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Zur gleichen Zeit war auch das Wetter umgeschlagen. Wolken hingen wie graue Steine am Himmel, und tagelang sahen sie keinen einzigen Sonnenstrahl. Dennoch hielt sich die lähmende Hitze. Offenbar braute sich am Horizont ein gewaltiger Sturm zusammen, ohne jedoch auszubrechen.

Da Patrick sich von ihr zurückgezogen hatte, verbrachte Kit mehr Zeit allein oder mit Lurie und den anderen Seeleuten. Sie hatte Spaß daran, sich mit ihnen zu messen, und forderte sie zum Messerwerfen oder zum Wettklettern bis in die Spitzen der Takelage heraus. Obwohl sie kleiner als die Männer war, zeigte sie, daß sie ihnen in diesen Dingen zumindest gewachsen war. Oft konnte sie Lurie und die anderen sogar schlagen. Manchmal fühlte sie dann La Cavas Blicke auf sich ruhen. Kit spürte, er hatte besser als sie verstanden, was zwischen ihr und Patrick los war; doch er sagte nichts.

An den Nachmittagen, wenn sie über das Deck stromerte, die Arbeit getan und die Spiele meist vorüber waren, kam Kit immer wieder auf die Frage zurück, was sie als nächstes machen sollte. Sie konnte nach Solace zurückgehen, denn sie erinnerte sich an Raists Vorhersage, daß sie früh genug zurück sein würde. Kit fragte sich, wie es ihren Brüdern erging. Sie waren noch so klein – Raistlin so verwundbar und Caramon so einfältig. Doch sie wußte, daß sie aufgrund der Umstände bemerkenswert selbständig geworden waren. Nun, sie hatte ihr Bestes getan. Mochten die Götter sie anlächeln. Eines Tages würde sie zurückkehren, aber nicht sofort.

In ihrem Herzen verspürte Kitiara den Wunsch, weiter zu reisen und die Suche nach ihrem Vater wieder aufzunehmen. Doch seitdem sie die letzten vagen Hinweise auf seinen Verbleib – irgendwo im Norden – erhalten hatte, waren Jahre vergangen. Wo sollte sie anfangen zu suchen?

Als Kit eines Nachts nicht schlafen konnte, begegnete sie an Deck La Cava und Lurie. Sie wurde wieder munter, als sie die beiden sah, denn sie hatte vorgehabt, den verschlossenen Schiffskapitän in eine Unterhaltung zu verwickeln. Es gab ein bestimmtes Thema, das sie anschneiden wollte.

Also marschierte sie geradewegs auf ihn zu. Als La Cava verschwinden wollte, versperrte Kit ihm kühn den Weg. Um die Lippen des Kapitäns spielte ein feines Lächeln. Er nickte Lurie zu, der auf dieses Zeichen hin verschwand, jedoch an Deck blieb und müßig auf die See starrte. La Cava selbst trat einen Schritt zurück und zeigte Kit durch seine Haltung, daß er ihr fürs erste zuhören würde.

»Was beschäftigt Euch, Fräulein Kitiara?« fragte La Cava in der eleganten, etwas ironischen Art, in der er sie immer ansprach.

»Kapitän«, sagte sie ohne Umschweife, »an dem Tag, als wir uns kennenlernten – «

»Ja?« La Cava zog eine Augenbraue hoch.

»Da hatte ich den sicheren Eindruck, daß Ihr von meinem Vater gehört habt. Gregor Uth Matar.«

»Ich sagte etwas anderes.«

»Ihr sagtet etwas anderes, aber ich hatte eben diesen sicheren Eindruck.«

Ihr störrisches Kinn verriet ihre Entschlossenheit, und ihre Augen blitzten. Ja, je mehr sie darüber nachgedacht hatte, desto überzeugter war sie, daß La Cava etwas über ihren Vater wußte. Sein Gesicht hatte das verraten, aber vielleicht hatte er vor Patrick nichts davon erwähnen wollen.

La Cava griff in die Tasche und zog eine Pfeife heraus. Aus der anderen Tasche holte er einen Tabaksbeutel und stopfte den Pfeifenkopf. Nachdem er den Beutel wieder eingesteckt hatte, zog er Flint und Stahl heraus und schlug damit einen kräftigen Funken. In dem Lichtblitz erkannte Kit das, was sie hinter La Cavas kavaliersmäßiger Fassade erahnt hatte: einen wilden Charakter, den nur Alter und Weisheit zügelten.

La Cava drehte sich um, lehnte sich an die Reling und sog an seiner Pfeife. Auch er blickte auf die See – wie ein Spiegelbild von Lurie, der ein ganzes Stück weiter an der Reling stand. Segler finden oft Trost oder kommen auf Ideen, wenn sie an einer Reling stehen und aufs Meer hinausschauen.

Kitiara sah dies als Einladung an. Sie kam näher und lehnte sich neben La Cava an. Allerdings sah Kit nicht aufs Meer, sondern starrte den Kapitän an.

