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Bis auf den Mittelpfosten war alles weg, und von dem baumelte Radissons Körper herunter. Er war nackt. Die Augen waren ihm aus den Höhlen gerissen, und sein Körper war über und über mit tausend kleinen Messerschnitten, Löchern und Zeichen bedeckt.«

»Und El-Navar?« Kit versuchte, ihre Stimme zu beherrschen, während in ihrem Gedächtnis Erinnerungen an den sehnigen Karnuthier aufstiegen. Sie dachte an seine tiefe, einschmeichelnde Stimme, die Schlangenhaare, seine sanfte Berührung, die Kraft des Panthers, die in ihm ruhte.

»Auch weg. Verschwunden. Kein Zeichen für seinen Tod, kein Hinweis, wo er sein könnte. Unsere Colo – «, er zeigte auf die Söldnerin, die mit ihrer Wahrsagerei beschäftigt war, »– ist eine gute Fährtenleserin. Sie konnte nichts finden.«

»Nicht einmal die Leute aus dem Ort konnten uns etwas sagen«, fügte Trauerkloß hinzu. »Sie wollten nicht. Sie hatten zuviel Angst, um zu reden.«

Nach dieser Bemerkung schwiegen sie lange. Ursa starrte in seinen Tee. Trauerkloß stand auf, ging zu seinem Gepäck und richtete seinen Schlafplatz her. Colo warf Ursa einen scharfen Blick zu, ging dann zu ihrem Pferd und schnürte ihre Decke los.

»Wie schon gesagt«, meinte Ursa, ohne auf Colo zu achten, während er einen letzten Schluck Tee trank und den Rest auf den Boden schüttete, »unser Glück wendet sich. Wir hatten seit Wochen keine Schwierigkeiten mehr, und jetzt sind wir auf dich gestoßen.« Er grinste Kitiara auf altvertraute Art an. »Ein bißchen gewachsen und noch kampferfahrener, als ich mich erinnere.«

Sie erwiderte das Grinsen unwillkürlich.

»Wird gut sein, wieder zusammenzuarbeiten«, endete er.

»Was ist das für ein Auftrag, von dem du geredet hast?«

»Keine große Arbeit, aber sehr einträglich. Ungefähr vierzig Meilen nördlich von hier versetzt ein Slig eine Gemeinde in Angst und Schrecken. Der Ort heißt Kimmel.«

»Was ist denn ein Slig?« fragte Kit.

»Oh«, Ursa lachte. »Ein Slig ist eine besondere Erfahrung. Wirst du schon früh genug herausfinden. Hier« – er stieß ein paar Zweige und Äste ins Feuer – »du übernimmst die erste Wache. Weck mich zum Ablösen.«

Sie registrierte, daß er sich in die Nähe von Colo legte, die bereits schlief.

Eineinhalb Tage lang ritten sie nordwärts durch hügeliges Gelände, wobei sie immer der hingekritzelten Wegbeschreibung folgten, die Ursa in der Tasche hatte und die er hin und wieder befragte. Sie ritten über Nebenstraßen und schlammige Wege, bis sie am Abend des zweiten Tages auf einen Fluß mit starker Strömung trafen, dem sie flußaufwärts zu einem kleinen Bauernhof folgten, der nach der herrschenden Familie, den Kimmels, benannt war.

Die Spätherbsttage waren stürmisch, und die Nächte in dieser Höhe zunehmend kälter. Doch das Wetter blieb trocken, und Kit gefiel es, daß der nahende Winter in der Luft lag.

Merkwürdigerweise gefiel es ihr auch, wieder mit Ursa und Trauerkloß zusammenzusein, wie sie zugeben mußte. Ursa hatte sein großspuriges Auftreten wiedergewonnen, und sie hatte Spaß daran, wie er mit seinen Taten prahlte. Trauerkloß mit seinen langen, unergründlichen Schweigezeiten erinnerte sie an den armen, sprachlosen Stratke. Er war auch ebenso zugänglich geworden. Kit wunderte sich, was wohl aus El-Navar geworden war, doch sie konnte keinen ihrer alten Partner dazu bringen, mehr über den Karnuthier zu erzählen.

Colo war komisch – in mancher Hinsicht kriegerisch und männlich, in anderer schelmisch und weiblich. Sie schien nichts gegen Kitiara zu haben. Am ersten Abend an der Straße gab sie am Feuer einen wilden Tanz zum besten, bei dem sich alle vor Lachen die Seiten hielten. Sie ritt immer voran, denn ihre Augen konnten sehr weit sehen, behauptete Ursa.

Der Ort, den sie schließlich erreichten, war weniger eine Stadt als vielmehr eine Reihe Berggehöfte, die auf der Suche nach Gemeinschaft und Schutz aneinandergebaut worden waren. Die Einheimischen hatten ihre Ersparnisse zusammengelegt, um Söldner anzuheuern, die einen Slig erlegen sollten, der die Gegend heimsuchte, Essen stahl und nachts die Frauen erschreckte. Ein paar Bürger hatten versucht, den Slig zu bekämpfen, doch es handelte sich um ein wildes, durchtriebenes Biest, das sich von seinem Stamm getrennt hatte. Er war schwer zu verfolgen und noch schwerer in die Enge zu treiben.

