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»Sie ist gekommen! Ich bin frei! Welche ist es? Vielleicht sehe ich doppelt. Nach all der Zeit bin ich frei!« babbelte der Alte.

»Bleib stehen«, befahl Colo. »Was sagst du da, Großvater?«

»Hier! Hier!« Der Mann hielt ihnen den Schlüsselring hin.

Kit streckte zögernd die Hand aus und nahm den Ring. Das Metall war mit verkrustetem Schleim überzogen.

»Ich glaube, er ist nicht ganz bei Trost«, sagte Kit schneidend, während sie sich immer noch wachsam umsah.

»Wer bist du, alter Mann? Was geht hier vor?« fragte Colo wieder. Sie steckte ihr Schwert ein und schob das Messer in den Gürtel, um den Irren damit zu beruhigen.

Der Alte war näher an Kit und Colo herangehüpft und tapste nun um sie herum, wobei er fröhlich mit sich selber redete. Seine langen, weißen Haare schimmerten wie Spinnweben. Immer wieder zeigte er in verschiedene Richtungen.

»Die große Herrin, sie hat gesagt, ich kann gehen, wenn ihr kommt. Ich war treu. Der letzte der Treuen bin ich. Seit vielen Jahren. Nur ich bin noch übrig. Außer«, er biß sich auf die Zunge und rollte die Augen, »außer der Eisernen Garde. Ich vergesse Euch nicht, meine Herren. Ich grüße Euch.« Krampfhaft nickte er mit dem Kopf.

»Nehmt schon«, sagte er mit einer Geste zu den Schlüsseln. »Sind eure. Ich gehe! Sie hat es versprochen.« Er winkte kurz und lief los.

»Warte!« schrie Kit wild, griff nach seinem Arm und fuchtelte drohend mit ihrem Dolch. »Wo ist die Herrin, von der du gesprochen hast?«

Er drehte sich um, sah sie an und streichelte seinen Spitzbart. »Es sind fünf Tunnels«, sagte der Alte nachdenklich. »Ihr findet sie, wenn ihr den rechten nehmt, glaube ich. Welchen? Ich rate nicht. Ich selbst«, er wirkte unruhig, »habe die große Herrin jetzt schon viele Monate nicht mehr zu Gesicht bekommen: Sie läßt mich in Ruhe. Das ist meine Belohnung. Andere sind nicht so glücklich. Seid sehr vorsichtig.«

Er beugte sich vor und flüsterte verschwörerisch: »Aber die Eiserne Garde habe ich gesehen. Die kommt und geht. Holt die Besucher. Meine Aufgabe«, sagte er mit stolzem Kichern, »ist es, mich um die Besucher zu kümmern. Nur«, er lockte Kit mit einem dünnen gelben Finger, »zwei übrig. Ts, ts.«

Er legte den Finger an die Lippen. »Die große Herrin ist sehr wütend«, fügte er wissend hinzu. »Pst«, sagte er ausweichend, um Colos Fragen abzuwehren. »Ich riskiere mein Leben, wenn ich euch das erzähle.«

Der Alte fuhr mit stolzgeschwellter Brust herum.

»Irgendwo oben im Turm und sehr wütend. Alle haben versagt, alle untreu. Viel Töten.« Angewidert nickte er zu dem Stapel Tote hin. »Ich nicht. Ich sehr zuverlässig. Ich hüte die Schlüssel! Ich treu!« prahlte er.

»Wo lang?« wiederholte Colo am Ende ihrer Geduld.

Er strich sich über seinen Bart. »Ja. Das ist die Frage. Ich hab’s immer gewußt« – er erschauerte – »früher, früher.« Er drehte sich langsam herum, wobei er jeden Ausgang nachdenklich anstarrte. Seine Augen waren verschwollen. »Ich hab’s vergessen«, klagte er. »Welcher Weg führt nach draußen?«

Colo wies mit dem Daumen über ihre Schulter zu dem Steingang, durch den sie eingetreten waren.

Blitzschnell schob sich der plappernde Alte an ihr vorbei und schoß in den Tunnel. »Gott segne euch!« rief er ihnen noch zu, als er verschwand. »Ich bin frei! Frei!« Minutenlang hörten sie das Echo seiner Schritte, gefolgt von seinem Glucksen.

Kit hielt Colo fest. »Laß ihn laufen«, sagte sie. »Der ist harmlos.«

»Vielleicht ist er ein Spion«, gab Colo zu bedenken.

»Sicherlich«, meinte Kit. »Aber Lady Mantilla weiß inzwischen sowieso, daß wir hier sind. Wir müssen gegen sie kämpfen, so oder so. Uns kann er gleichgültig sein.«

Kits Miene nahm einen beinahe amüsierten Ausdruck an. »Was ist mit denen?« fragte sie.

