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Nach einem kurzen, aber anstrengenden Marsch durch den Wald erkannte Kit die Gegend, wo sie am Vortag die Pferde angebunden hatten. Hier standen majestätische Bäume mit gelben Blättern. Einige Lichtungen waren voller Steine. Als sie auf eine solche Lichtung traten, blieben sie und Colo wie angewurzelt stehen: Ein schrecklicher Anblick erwartete sie.

Schlaukopf – oder Trauerkloß – baumelte an einem hohen Baum. Sein Körper war nackt, jedoch von Schnitten, Eiter und Blut überzogen. Sein Gesichtsausdruck war regelrecht friedlich, doch die Augen waren herausgeschnitten. Sie lagen unter ihm auf dem Boden, wo ein paar Vögel daran gepickt hatten.

Daneben lag die treue Cinnamon ausgestreckt und gräßlich ausgeschlachtet auf der Erde. Sie lag mit offener Flanke auf der Seite, so daß ihre Gedärme in der Sonne verfaulten. Trauerkloß war getötet worden, bevor man ihn aufgehängt hatte, aber Cinnamon war langsam gestorben und qualvoll verblutet, während die Aasfresser des Waldes schon über sie hergefallen waren.

Kitiara konnte den Anblick nicht ertragen. Sie fiel auf die Knie, bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und kämpfte gegen die in ihr aufsteigende Übelkeit an.

Colo schlich vor, wobei sie sich aufmerksam umsah. Als sie Cinnamon erreichte, versetzte die Waldläuferin dem toten Tier einen festen Tritt, scheuchte jedoch nur Fliegen auf. Sie stieß auch Trauerkloß an. Obwohl der Mann mit dem traurigen Gesicht wie verrückt hin- und herpendelte, machte er keine weitere Bewegung und kein Geräusch. Schlaukopf war schon seit Stunden tot.

Nachdem sie sicher war, daß niemand in der Nähe war, stapfte Colo zu Kit zurück und stieß sie von hinten an.

»Was soll das?« fuhr Kit hitzig auf und sprang mit wütender Miene hoch.

»Wir haben keine Zeit für solchen Schulmädchenkram«, sagte Colo ärgerlich.

»Das war das Pferd meines Vaters«, flüsterte Kit.

»Na und? Wer ist dein Vater?«

»Gregor Uth Matar«, sagte Kit niedergeschlagen. Ihr Vater schien jetzt weiter entfernt denn je.

Bei dieser Mitteilung wirkte Colo überrascht. »Der, mit dem Ursa geritten ist?«

»Ursa?« erwiderte Kit noch erstaunter als ihre Begleiterin. »Was meinst du damit? Er hat mir nie etwas davon erzählt, daß er mit meinem Vater geritten ist.«

»Was weiß ich«, meinte Colo vorsichtig. »Vielleicht irre ich mich auch. Ich bringe oft Namen durcheinander.«

»Erzähl mir, was du weißt«, drängte Kit.

»Ich weiß gar nichts«, wehrte sich Colo. Sie stand Kitiara Auge in Auge gegenüber und ließ sich nicht im geringsten einschüchtern.

Obwohl Kit gerne weitergebohrt hätte, mußte sie zugeben, daß sie Colo vertraute, die ihr das Leben gerettet hatte, und das schon zweimal. Vielleicht irrte Colo sich wirklich. Und überhaupt – wie konnte Ursa mit ihrem Vater geritten sein und es nie erwähnt haben?

»Wir haben jetzt sowieso keine Zeit für so etwas«, wiederholte Colo.

»Was soll das heißen?«

»Dein Pferd haben sie getötet, die anderen aber nicht. Das bedeutet, daß noch drei Pferde frei im Wald herumlaufen könnten. Wir müssen mindestens eins von ihnen einfangen, wenn wir eine Chance haben wollen, sie einzuholen.«

Kit dachte einen Augenblick nach. »Wenn die Banditen sie nicht mitgenommen haben, sind die Pferde wahrscheinlich unserem Geruch gefolgt und beim Wasserfall und der Slighöhle angekommen. Das heißt, wenn wir immer in diese Richtung gehen, ist es gut möglich, daß sie uns über den Weg laufen.«

»Richtig«, sagte Colo und ging wieder auf den Wald zu. Kit warf noch einen letzten Blick zurück auf Trauerkloß und Cinnamon. Colo drehte sich um. »Kommst du?«

»Ja«, sagte Kit und eilte ihr nach.

Nachdem sie zwei Stunden langsam vorgedrungen waren, gelangten sie zu dem Hügel in Sichtweite des Wasserfalls, dem Ort, wo sie am Abend zuvor gelagert hatten und angegriffen worden waren.

Der Anblick, der sie erwartete, war noch unheimlicher als der auf der anderen Lichtung. Die Bäume hier waren abgeknickt, verdreht, ja, sogar entwurzelt. Doch der Boden war von Steinen, Blättern und allem anderen wie leergefegt. Über dem ganzen Ort hing ein durchdringender Gestank.

