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Danach wurde Colo müde und schlief bald ein.

Weil Kitiara unruhig war, lief sie zum Abhang und blickte ins Mantillatal hinab. Der Karte nach lag das Herrenhaus in der Mitte des kleinen ovalen Tals gut fünf Meilen nach unten und weitere fünf Meilen nach Westen. Angestrengt schaute sie in diese Richtung. Die undurchdringliche Schwärze verriet überhaupt nichts. Kein Lichtstrahl kam aus dem Tal herauf.

Kitiara dachte an Ursa Il Kinth, ob er wohl noch lebte, und wieso er eigentlich in ihrem Leben bisher eine so wichtige Rolle gespielt hatte.

Zum ersten Mal seit vielen Monaten dachte Kit auf einmal auch an Caramon und Raistlin. Wie es ihnen wohl ging? Caramon war bestimmt noch größer und stärker geworden und prahlte mit seinen Fähigkeiten. Raistlin war sicher noch mehr nach innen gekehrt, noch stiller und noch schlauer geworden. Kit war davon überzeugt, daß er Caramon das Wasser reichen konnte, wenn sich seine Begabungen auch auf ganz anderen Gebieten zeigten.

Sie hoffte, sie würde die beiden Zwillingsbrüder irgendwann wiedersehen. Aber heute abend war sie sich dessen gar nicht so sicher.

Und sie selbst? Kit spürte, endlich führte sie ein Leben, das ihr Vater verstehen würde. Als sie so über das Tal schaute und an den nächsten Tag dachte, formten ihre Lippen schweigend die Worte, die sie von Gregor Uth Matar so viele Male gehört hatte: Das Schwert ist die Wahrheit.

Unter dem dicken gelben Nebel wies die Straße zum Sitz der Mantillas auf Verschwendung und apokalyptische Katastrophen hin. Karren und Wagen lagen mit zerbrochenen Rädern verlassen da. Die Höfe waren halb niedergebrannt, die Felder verwüstet. Werkzeug, Ausrüstung, Kleider, Möbel und Hausrat lagen entlang der Straße verstreut. Über dem Land lag Totenstille. Kein Vogelgezwitscher, keine Stimme von Mensch oder Tier durchbrachen die unheimliche Ruhe. Kein Windhauch trieb den unnatürlichen Nebel auseinander.

Kit ritt hinter Colo auf dem letzten Pferd. Beide hatten die Hände an die Waffen gelegt. Anfangs ritten sie vorsichtig, doch als sie niemanden sahen, spornten sie das Tier an.

Als Kit und Colo dem Schloß näher kamen, tauchten die ersten Körper auf. Menschen hingen von geschwärzten Bäumen. Skelette lagen auf den Feldern. Verkohlte Körper und Körperteile lagen in Gräben oder übereinander, wo immer sie hingefallen waren. Manche waren offenbar schon monatelang tot, andere erst seit kurzem und verwesten noch.

»Sieh nur!« schrie Colo, die auf einen zeigte, der am Baum hing.

Kit nickte, als sie einen Soldaten in der Rüstung jener Einheit erkannte, von der sie vor zwei Wochen gestellt worden waren. Er gehörte zu dieser Truppe – oder hatte jedenfalls mal dazu gehört. Und er war nur der erste von vielen aus dieser Miliz, die brutal abgeschlachtet worden waren, wie Kit beim Weiterreiten feststellte.

Das Schauspiel war furchtbarer, als sie es je erwartet hatten. Nicht einmal im Traum hätte Kit sich dieses unaussprechliche Grauen ausmalen können, und sie mußte sich zusammenreißen, um es auszuhalten. Colos Augen blickten unentwegt nach vorn, doch auch sie würgte vor Ekel.

Sie ritten über ein Feld, auf dem die Leichen überall wie Vogelscheuchen an Pfählen baumelten. Ihre Gesichter glichen Gargylen, denn sie waren grotesk verzerrt. Manche waren alt und verwest, andere erst vor kurzem getötet. Es waren lauter Zauberer, und einige hatten Schilder umhängen. Einem, der mit schrecklichen Wunden überzogen war, hing eine Tafel vom Hals: Dieser Zauberer hat versagt und hat dafür bezahlt – Luz Mantilla.

»Der Zauberer«, flüsterte Colo und zeigte hin.

»Ja«, sagte Kit, die die Robe desjenigen erkannte, der erst vor zwei Wochen den magischen Zyklon heraufbeschworen hatte, der Ursa fortgetragen hatte.

Noch immer keine Menschenseele zu sehen.

Jetzt kamen die Türme des Schlosses in Sicht. Aber etwas daran war verkehrt. Die Türme waren schief und verzogen, einige Teile waren herausgebrochen. Nur ein dünner Turm im Zentrum des Durcheinanders reckte sich hoch in die Luft bis über den gelben Nebel. Dieser eine Turm schien von den anderen getrennt zu sein, eine einsame Insel in einem Meer der Trümmer.