»Ich hatte den sicheren Eindruck«, wiederholte sie zum dritten Mal.

»Ihr seid äußerst hartnäckig, Kitiara«, sagte La Cava, der etwas den Kopf drehte, um sie anzusehen. Seine Stimme war leiser geworden und hatte etwas von der förmlichen Höflichkeit abgelegt. »Richtig stur. Ihr seid entschlossen, etwas vom Leben zu bekommen, aber Ihr habt keine Ahnung, was Ihr eigentlich wollt. Hartnäckigkeit ist eine Eigenschaft, die ich bewundere, aber ich halte es für wichtig, daß Ihr wißt, was Ihr wollt.«

»Mein Vater…«

»Vergiß doch mal eine Minute lang deinen Vater, Mädchen«, fuhr La Cava sie in scharfem Ton an. »Was willst du? Was willst du selbst?«

»Was meint Ihr damit?« fragte Kitiara verwirrt.

»Du wirst doch nicht Patrick heiraten«, sagte La Cava etwas abschätzig. »Für den bist du zu klug und zu stark. Er könnte dich niemals zähmen. Ich könnte dich zähmen, aber ich bin zu alt für solche Sachen und zu klug, es zu versuchen. Ich will lieber meinen Frieden haben, mein kleines Schiff und meinen Tabak. Mehr brauche ich nicht. Meine Abenteuerlust ist gestillt. Aber was ist mit dir, Kitiara. Wonach suchst du?«

Jetzt war es an Kitiara, den Blick abzuwenden. Sie wußte, daß Lurie ein Stück weiter wahrscheinlich lauschte und einiges von La Cavas Worten mitbekommen haben mußte. Sie mochte Lurie. Dennoch war sie rot vor Scham, denn La Cavas Worte hatten sie tief getroffen.

Nach langem Schweigen sagte sie langsam: »Ich weiß es nicht.« Weil La Cava nicht reagierte, folgte erneut langes Schweigen. »Ich möchte… Anerkennung. Ich will mehr sein als bloß ein gewöhnliches Mädchen aus Solace. Ich will herumkommen und etwas erleben und in Entscheidungsschlachten dabei sein. Ich will… jemand sein. Nein, das ist nicht richtig. Ich will ich selber sein, Kitiara Uth Matar, und reich und mächtig werden. Reich und mächtig.«

La Cava nahm einen tiefen Zug von seiner Pfeife. »Das kannst du durchaus«, sagte er schlicht.

»Und mein Vater?« erinnerte sie ihn.

La Cava seufzte tief und wandte ihr das Gesicht zu, so daß sie ihm in die Augen sehen konnte. »Dein Vater«, wiederholte er. »Dein Vater ist in manchen Teilen von Krynn berühmt, in anderen unbekannt.«

Kit wartete ab, ob er fortfuhr, doch es sah so aus, als würde ihm das schwerfallen. »Ich habe ihn weder selbst kennengelernt noch je gesehen, und kenne auch niemanden, der ihn kannte. Aber ich bin überall gewesen, wo Schiffe hinkommen, und ich habe von Gregor Uth Matar und seinen Taten gehört«, – hier machte er eine Pause – »und von seinem Ende.«

Kit stockte der Atem. »Was ist passiert?«

»Das ist keine schöne Geschichte, und ich erzähle nicht gern Klatsch oder Legenden. Sie kann genausogut nicht wahr sein.«

»Erzählt sie mir trotzdem«, forderte sie ihn auf.

Wieder ein tiefer Seufzer. Dann drehte der Kapitän sein Gesicht zum Meer zurück. »Oben im Norden liegt Whitsett, eine Region, wo seit fast hundert Jahren ständig Krieg herrscht. Manche nennen es Bürgerkrieg, andere reden von einer Blutfehde zwischen zwei rivalisierenden Familien, die beide reich und mächtig sind und große Verluste verkraften können. Dein Vater, Gregor Uth Matar, hat einen gewissen Ruf als meisterhafter Stratege, und vor einer Weile hat er sich an die Spitze eines tausend Mann starken Söldnerheers gestellt, dessen Krieger allesamt skrupellose Recken waren.«

»Weiter.«

»Es heißt, daß dein Vater diese Armee nach Whitsett geführt und seine Dienste beiden Familien angetragen hat. Er hat seine Reiter einfach demjenigen unterstellt, der am meisten bot. Ich weiß nichts über die beiden Seiten in diesem Krieg, doch es heißt, daß einer der Lords absichtlich weniger geboten hat, damit Gregor und seine Männer für den langjährigen Erzfeind seiner Familie ins Feld ziehen würden. Dann hat dieser Lord sich heimlich mit einem kleinen Teil von Gregors Männern verbündet und ihnen das Doppelte geboten, wenn sie ihren Anführer ausspionieren würden.«