Kit sah Minna überrascht an. So blaß und weggetreten und schweißgebadet, wie Rosamund war, schien sie kaum fähig, ihren Kopf auf dem Kissen zu drehen, geschweige denn irgend etwas zu schieben. Dennoch stieg Kit auf Minnas Drängen hin aufs Bett und half Rosamund, sich aufzusetzen. Dann setzte sie sich mit ihrem schmalen Rücken gegen den schweißnassen Rücken ihrer Mutter und stemmte die Füße gegen das hölzerne Kopfende, um Rosamund aufrecht zu halten, während Minna ihre Mutter wieder zum Pressen aufforderte.
»Pressen!« schrie Minna. »Wenn du willst, daß es endlich vorbei ist, dann preß!«
Eine Stunde später hatte sich noch nichts verändert.
Kit waren die Beine schwer wie Baumstümpfe, und Rosamunds Kopf war gegen den ihrer Tochter zurückgesunken, als hätte sie das Bewußtsein verloren. Minna hatte sich hingesetzt. Auf ihrer Stirn standen Schweißperlen, und ein paar Haarsträhnen hingen ihr ins Gesicht. Obwohl auch sie erschöpft war, forderte die Hebamme Rosamund immer wieder zum Weiterpressen auf.
Dann endlich gebar Rosamund mit einem langgezogenen Stöhnen.
Für Kit sah das Baby aus wie ein rotblaues, blutbesudeltes Äffchen, das mit einer weißen, käseartigen Schmiere bedeckt war. Ein durchdringender Schrei, der die Fenster zu erschüttern schien, kündete sofort von der Kraft des Kindes.
»Ein Junge!« krächzte Minna. »Du hast einen schönen, gesunden Jungen, Rosamund!« sagte sie, während sie das Neugeborene geübt abwischte, wickelte und in eine saubere Decke hüllte. »Na, der wiegt aber bestimmt zehn Pfund! Das ist ein Riese!«
Ihre Worte kamen bei der Mutter des Babys gar nicht an. Rosamunds Augenlider fielen zu, als Kit hinter ihr herausschlüpfte und Rosamund erschöpft in die Kissen sinken ließ.
Fast augenblicklich wurde Rosamund von einem scharfen Atemzug wieder geweckt. Ihre Augen waren erschreckt aufgerissen.
»Nur die Nachgeburt«, murmelte Minna in sich hinein, als sie Rosamund ansah. Doch dann drückte die Hebamme das frisch versorgte Kind rasch Kit in die Arme, um sich wieder um die Mutter zu kümmern. Nachdem sie sie genau angeschaut hatte, griff Minna nach ihrer Geburtshilfetasche, die vor dem Bett stand. Sie wühlte darin herum und zog einen anderen kleinen Beutel heraus, der doppelt verschlossen war. Als die Hebamme ihn vorsichtig aufmachte, hätte Kit, die neben Minna stand, schwören können, daß darin etwas leuchtete!
Minna holte eine Prise davon heraus. Mit dem Rücken zum Bett versprengte Minna den Staub in der Luft, wobei sie ein paar Worte sang, die Kit nicht verstand. Das Licht im Raum schien zu flimmern. Einen Augenblick später senkte sich ein Gefühl des Wohlbehagens über Kit. Sogar das Baby in ihren Armen hörte auf zu quengeln. Noch erstaunlicher war, daß Rosamund lächelte, einen tiefen Seufzer ausstieß und wieder in die Kissen sank. In diesem Bruchteil einer Sekunde schien Kits Mutter friedlich einzuschlafen! Das Mädchen wollte ihren Augen nicht trauen.
Doch dann verpuffte die friedliche Aura so schnell, wie sie eingetreten war.
Rosamunds Atem ging schneller. Sie riß die Augen auf, doch die Pupillen waren vollkommen verdreht.
Minna beugte sich besorgt über Rosamund und tätschelte ihr die Wangen.
Nur das Baby schien etwas länger von Minnas Hokuspokus zu zehren. Kit hielt das Kind steif von sich weg, als sie zu der Wiege ging, die Gilon liebevoll gebaut hatte. Zum Glück für alle Beteiligten vergaß Kits neuer Bruder rasch seinen Zorn darüber, aus dem warmen, gemütlichen Bauch gepreßt worden zu sein. Sobald Kit ihn in sein neues Bett gelegt hatte und die Wiege schaukelte, schlief er leise ein.
Minna zog Rosamunds Kittel hoch und legte beide Hände fest auf ihren dicken Bauch. Dann nahm sie etwas, das wie eine kleine Trommel aussah, aus ihrer Tasche. Allerdings lief der Boden der Trommel zu einem engen Hals zusammen und ging dann zu einem biegsamen Kelch auseinander.
»Eine Hörtrommel«, sagte Minna zu niemand Bestimmtem – jedenfalls nicht zu Kitiara. Das Ende des Kelches setzte sie auf Rosamunds aufgetriebenen Leib und legte gleichzeitig ihr Ohr an die Membran der Trommel. Als Rosamund zu wimmern begann, zog Minna überzeugt den Kopf zur Seite. Es ging eindeutig eine neue Wehe los.
