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Rosamund war jetzt die meiste Zeit bewußtlos. Kitiara mußte ihre Mutter so gut wie möglich von hinten stützen. Minna gab sich nicht einmal mehr die Mühe, Rosamund zum Pressen aufzufordern.

Schließlich gab es einen Fortschritt, und Minna lebte auf. »Ein Zeh, ich sehe einen Zeh. Wenn ich jetzt beide Füße zusammen rauskriege, dann erleben wir die Geburt von diesem störrischen Zwilling vielleicht doch noch.«

Irgendwann tauchten beide Füße auf, dann die Beine, dann die Hüften – es war noch ein Junge. Während Kit immer noch Rosamunds Rücken stützte, hörte sie Minnas aufgeregte Kommentare zum Fortgang der zweiten Geburt. Über die Schulter konnte sie sehen, daß die Augen ihrer Mutter geschlossen waren. Rosamunds Atmung war flach und kam stoßweise. Endlich, kurz nach Einbruch der Dunkelheit, trat der Kopf des Babys heraus. Kit hörte Minna fluchen.

»Bei den Göttern! Er atmet nicht, und deine Mutter blutet in Strömen.«

Minna handelte schnell. Sie zog ein kleines Messer aus der Tasche und schnitt die Nabelschnur durch. Dann legte sie das Baby ans Bettende und widmete sich ganz der Mutter, die bewußtlos dalag. Mit einer Hand massierte sie Rosamund den Bauch, um die Nachgeburtswehen zu fördern, die helfen würden, die Blutung zu stoppen. Mit der anderen Hand rührte sie zerkrümelte Espenblätter in eine Tasse Wasser, um einen gerinnungsfördernden Tee zu brauen.

»Ich habe jetzt mit deiner Mutter alle Hände voll zu tun. Hilf du lieber deinem zweiten Bruder«, wies Minna Kit an. »Reib ihm die Füße. Versuch, ihn zum Atmen zu bringen. Tu irgendwas!«

Kit schlüpfte hinter Rosamund heraus und kletterte neben dem Baby aufs Bett. Während sie ihre Angst zu bezwingen suchte, schnappte sie sich ein paar saubere Tücher und fing an, den kleinen Körper abzureiben, wie Minna es beim ersten Kind getan hatte. Schließlich kam ein kratzendes Geräusch aus der Brust von dem Kind, als es eine kleine Menge grüne Flüssigkeit ausspuckte und ein paar armselige Atemzüge machte. Nach einer Minute setzte sein mühsames Atmen aus.

»Minna, was soll ich machen? Ich glaube, er atmet nicht besonders gut«, drängte Kit die Hebamme.

Minna wiegte Rosamunds Kopf und flößte ihr mit einer Pipette etwas von dem Espentee ein. Die Hebamme sah nur kurz hoch, bevor sie sich wieder Rosamund widmete, die selbst kaum noch am Leben war.

»Bring ihn ans Feuer und reib einfach weiter, besonders die Fußsohlen. Wenn das nicht reicht, kannst du ihm in die Bäckchen kneifen. Puste ihn vorsichtig in die Ohren. Was auch immer. Aber denk dran, der zweite Zwilling hat oft wenig Lebenskraft. Vielleicht ist er ein hoffnungsloser Fall.«

Bei dieser Bemerkung fuhr Kits Kopf herum, und sie funkelte die dumme Hebamme einen Augenblick lang an. Dann konzentrierte sie sich schnell auf die Rettung ihres Halbbruders und rannte zum Herd. Mit den Füßen stieß sie weitere Holzscheite ins Feuer, während sie das zarte Baby mit einem Eifer zu rubbeln begann, den sie normalerweise nur für das Üben mit ihrem Holzschwert aufbrachte. Endlich fing das Baby wieder an zu atmen.

Schließlich gab das Baby ein paar unzufriedene Maunzer über diese grobe Behandlung von sich. Wenigstens wurde die bläuliche Färbung jetzt etwas rosiger. Doch als sie versuchte, mit der heftigen Massage aufzuhören, wurde die Atmung des Babys wieder langsamer. Also ging das heilsame Rubbeln weiter. Kitiara war fest entschlossen, Minna zu beweisen, daß sie unrecht hatte, doch sie war um das Leben ihres zweiten Halbbruders zugleich auch höchst besorgt. Sie warf einen kurzen Blick auf den ersten Zwilling, der friedlich in Gilons Wiege geschmiegt lag. Dieser kräftige und im Vergleich engelhafte Junge schlief tief und fest. Wie verschieden sie waren! Doch als Kit länger den älteren Bruder anstarrte, hatte sie den Eindruck, daß er im Gleichklang mit seinem schwächeren Zwilling atmete. Sie konnte jetzt mit dem Reiben aufhören. Das zweite Baby atmete nun besser und war eingeschlafen.