Es war, als hätte eine göttliche Faust auf das Schloß geschlagen, es zerschmettert und in alle möglichen Richtungen in den Boden gequetscht.

Als sie näher kamen, wurde der gelbe Nebel noch drückender, und es war unmöglich, etwas klar zu erkennen, was mehr als ein paar Schritte entfernt war. Urplötzlich ragte ein Haufen aus Ziegelsteinen und Geröll vor ihnen auf, der die Straße versperrte. In der Mitte des Steinhaufens war ein von Balken eingerahmtes Loch, von dem aus Stufen nach unten führten. Sie konnten nicht weiter reiten.

Nur nach unten. Die Steinstufen führten in einen Gang. Kein Posten versperrte ihnen den Weg. Weiter vorne flackerte Licht.

»Hier lang?« vergewisserte sich Colo.

»Entweder hier lang oder umkehren«, sagte Kit.

»Dazu waren wir zu lange unterwegs.«

Kit nickte, nahm sich aber einen Augenblick, um ihre Waffen zu überprüfen. In der einen Hand hielt sie Becks Schwert, in der anderen trug sie einen Kupferdolch, den sie dem einen Dunkelelfen abgenommen hatte. Sie warf einen Blick auf Colo.

Die Waldläuferin hatte zwei Schwerter von den Elfen, ein kurzes Messer und eine Rolle Seil. Kits Gefährtin war im ersten Morgenlicht aufgestanden, hatte ihr Gesicht bemalt und ihre langen sandfarbenen Zöpfe mit Federn durchflochten. Jetzt band Colo das Pferd fest und ging voran.

Kit merkte, wie in ihr ein warmes Gefühl für die zierliche Frau aufstieg, die das völlige Gegenteil ihrer Mutter, dieser Stubenhockerin, war. Colo war eine der bewundernswertesten Frauen, die Kit je kennengelernt hatte.

Ohne weitere Worte begannen Kit und Colo vorsichtig, die Treppen hinunter und dann einen langen Steingang entlang zu schleichen, der sich schier endlos vor ihnen erstreckte. Fackeln, die hoch oben an den Wänden hingen, spendeten ein wenig Licht. Die Frauen blieben dicht bei den Wänden und hielten sich von der Gangmitte fern, um Fallen auszuweichen. Mit gezückten Schwertern schoben sie sich langsam vor, wobei sie nach Seitengängen tasteten.

Hin und wieder neigte sich der Gang leicht nach unten, dann wieder machte er einen Knick und stieg etwas an. Unsichtbare Tierchen huschten vor ihnen über den Weg. Der Tunnel war feucht, irgendwo tröpfelte Wasser. Durch Risse in den Wänden quollen unangenehme Dämpfe. Zeitweise war der Weg so dunkel, daß Kit bis auf Colos Umriß an der gegenüberliegenden Wand kaum etwas sehen konnte.

Nach einer Weile gelangten sie in eine große, hohe Kammer, die besser beleuchtet, aber an einem Ende anscheinend halb eingestürzt war. Es gab vier Ausgänge – fünf, wenn man den mitzählte, aus dem Kit und Colo gekommen waren. Sie gingen in vier verschiedene Richtungen, so daß sie zusammen mit dem Eingang einen Stern bildeten.

In der Mitte des Raumes lag ein großer Haufen Körper, die wie Feuerholz übereinander gestapelt waren. Einige waren am Stück hingeworfen worden und wirkten wie lebendig, wie mitten im Tun eingefroren. Andere waren nur noch Skelette. Es waren Dutzende, vielleicht über hundert Leichen mit weißen, verrotteten Schädeln und zerrissenen Kleidern. Überall lagen Eingeweide herum, und durch die Öffnungen schossen die Ratten.

Kitiara hielt erschrocken die Luft an und schlug eine Hand vor den Mund, während Colo bei diesem Anblick unwillkürlich näher an sie heranrückte.

»Was?« Kit fröstelte.

»Atme ganz flach«, wies Colo sie streng an. Sie legte Kit beruhigend eine Hand auf die Schulter.

Sie traten näher heran, um den schauerlichen Totenhaufen besser betrachten zu können, denn sie mußten sich davon überzeugen, daß Ursa nicht unter den Toten war. Plötzlich sprang eine geisterhafte Gestalt aus der Mitte des Stapels auf. Der bleiche, höhnisch grinsende Mann war nur noch Haut und Knochen, hatte dünnes weißes Haar und einen Ziegenbart und trug verfaulte, flatternde Lumpen.

Colo und Kit wichen sofort mit erhobenen Waffen auseinander. Doch ansonsten bewegte sich nichts im Raum, und der alte Kauz schien eher verrückt zu sein als gefährlich. Er sprang von einem Bein aufs andere, während er mit sich selbst redete. In der Hand hielt er einen Eisenring mit rostigen Schlüsseln.