In Vocalion hatte Ursa gehört, daß sich die guten Leute von Kimmel zusammengetan hätten und eine ordentliche Summe zahlen wollten, wenn jemand die Kreatur nachweislich erlegte.

Eine Stunde lang saßen die Söldner mit Vertretern der Bürgerschaft zusammen, die von ihrem Wachtmeister angeführt wurden, einem dummen Feigling, dem es offenbar darauf ankam, die Verantwortung für dieses Problem auf jemand anderen abzuwälzen. Ursa legte seine Empfehlungsschreiben vor, woraufhin sie ihm ihrerseits die Höhe der Belohnung bestätigten. Der ungefähre Aufenthaltsort des Quälgeists war gut bekannt. Der Slig wohnte irgendwo in den Sandsteinklippen am Flußufer in der Nähe des Waldrands.

In dieser Nacht campierten Ursa und die anderen wie gewöhnlich abseits der Stadt.

Ursa war in Stimmung wie einst Gregor. Am Lagerfeuer erzählte er Geschichten aus der Zeit, in der er mit einer Kompanie aufrechter Ritter von Solamnia herumgezogen war und so getan hatte, als wäre er einer von ihnen, bis man ihn wegen Sauferei und Frauengeschichten aus dem Regiment geworfen hatte. Wie bei den meisten Geschichten von ihm, konnte man sich nicht sicher sein, ob sie wirklich stimmte oder nicht, doch Kit, Colo und Trauerkloß hatten einiges zu lachen.

Sie legten sich früh schlafen. Colo verschwand in der Dunkelheit, um die erste Wache zu übernehmen. Seite an Seite auf ihren Decken liegend, blieben Ursa und Kit noch wach und teilten sich einen Krug Met aus dem Ort, den die dankbaren Bürger von Kimmel gestiftet hatten.

»Sligs sind hartgesottene Verwandte der Hobgoblins«, erzählte Ursa Kit als Vorbereitung auf den morgigen Tag. »Geh unbedingt immer dem giftigen Speichel aus dem Weg. Der Speichel bringt dich nicht um, aber er verbrennt dir die Haut, so daß du dir wünschst, du wärst tot. Bei Tag sehen sie schlecht, aber bei Nacht oder in Höhlen zielen sie gut.«

Irgendwann war der Krug leer. Der betrunkene Ursa legte größten Wert darauf, Kit zu erklären, daß die Beute für das Erlegen des Sligs gerecht geteilt werden würde – vierhundert Goldstücke, also hundert für jeden. Er tat sein Bestes, seinen einstigen Betrug wiedergutzumachen.

Die Kälte hier oben war schlimm. Kit folgte Ursas Beispiel und zog sich die Decke über die Ohren. Als sie einschlief, wußte Kit, obwohl sie nur seine Augen sehen konnte, daß Ursa sie mit einem frechen Lächeln auf den Lippen beobachtete. Sein schiefes Lächeln war ihrem eigenen gar nicht unähnlich.

Am Nachmittag des folgenden Tages belauerten sie den Slig von einem Hochsitz am Waldrand aus. Colo hatte seine Spuren gefunden und ihn seit dem späten Vormittag verfolgt. Kit hatte so etwas noch nie gesehen. Der Slig war sechs Fuß groß, hatte tief orangefarbene, verhornte Haut, einen Stummelschwanz, große, spitze Ohren und eine lange, dünne Schnauze mit gemeinen Fangzähnen.

Ursa hatte recht. Die Augen des Sligs waren nutzlose, schmale Schlitze, und er hatte wenig Lust zu kämpfen, wenn die Sonne am Himmel stand. Der Slig wich ihnen möglichst aus.

Zu Pferde konnten sie dem Slig in dieser dicht bewaldeten Gegend schlecht folgen. Daher suchten die vier sich einen Platz, wo sie die Tiere anbanden, um dann zu Fuß weiterzulaufen. Der Slig schien mit ihnen zu spielen, denn sein Weg führte zwischen Felsen und Bäumen hindurch, und er war immer gerade so weit voraus, daß einer von ihnen aufholen konnte, ehe er sich umdrehte, um den vordersten Verfolger anzugreifen.

Colo war die Hurtigste von den vieren, und sie stürmte vor, sprang über Büsche und brach durchs Dickicht, immer dem Slig auf den Fersen. Sie trug einen Speer, den sie erst an diesem Morgen hergestellt hatte, indem sie ihr bestes Messer an einen Stab gebunden hatte. So einfach er war, konnte dieser Speer vielleicht wirklich die Haut des Sligs durchstoßen. Aber zuerst mußte Colo zum Werfen nah genug herankommen.