Colo nahm den Ring in die Hand, drückte zu und ließ einen der alten Schlüssel zerbrechen. »Ich glaube kaum, daß die uns viel nützen werden«, sagte sie trocken.

Als sie wieder in der riesigen Kammer standen, sahen sich Kit und Colo erneut dem grausigen Stapel von Toten gegenüber. Mißmutig musterten sie die mit Balken verstärkten Ausgänge, um ihre Wahl zu treffen. Einer war durch eingestürztes Gestein versperrt. Ansonsten gab es keinen Unterschied zwischen den dunklen Löchern.

»Nun?« fragte Kit.

»Ich finde, wir sollten zusammenbleiben«, schlug Colo vor.

»Dieses Gerede über die Eiserne Garde hat mir gar nicht gefallen.«

Wieder sahen sie sich unentschlossen um. »Also, über den da brauchen wir uns keine Gedanken zu machen«, meinte Kit, die auf den Ausgang zeigte, der von Trümmern und Geröll versperrt war. »Und wir wissen, daß hinter uns der Ausgang liegt«, fuhr sie fort und zeigte auf den Tunnel hinter ihnen. »Oder zumindest der Eingang. Wir können genausogut dort anfangen.« Sie zeigte auf den ganz linken Tunnel. »Von da aus können wir uns nach rechts vorarbeiten.«

Colo nickte. Als sie in den Tunnel hineinblickten, konnten sie eher noch weniger sehen als vorher. Dieser Gang war schwächer beleuchtet als der erste. Kit und Colo hielten sich zunächst eng an die Wände und tasteten sich mit kampfbereiten Waffen vorwärts. Als sie nichts hörten oder sahen, drangen sie nach einer Weile rascher vor.

Zunächst sah der Tunnel immer gleich aus, obwohl die Fackeln an den Wänden weiter auseinander lagen – leer, feucht und ungesund. Je weiter sie kamen, desto seltener wurden die Fackeln; die Abstände zwischen ihnen wurden immer größer. Jetzt stolperten Kit und Colo über heruntergefallene Holzlatten, breite Risse und lose Steine. Von der niedrigen Decke hingen stinkende Pflanzen herunter, und aus den Wänden ragten Schlingpflanzen und Wurzeln, an denen sich die Frauen im Vorübergehen verfingen. Der Gang stieg an und fiel wieder ab und änderte wiederholt die Richtung.

»Wahrscheinlich landen wir da, wo wir hergekommen sind«, vermutete Kit nach einer Weile verzagt.

Bei der ständigen Anspannung und Anstrengung, durch den muffigen Tunnel zu laufen, sackten ihre Schultern zusammen und wurden ihre Gesichter blaß. Kit hatte ihr Schwert weggesteckt und hackte mit dem Messer die zähen Spinnweben und Schlingpflanzen beiseite, die sie behinderten. Colo war auf ihrer Seite des Tunnels vorausgehuscht.

Ganz plötzlich horchte die Waldläuferin hellwach auf. »Was ist das?« Als Kit eilig aufschloß, hörte sie ein merkwürdiges, verstohlenes Geräusch, ein leises Zischen und Platschen. Obwohl sie nach vorne blinzelten, konnten sie die Quelle des Geräuschs nicht ausmachen. »Vorsicht«, warnte Colo.

Als sie jetzt aufmerksamer im Tunnel weitergingen, schwollen die Geräusche an und legten sich wieder. Nach lautem Geschmatze folgten Schweigepausen. Noch immer konnten sie vorne nichts erkennen. Beide hatten ihre Waffen gezogen, während sie stetig vorrückten.

Kit war Colo ein paar Schritte voraus und spähte angestrengt in die Dunkelheit, als sie auf einmal ausrutschte und wie in einen steilen Schacht hinunterschlitterte. Schreiend ließ sie ihr Kupfermesser los und schaffte es, sich mit der linken Hand an einer dicken, knorrigen Wurzel festzuklammern. In der anderen Hand hielt sie ihr nutzloses Schwert.

Sie baumelte im Leeren. Unter ihr war nichts zu sehen als ein finsterer, bodenloser Abgrund.

Aber sie hörte ein furchtbares Gebrüll und danach das Zischen und Platschen eines Wesens weit unten in einem Wasserloch. Der Gestank, der heraufwehte, drang ihr stechend in die Nase.

Fluchend entrollte Colo ihr Seil. Sie kam so weit nach vorn, wie sie es wagte, so daß sie gerade eben Kits angstverzerrtes Gesicht erkennen konnte. Der erste Wurf der Waldläuferin ging daneben. Beim zweiten Mal kam Colo zu nahe an den Rand, verlor den Halt und wäre fast selbst vornüber gefallen. Beim dritten Wurf gelang es Kit, den Arm hochzuschwingen und mit der Hand nach dem Seil zu greifen, die auch den Griff von Becks Schwert festhielt.