daß jede einzelne mit Eiche getäfelt und mit eleganten, praktischen Möbeln und Plüschkissen eingerichtet war.

In einer Kabine erblickte sie eine dicke, verschleierte Dame, die trotz der Hitze ein Wollkleid trug und schwer atmend auf ihrem Bett ruhte. Der Junge, der mit ihr fuhr, gab sich größte Mühe, ihr mit einem großen Fächer aus Pfauenfedern Kühlung zu verschaffen. Beide waren für die Hitze absurd warm angezogen, was Kit ihnen beinahe gesagt hätte. Doch Lurie stupste sie an, und sie ging weiter.

Durch die andere Tür konnte Kitiara einen Blick auf einen blassen Elfen werfen, dessen spitze Ohren durch sein langes weißblondes Haar stachen. Er saß auf einem Hocker und starrte aus einem Fenster aufs Meer. Obwohl er mit dem Rücken zur Tür saß, kam es Kit so vor, als hätte er die Augen geschlossen. Er murmelte etwas, was sich wie eine Art Singsang anhörte. Lurie verlagerte neben ihr ungeduldig sein Gewicht, streifte dabei den Türrahmen und verursachte dadurch ein Geräusch, das den Elfen abrupt herumfahren ließ. Sein Gesicht trug einen so finsteren Ausdruck, daß Kit unwillkürlich einen Schritt zurücktrat und weitereilte.

An einem anderen Tag führte Lurie Kitiara zu den Gefangenen, wo ein Dutzend angekettete Minotauren bei Windstille zu einem rhythmischen Seemannslied rudern mußten. Sie wurden ständig von einem von La Cavas Männern bewacht. Immerhin wußte Kit, daß sie relativ gut behandelt wurden, denn sie bekamen das gleiche Essen und Wasser wie die Matrosen und die reichen Passagiere.

Kit starrte sie fasziniert an, denn sie erinnerte sich noch an das erste Mal, als sie einen Minotaurus aus der Nähe gesehen hatte. Da war Gregor dabeigewesen, damals vor der Schlacht gegen Flinkwasser. Diese hier trugen natürlich keine Waffen, aber ihre massigen, behaarten Körper flößten ihr dennoch Respekt ein. Ihre scharfen Hörner mußten tödlich sein. Die riesigen Augen schienen auf irgendwelche fernen Punkte zu starren, die für Menschen unsichtbar waren. Trotz der Ketten, die ihre Füße an den Boden banden, strahlten sie eine gänzlich ungebändigte Kraft aus.

Außerdem ging ein kräftiger Geruch von ihnen aus. Lurie zog ein Taschentuch hervor, mit dem er seine Nase bedeckte.

»Sie wirken«, sagte Kit, die nach den richtigen Worten suchte, »beinahe königlich. Als wenn sie diejenigen in den Kabinen sein sollten und wir alle hier an den Rudern sitzen müßten.«

»Manchmal«, erklärte Lurie, der sich die Nase zuhielt, »spielen sie verrückt. Dann Ärger. Meistens schwere Arbeit, gute Arbeit. Stinken aber. Viel stinken.«

»Ja«, mußte Kitiara einräumen. »Viel stinken.«Nach einer Woche auf See erhielten Patrick und Kitiara vom Kapitän eine Einladung, anläßlich seines Geburtstags mit ihm zu speisen. Im Gegensatz zu den anderen Abenden, an denen sie im Speisesaal des Schiffs aßen, hatten sie diesmal das Privileg, in La Cavas Quartier eingeladen zu werden. Patrick hatte an diesem Tag besonders abwesend gewirkt, und um ihm möglichst gut zu gefallen, wollte sich Kit für diese Gelegenheit besonders anziehen. Sie wühlte in der Truhe seiner Mutter herum und wählte ein weißes, schulterfreies Kleid. Der durchsichtige Stoff wogte anmutig bis zum Boden um ihre Figur. Dazu trug sie den Chrysoprasanhänger, den Patrick ihr geschenkt hatte, und sie bürstete ihre Haare gründlich durch. Als er an die Tür klopfte und sie seine Reaktion sah, wußte Kitiara, daß sie gut gewählt hatte.

»Was für ein schöner Anblick«, murmelte er.

Patrick selbst trug eine Uniform, die einmal seinem Vater gehört haben mußte, denn sie war ihm ein wenig zu groß. Schultern und Hüften waren mit Tressen geschmückt, und die Uniform zeigte das Wappen der Familie. An seinem Gürtel hing zu Kits Überraschung das Schwert, das sie ihm geschenkt hatte. Die kostbaren Steine blinkten im Licht der Kabine. Kit fand, daß er umwerfend aussah. Spontan umarmte sie ihn und freute sich über seine warme Reaktion. Hand in Hand gingen sie zur Kapitänskajüte hinüber.

Kit wußte nicht, was sie erwartet hatte, doch was sie sah, waren bestens eingerichtete Zimmer, in denen sich ein anspruchsvoller Geschmack mit den unvorhersehbaren Spuren eines Lebens auf See vermischte. La Cava hatte Regale voller Bücher, dazwischen hin und wieder ein Stück Treibholz, an den Wänden hingen gerahmte Gemälde neben bunten Seekarten. Durch die Tür zu seinem Schlafzimmer konnte Kit sehen, daß sein Bett mit einer schön genähten, bunten Steppdecke zugedeckt war. In dem Raum, wo sie jetzt essen würden, stellte ein Podest den Ehrenplatz dar. Drumherum wickelte sich eine graugrüne Kreatur mit Tentakeln, herausquellenden Augen und rasiermesserscharfen Stacheln auf dem Körper. Sie war etwa so groß wie ein großer Hund.