Auf der anderen Seite des Raums lehnte sich die Hebamme zurück.

Auch sie war erfolgreich gewesen. Rosamunds Blutung war gestillt. Kits Mutter schlief den Schlaf der Erschöpfung und war dabei leichenblaß.

»Puh«, seufzte Minna, die ein Laken und eine Decke über Rosamund zurechtzog, »das war eine der schwierigsten Geburten, die ich je erlebt habe. Nicht, daß ich mir Sorgen gemachte hätte! Wenn man in diesen Dingen so erfahren ist wie Minna, mein Kind…«

Kit, die mit dem Baby im Arm am Herd saß, hörte ihr kaum zu. Als sie aufblickte, stand Minna mit rotem Gesicht und inzwischen schiefem Haarknoten vor ihr.

»Deine Mutter muß alle zwei Stunden geweckt werden und einen guten Schluck Tee aus diesen Espenblättern trinken«, sagte die Hebamme kühl. »Du oder Gilon, einer muß heute abend los und Ziegenmilch auftreiben. Deine Mutter ist nicht in der Lage, diese Babys zu stillen, und Ziegenmilch ist das beste für neugeborene Menschenbabys. Ziegen haben auch Junge, wie du weißt.«

Als sie die offensichtliche Abneigung auf Kits Gesicht bemerkte, befand Minna, daß das Mädchen ein paar ganz normale Manieren zu lernen hatte. Kitiara sah zur Seite und betrachtete intensiv den zweiten Zwilling, um zu prüfen, ob ihre sorgfältige Massage Erfolg gehabt hatte. Das Baby gab einen erstickten Laut von sich. Kit fing wieder an, es zu massieren.

»Ich weiß nicht, ob ich darauf meine Hoffnung setzen würde«, sagte Minna trocken. »Du solltest diese Energie lieber für die Pflege deiner Mutter nutzen. Ich hab dir doch gesagt, daß der zweite Zwilling oft nicht lange lebt. Kann sein, daß wir ihm schon morgen früh ein Grab schaufeln können.«

Die ganze Angst und Hilflosigkeit und Enttäuschung der letzten Stunden stieg bei Minnas herzloser Bemerkung in Kit wieder hoch. Ihr kleiner Körper bebte vor Zorn, der sie auf die Füße riß. Ohne eine bewußte Entscheidung holte Kit aus und schlug der Hebamme, so fest sie konnte, ins Gesicht.

»Sag das nicht noch mal!« schrie Kit.

Empört ergriff Minna Kit unsanft an der Schulter, wodurch sie ihr fast das Kind aus den Armen gerissen hätte. Auf ein Geräusch von der Tür her drehte sich erst Minna, dann Kit um. Dort stand Gilon mit ernster Miene. Ein leichter Luftzug blies ihnen ins Gesicht.

»Habt Ihr das gesehen, Meister Majere?« Minna ließ Kits Schulter los und rannte zu Gilon. Sie bebte vor Wut. »Habt Ihr das gesehen? Sie hat mich geschlagen! Das dürft Ihr ihr nicht durchgehen lassen. Ich verlange eine Entschuldigung, und ich finde, ich habe das Recht, sie zur Strafe zu verprügeln. Wenn dieses Kind nicht richtig bestraft wird, dann endet sie noch wie ihr Vater – als Lump!«

Gilon sah von der Hebamme zu seiner Stieftochter. Seine müden braunen Augen verrieten nicht Zorn, sondern Trauer. Er stellte seine Axt hinter der Tür ab und zog langsam seine Jacke aus. Seine große Hündin, Amber, die Gilon stets beim Holzholen begleitete, spürte, daß etwas nicht stimmte, und trottete davon. Der unerschütterliche Gilon fuhr mit den Fingern durch sein dickes, braunes Haar und ließ sich lange Zeit, bevor er redete.

Ohne ein Wort zu ihrer Verteidigung zu sagen, hatte Kit wieder angefangen, das Baby abzureiben. Sie war hundemüde, doch sie haßte die Tränen, die in ihren Augen standen. Sie beugte ihren Kopf tief über das Baby und weigerte sich hochzuschauen.

