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Wieder öffnete Kit ihre Tür einen Spaltbreit und spähte vorsichtig in den Gang. Vom Deck her hörte sie die lauten Rufe der Seeleute, die darum kämpften, das Schiff zu retten. Im Gang war nichts, kein Geräusch, kein Mensch.

In diesem Teil des Schiffs lagen nur drei Kabinen: erst ihre, dann, weiter von der Treppe entfernt, die des Kapitäns, dann die von Patrick. Sie schlich an der Wand lang auf La Cavas Quartier zu. Die Tür war geschlossen, doch sie trat sie auf und sprang mit erhobenem Messer hinein.

Als ihre Augen die Kajüte absuchten, merkte sie, daß ihr Arm zitterte und sie sich Mühe geben mußte, nicht die Nerven zu verlieren. Nichts. Niemand. La Cava war offensichtlich oben an Deck, um das Schiff sicher durch den Sturm zu führen.

Ein lauter Knall ließ Sie zusammenzucken, doch das war nur der bisher lauteste Donner. Der Sturm ließ nicht nach.

Zurück im Gang, machte sie sich langsam zu Patricks Kabine auf, obwohl sie sich vor dem fürchtete, was sie dort erwarten mochte. Gebückt kam sie um die Ecke, wo ihr auffiel, daß die Tür nur angelehnt war. Kit streckte einen Arm aus und stieß die Tür auf und wartete auf eine Reaktion. Nichts.

Noch weiter gebückt, so daß sie fast auf Händen und Knien hockte, schlich Kitiara weiter. Als sie durch die Tür kam, war sie bereit, beiseite zu springen oder zu rollen. Weil sie niemanden sah, stand sie auf. Erst da bemerkte sie den Umriß eines Körpers auf dem Bett, der mit einer blutigen Decke zugedeckt war. Schon bevor Kitiara ihm die Decke vom Kopf zog, wußte sie, daß es Patrick war. Er lag in einer Blutlache, die sich aus einer Wunde in seiner Brust immer weiter ausbreitete. Es war klar, daß er wie Stratke überrumpelt und im Schlaf erstochen worden war.

Mit angespannten Sinnen lief Kit zur Tür und blickte noch einmal in den Gang, doch wie zuvor hörte und sah sie nichts. Nachdem sie die Tür zugemacht hatte, blickte sie sich in Patricks Kabine gründlich um. Es gab keine Anzeichen für einen Kampf, keinen Hinweis darauf, wer Patrick und Stratke umgebracht hatte.

Patricks riesige Reisetruhe war noch da, ebenso seine Beutel, alles eben, was einen Dieb gelockt hätte. Einen Augenblick lang setzte sie sich benommen und verwirrt auf den Rand von Patricks Bett. Wieso sollte sich jemand hier hereinschleichen und die beiden ermorden? Welches Motiv konnte es außer Raub überhaupt geben?

Ihr Blick wanderte zu Patricks Gesicht, das totenstarr war, aber ansonsten unverändert schien. Wahrscheinlich war er gestorben, ohne zu erwachen. Sie verspürte kaum eine Regung von Mitleid.

Einen Moment lang dachte Kitiara an den anderen jungen Mann, der vor einigen Jahren in der Blüte seines Lebens ermordet worden war. Sie war Beck Gwatmey nie begegnet, aber ob er sich so sehr von Patrick von Gwynned unterschieden hatte?

Entschlossen stand sie auf und sah sich um. Patricks Tod bedeutete, daß sie das Schiff so schnell wie möglich verlassen mußte. So wie sie auf das reagiert hatte, was Lurie ihr erzählt hatte, würde man sie verdächtigen, ihn getötet zu haben. Kit hatte nicht die geringste Lust, die Grenzen von La Cavas Gnade kennenzulernen.

Rasch durchwühlte sie die Taschen von Patricks Kleidern, in denen sie Ausweispapiere fand, die nützlich sein mochten, und die sie in ihre Bluse stopfte. Dann nahm sie ein paar Kleidungsstücke von Patrick und steckte sie in eine seiner mittelgroßen Reisetaschen. Sie zerrte und stocherte an dem Schloß seiner großen Truhe herum und versuchte dann, es mit dem Griff ihres Messers aufzubrechen, doch ihre Anstrengungen hinterließen kaum eine Spur. Zum Glück entdeckte Kit einen kleinen Beutel mit Edelsteinen im Absatz von Patricks Ersatzstiefeln. Auch die stopfte sie in die Tasche, die sie sich schließlich um die Schulter schlang.

Sie kniete sich hin, und unter dem Bett fand Kit Becks Schwert, das zwischen einer Planke und der Wand klemmte. Sie zog es heraus, vergewisserte sich, daß es gut verpackt war, und band es sich auf den Rücken.

Zuletzt ging Kit zu Patrick hinüber, nahm das Amulett ab, das sie immer noch trug, und legte es auf seinen Körper. Das ist nur gerecht, dachte sie. Und sie wollte nicht an ihn und seine Mutter erinnert werden.