»Da ist noch ein Baby drin«, erklärte Minna erstaunt.
Ein langgezogenes, rauhes »Neiiin!« entfloh Rosamunds gespitzten Lippen.
»Noch ein Baby!« rief Kit aus. »Wie kann denn das sein? Wieso hast du das nicht vorher gewußt? Was sollen wir denn jetzt machen? Noch eine Geburt überlebt meine Mutter nicht.«
»Hör mal zu, junge Dame. Werd mir bloß nicht frech.« Mit erstaunlicher Wildheit fuhr Minna Kit an, denn ihre Geduld war fast am Ende. Ihr Bienenstock von Haar war schlimm zugerichtet, und ihre normalerweise adrette Kleidung war durcheinander. Ihre scharfen Augen nagelten Kit fest.
»Ich brauche keine Ratschläge von einem Küken. So etwas passiert. Ich kann schließlich nicht alles wissen und alles in Ordnung bringen – «
Rosamunds Wimmern brachte beide auf die Beine.
Erneut fing Minna an, in ihrer Tasche herumzuwühlen. Regelrecht schreiend wies die Hebamme Kit an, einen neuen Kessel Wasser aufs Feuer zu stellen und mehr saubere Decken zu holen. Kit, die seit Sonnenaufgang auf den Beinen war und kein Mittagessen bekommen hatte, schwankte auf einmal vor Müdigkeit. Ihre Knie gaben nach, und fast wäre sie umgekippt.
Minna griff zu und hielt das Mädchen fest, bevor es umfallen konnte. Gewaltsam schüttelte sie sie durch. »Du mußt jetzt durchhalten, Kit«, sagte sie drohend. »Mach mir ja nicht schlapp. Ich brauche dich. Rosamund braucht dich.« Sie schubste Kit los, damit sie ihre Pflichten erledigte.
Das Mädchen konnte die Augen kaum noch offenhalten, während es im Raum herumtrottete und tat, was Minna angeordnet hatte. Am Nachmittag war es schrecklich warm geworden, und zusammen mit dem Feuer, das unablässig weiter brannte, um das Wasser zu erhitzen, erschien ihr das Innere der Hütte heißer als eine Zwergenschmiede. Kitiara glaubte, sie müßte ersticken.
»Kipp dir was über den Kopf!« riet Minna. »Wie?«
»Das Wasser, über deinen Kopf«, wiederholte die Hebamme.
»Oh«, sagte Kitiara, schöpfte kaltes Wasser aus dem Eimer und spritzte es sich über den Kopf, so daß ihr Gesicht und ihre Kleider naß wurden. Erfrischt schoß sie los, um einen weiteren Eimer zu holen.
»Dummes Ding«, murmelte Minna tonlos.
Rosamund glühte ebenso, und Minna gab sich größte Mühe, sie abzukühlen, indem sie sie dauernd mit einem nassen, kalten Schwamm abrieb. Kits Mutter wirkte schlaff und leblos und verlor immer wieder das Bewußtsein; sie war einfach zu erschöpft. Die Wehen gingen weiter. Was eigentlich eine kurze Geburt hätte sein müssen, zog sich unendlich lange hin.
»Das verstehe ich nicht. Dieses Baby müßte einfach rausflutschen«, sagte Minna leise zu Kit.
Nachdem sie unter Rosamunds Decke getastet hatte, fluchte Minna leise, denn sie hatte den Grund gefunden. Sie nahm Kit beiseite.
»Dieses Baby kommt mit den Füßen zuerst«, vertraute sie ihr vielsagend an, »nicht mit dem Kopf zuerst wie die meisten Babys. Es ist eine Steißgeburt. Da kann man nicht sagen, wie lange die Wehen noch dauern. Das ist nicht normal.«
Kit nahm Minnas Nachricht wie betäubt auf. Sie blickte zu dem ersten Baby, das immer noch mit friedlich geschlossenen Augen schlief. »Kannst du etwas tun?« fragte sie hoffnungsvoll.
»Ich kann es versuchen«, erklärte Minna schlicht. »Aber Paladin muß mir beistehen.«
Die Stunden verstrichen. Die Geburt zog sich schon fast bis Sonnenuntergang hin. Einmal begannen Rosamunds Augen unkontrollierbar zu zucken. Ihr Gesicht lief tiefrosa an, und ihr Körper wand sich ununterbrochen. Als Kit die Hand ihrer Mutter berührte, war diese glühend heiß.
»Sie hat hohes Fieber. Ihr müßt etwas tun«, schrie Kit fast anklagend.
Minna, die ernstlich besorgt war, ignorierte das Mädchen, bat aber um mehr heißes Wasser, damit sie eine weitere Portion »Nie versagenden Balsam« brauen konnte. Mit dieser Tinktur hatte sie Rosamunds Bauch während der ersten Geburt schon ständig abgewaschen.