»Gerede über Beerdigungen am anderen Tag«, sagte der stämmige Holzfäller schließlich, »ist bei einer Geburt unerwünscht. Ich würde sagen, ihr zwei seid praktisch quitt.« In seiner Stimme lag eine stille Autorität. Sein Gesicht war unbewegt.

Kit blickte weiterhin das Baby an, doch innerlich jubilierte sie.

»Na schön!« Vor sich hin schimpfend lief Minna eilig in der Hütte herum und schmiß ihre Sachen einfach in die Tasche. Sie hielt einen Beutel Espenblätter in die Luft und warf ihn demonstrativ auf den Nachttisch. »Ich komme morgen wieder und seh’ nach ihr!« fauchte sie, bevor sie durch die Tür hinausrauschte.

Als Kit das Schloß klicken hörte, blickte sie endlich auf. Sie erwiderte Gilons seltenes Lächeln.

Der ging los und sah sich zunächst besorgt Rosamund an, dann die Wiege, dann das Kindchen in Kits Armen. Auf seinem Gesicht mischte sich Stolz mit Verwirrung.

»Zwillinge, wirklich Zwillinge? Wie geht es Rosamund? Wie geht es den beiden? Was soll ich machen?« Er machte eine flehende Geste mit seinen großen, groben Händen.

»Du mußt gleich los und Ziegenmilch holen«, erklärte Kit. »Minna hat gesagt, das wäre das einzige, was die Babys trinken können, und ich glaube, das müssen wir ihr glauben. Dann müssen wir Mutter wecken und…«

»Moment, Moment«, unterbrach Gilon sie noch immer aufgeregt. »Ich weiß noch gar nichts über meine Kinder. Sind es wirklich zwei?« wiederholte er. »Zwillinge?«

»Ja, zwei Jungen.« Kit war über sich selbst überrascht, denn sie sagte das mit solcher Befriedigung, als wäre sie selbst die Mutter.

Wieder lief Gilon zur Wiege und strahlte seinen Erstgeborenen an, der sich allmählich wieder regte. Dann kam er zu Kit, die immer noch das zweite Baby rieb und tröstete.

»Schsch«, warnte sie. »Das ist der schwächere.«

Draußen war es inzwischen dunkel geworden. Nur das sterbende Feuer erhellte noch den Raum. Hastig zündete Gilon zwei Öllampen an, die riesige, tanzende Schatten an die Wände der Hütte malten.

»Es war nicht einfach«, gestand Kit, wobei sie ihre Erleichterung, daß alles vorbei war, durch einen gleichmütigen Tonfall überspielte. »Mutter hat viel Blut verloren. Ich glaube, sie erholt sich wieder. Das erste Baby, das ist kräftig. Aber auf das hier, auf das muß man gut aufpassen.«

Gilon ging zu Rosamunds Bett, setzte sich vorsichtig neben sie und nahm ihre Hand. Aus ihrem Gesicht war alle Farbe gewichen. Sie lag ganz still da und atmete nur flach. Als er sie sanft auf die Stirn küßte, regte sie sich nicht. Das Wimmern seines Babys lockte Gilon von seiner Frau zur Wiege.

»Ich sollte lieber losgehen und diese Milch holen, bevor wir hier einen Aufstand haben.« Er zog seine Jacke an, blieb dann aber neben Kit stehen, um ihr die Hand auf die Schulter zu legen. Kit reagierte nur zögernd. Sie und ihr Stiefvater berührten sich selten. Gilon drückte leicht ihre Schulter, ehe er sich umdrehte, um seine Pflicht zu tun.

An der Tür blieb er stehen. »Rosamund und ich hatten uns für den Namen Caramon entschieden, falls es ein Junge werden sollte«, sagte er fast entschuldigend zu Kit. »Das bedeutet ›Kraft der Vallenholzbäume‹. Mein Großvater hieß so. Ein guter Name, oder was meinst du?« Nach einer Pause lächelte er und fügte hinzu: »Aber wir brauchen noch einen Namen für den anderen Knaben. Überleg doch mal, ob dir nicht ein schöner Name einfällt.«

Daß Kit gebeten wurde, den Namen mitauszuwählen, machte sie so glücklich wie einen Kender auf einem Jahrmarkt. Sie merkte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoß. Feierlich erwiderte sie, sie würde darüber nachdenken.