Als sie sich in den verlassenen Gang gestohlen hatte, lauschte Kit auf das immer noch andauernde Chaos an Deck und stellte fest, daß sie jetzt handeln mußte, solange der Sturm auf seinem Höhepunkt war und die Leute abgelenkt waren.

Kit holte tief Luft und stieg so unverdächtig wie möglich die Treppe hoch. Die Männer rannten hin und her, machten Taue fest und riefen einander Kommandos zu. Das Schiff schwankte wild, so daß Kit einige Male auf das Deck stürzte, ehe sie ihr Gleichgewicht wieder fand.

Der Donner krachte, Blitze spalteten den Himmel. Einen kurzen Augenblick beleuchteten die Blitze La Cava am Ruder. Der Kapitän brüllte seiner durchnäßten Crew lauthals Befehle zu.

Kit hatte richtigerweise angenommen, daß sie in diesem Tumult niemand bemerken würde.

Taumelnd kämpfte sich Kit zum Heck des Schiffs vor. Die Küste war höchstens zehn Meilen entfernt, und Kit fand, daß sie eine gute Chance hatte, es zu schaffen, selbst in diesem Sturm.

Ein Blick zum Himmel verriet ihr, daß das Gewitter nachließ. Das Schlimmste war vorbei.

Nachdem sie ihre Stiefel ausgezogen und im Beutel verstaut hatte, überzeugte sich Kit, daß sie alles fest an ihren Körper gebunden hatte. Sie kletterte auf die Reling und sprang ohne einen Blick zurück vom Schiff.

Die kalten, tosenden Wellen prasselten wie Steine auf sie ein und hätten sie fast betäubt. Doch bevor Kit das Bewußtsein verlieren konnte, schwamm sie auch schon, ein Punkt im Wasser, der sich langsam, aber stetig vom Schiff entfernte.

»Mann über Bord!« war das letzte, was sie hörte.

12

An Land gespült

Das Meer hatte im Sturm alle Farbe verloren. Die Wellen sahen schwarz aus, als sie wieder und wieder über Kitiara hinwegklatschten. Sie kämpfte darum, den Kopf über Wasser zu halten. Ihre Arme schwammen, bis sie taub waren.

Die Stunden vergingen.

Da Kit von dem Schwert auf ihrem Rücken heruntergedrückt wurde, konnte sie kaum die Kraft aufbringen, mit den Beinen zu treten. Ihr ganzer Körper schien vom Wasser heruntergezogen zu werden. Kit hatte so viel Salzwasser geschluckt, daß sie heftig zu würgen begann, als die Wellen – nicht zum erstenmal in dieser Nacht – über ihr zusammenschlugen.

Zum Glück war es Kit gelungen, sich an einem kleinen Holzfaß festzuklammern, das im Wasser an ihr vorbeigetrieben war, und dessen Auftrieb das einzige war, was sie jetzt noch über Wasser hielt. Das und ihre Entschlossenheit, es nicht loszulassen.

Der Sturm tobte viel länger, als Kit geschätzt hatte, bevor sie von Bord gesprungen war. Das Schiff hatte sie längst aus den Augen verloren, doch sie hatte keine Ahnung, ob sie immer noch auf die Küste zuhielt und wie weit die Küste überhaupt entfernt war. Obwohl der Sturm nachgelassen hatte, zeigte sich am wolkenverhangenen Himmel noch kein Schimmer der Morgendämmerung.

Kits Gesicht ruhte am rauhen Holz des Fasses. Ihre Zunge war so geschwollen, daß sie sich doppelt so groß anfühlte wie normal, und das in einem völlig ausgedörrten Mund. Ihre Lippen waren mit Salzkrusten überzogen. Eine unwiderstehliche Müdigkeit überkam sie. Kit fielen die Augen zu. Ihr war alles egal.

Augenblicklich begannen sich Bilder vom Krystallmirsee in ihrem Kopf zu formen. Wie seine Oberfläche im Sonnenlicht glitzerte, wie die Wellen am Ufer leckten, ein schöner, friedlicher Tag…

Hundert Nadelstiche schreckten sie auf. Ihr Bein tat entsetzlich weh. Etwas griff sie an. Kit konnte kaum etwas im Wasser erkennen, doch sie biß die Zähne zusammen und trat heftig nach dem unbekannten Wesen.

Sie traf etwas Kaltes, Schleimiges. Als sie sich herumwarf, konnte sie vage eine silbrigweiße, gelatineartige Masse erkennen, die an die Oberfläche gekommen war.

Noch während sie das Ding anstarrte – es war zwei Armspannen breit und eine hoch –, kam es näher. Da sie abgelenkt war, konnten ihr weitere Nadeln über den Rücken kratzen. Sie trat wieder heftig aus und sah zwei längliche Umrisse, rotbraun mit schokoladenbraunen Tupfen, die sich unter Wasser rasch von ihr fortbewegten.