Es gab keine Spur von Ursa oder dem Kopf des Sligs oder der Wache, die Colo getötet hatte, keine Spur von irgend jemandem oder irgend etwas vom Vortag. Der Ort war nicht zerstört, nur merkwürdig leer.

»Was hat das zu bedeuten?« fragte Kit nervös.

Colo stapfte herum und versuchte, irgendwelche Spuren zu erkennen. »Mächtige Magie. Böse Magie. Ich glaube, sie waren hinter Ursa und – aus welchem Grund auch immer – hinter dir her. Dieser große Zyklon war ein magischer Wind. Er hat ihn und alles andere mitgenommen.«

»Er muß einen mächtigen Zauberer zum Feind haben«, überlegte Kit staunend. Sie dachte über Colos Worte nach und fragte sich, warum jemand hinter ihr hersein sollte.

»Oder jemanden mit genug Geld, um einen mächtigen Zauberer zu bezahlen«, ergänzte Colo nachdenklich. Plötzlich legte sie den Kopf schief. »Hast du das gehört?«

»Was gehört?« fragte Kit.

»Da ist es wieder!« rief Colo und rannte eilig in den Wald. Kit mußte so schnell laufen, wie sie konnte, und über Äste und Felsen springen, um sie nicht aus den Augen zu verlieren. Sie stürmte auf eine Lichtung, und vor ihnen stand friedlich grasend der Maulesel von Trauerkloß. Er scheute vor ihnen, doch Colo hielt ihn fest. Nachdem sie ihm beruhigend den Kopf gestreichelt hatte, stieg sie auf und streckte dann Kit den Arm entgegen, um sie hinaufzuziehen.

Sie mußten den ganzen Nachmittag in immer weiteren Kreisen reiten, bis sie eine Spur fanden, obwohl sie nicht begriffen, warum die Spur auf nur zwei Pferde hindeutete, die nach Westen zogen.

Eine weitere Stunde später wurde es dunkel, doch Kit und Colo ritten weiter. Sie hatten nur Becks Schwert für beide, so daß Kitiara sich nicht nur fragte, wem sie eigentlich folgten, sondern auch, was sie machen sollten, wenn sie die anderen einholten. Weit nach Mitternacht sahen sie vor sich ein Lagerfeuer. Sie stiegen ab und krochen auf Händen und Knien voran.

Als sie sich näherten, sah Kit, daß es die zwei Dunkelelfen waren, die sich stritten. Noch näher dran, konnte Kit einzelne Worte verstehen. Sie stellte fest, die beiden stritten sich über sie – »das Schattenmädchen«, wie einer der zwei sie nannte – und darüber, wer die Schuld für ihr Entwischen trug.

»Wenn du es auf meine Art gemacht hättest – «

»Du warst einverstanden!«

»Tja, du wirst es erklären müssen.«

Colo legte einen Finger an die Lippen und schlug einen Bogen nach rechts. Kit hatte keine Ahnung, was sie vorhatte, hielt jedoch ihren Schwertgriff fest umklammert und wartete auf irgendein Signal.

Colo tauchte hinter den Elfen auf und sprang mit so atemberaubender Geschwindigkeit auf sie zu, daß Kit zurückschreckte. Die Waldläuferin hatte einen großen Stein in der Hand. Sie warf sich von hinten auf den einen Dunkelelfen und schlug ihm mit dem Stein auf den Kopf, wobei man ein scheußliches Knacken hörte.

Noch während sie das tat, sprang Kit aus ihrer Deckung und stürzte mit einem Schlachtruf los. Der andere Elf war aufgesprungen und hatte nach seinem Dolch gegriffen. Er stürmte Kit entgegen, doch die hatte den Vorteil der Überraschung und die längere Reichweite. Mit einem einzigen Hieb schlug sie ihm das Messer aus der Hand und stieß ihm die Waffe in die Brust. Er fiel tot um.

Innerhalb von Sekunden war alles vorbei. Kit sah zu, wie Colo ihr bewußtloses Opfer entwaffnete und ein Messer und mehrere Beutel an ihrem Gürtel festmachte. Mit zufriedenem Grinsen sah sie Kitiara an.

»Was jetzt?« fragte Kit, die ihr Schwert abwischte.

Colo setzte sich auf einen Baumstumpf und biß in die Rehkeule, die über dem Feuer briet.

»Wir warten«, sagte sie mit einer Handbewegung zu dem Elfen, den sie niedergeschlagen hatte, »bis der da aufwacht.«

Irgendwann kam der Dunkelelf benommen zu sich. Als er Colo und Kit über sich stehen sah, verhärtete sich sein Gesichtsausdruck. Er mühte sich ab, in eine sitzende Haltung zu kommen. Colo hatte ihm die Hände und Füße gefesselt und ein Seil um seinen Hals gelegt, das sie an einem starken Ast befestigt hatte, so daß er sich nicht weit bewegen konnte, ohne sich selbst zu erwürgen.