»Colo…« Kit wollte etwas sagen. Doch ihr blieb keine Zeit, nach den passenden Worten zu suchen, denn sie hörte es klirren. Sie sah gerade rechtzeitig hoch, um sich vor der letzten Eisernen Garde davonzurollen, die sich auf sie geworfen hatte.
Das Schwert fiel hin, und ihres schlitterte davon, weil sie es bei dem knappen Entkommen verloren hatte. Ihr Gegner hatte immer noch ein Messer, sie hingegen keine Waffe. Er stürzte sich auf sie, doch sie ergriff seine gepanzerte Brust.
Ringend rollten sie über den Boden, spuckten und fluchten einander ins Gesicht. Nur vage nahm sie Lady Mantilla wahr, die mehrere Fuß hinter ihr kauerte und alles mögliche zischte. Der Eiserne Gardist wog doppelt so viel wie Kitiara. Sie schaffte es gerade so eben, sich nicht von ihrem Gegner zerquetschen zu lassen.
Sie kugelten über die Einrichtung, als sie zur Mitte des Raums rollten. Der Kampf kostete beide Kraft, doch Kitiaras Stärke nahm rascher ab. Schließlich schüttelte der Gardist Kitiara ab, schaffte es, über sie zu kommen, und riß das Messer hoch. Verzweifelt warf Kit den Kopf zur Seite. Sie spürte, wie der Dolch des Gardisten an ihrem Kopf vorbeisauste. Beim Auftreffen auf den Boden brach die Spitze ab.
Ihre linke Hand tastete auf dem Boden herum, fand jedoch nichts. Mit der ausgestreckten rechten berührte sie die Spitze von Colos Schwert.
Ihr Gegner versuchte eilends, ein zweites Messer zu ziehen, als Kit das Schwert der Waldläuferin schwang und ihm mit dem Heft gegen den Kopf schlug. Der Treffer brachte die Wache aus dem Gleichgewicht und führte dazu, daß sie ihr zweites Messer fallen ließ.
Kit sprang auf und stolperte nach hinten. Es gelang ihr, sich zu fangen, während ihr Widersacher auf die Beine kam. Jetzt war sie diejenige mit Schwert und ihr Gegner waffenlos.
Dieser wich rücklings zur Wand zurück. Kit legte beide Hände um den Schwertknauf, senkte etwas den Kopf und stürmte los. Sie stach aufwärts in den Helm und hatte gut gezielt: Das Schwert glitt durch den Mundschlitz. Der Ritter war sauber an die Wand genagelt, wo er stöhnte und zuckte.
Kit war ausgelaugt. Ihre Kleider waren zerrissen, ihr Körper von Kratzern und Blutergüssen übersät. Sie brauchte ihre ganze Kraft, um das Schwert zurückzuziehen. Der Gardist rutschte auf den Boden.
Kitiara drehte sich zu Lady Mantilla um, die zu ihrem Stuhl in der Mitte des Raums zurückgekehrt und wieder von dem blassen Lichtkegel umgeben war.
Kit hob ihr eigenes Schwert auf und näherte sich vorsichtig, während sie den Raum nach weiteren Feinden oder magischen Gegenständen absuchte. Die Herrin beobachtete sie höhnisch.
»Schade um deine Freundin.« Lady Mantilla triefte vor Sarkasmus. »Colo? Hieß sie nicht so?«
Die Herrin machte eine unauffällige Handbewegung, die Kit vielleicht noch nicht einmal bemerkt hätte, hätte sie solche Dinge nicht von Raistlin gekannt.
Kitiara war bis auf wenige Fuß an die Herrin herangetreten, sah sich jetzt jedoch außerstande, noch näher zu kommen. Irgendein Kraftfeld, eine Art unsichtbare Wand, hielt sie auf. Gebückt tastete sich Kit mit den Händen weiter, um festzustellen, wo die Barriere anfing und aufhörte.
»Ich habe auch mal einen Freund verloren«, sagte Lady Mantilla mit ihrer tiefen Stimme. »Den einzigen wahren Freund, den ich je hatte. Den einzigen Menschen, den ich je geliebt habe, der mich je geliebt hat. Jetzt weiß du, wie das ist, Kitiara Uth Matar.«
Kit erschauerte, als sie begriff, daß das Kraftfeld nicht schützend um Lady Mantilla lag. Es umgab sie selbst. Kit konnte nur wenige Fuß nach vorn, zurück oder seitwärts gehen. Die Wand überragte ihre Körpergröße bei weitem, und sie konnte das Ende nicht erfühlen. Sie saß gefangen wie eine Spinne im Marmeladenglas.
Als sie Luz Mantilla ansah, bemerkte Kit, wie deren irrer Blick auf dem Schwert in Kits Händen ruhte. Wenn das Schwert sich bewegte, folgten ihm Lady Mantillas Augen.
»Mein schönes Schwert«, stöhnte die Herrin leise, während sie selbstvergessen durch ihr weißes, wirres Haar strich. »Mein kostbares Liebesgeschenk. Ich hätte es gern zurück. Ich hätte es gern als… Erinnerung.«
»Du bekommst es zurück, Hexe«, murmelte Kitiara, »mitten in dein Herz.«
»Was habe ich dir angetan, Kitiara Uth Matar?« säuselte die Herrin kummervoll, deren Augen das Schwert nicht losließen, das Kit von einer Hand in die andere nahm. »Was habe ich dir getan, daß du helfen konntest, meinen Verlobten umzubringen?«
Kit schwieg.
»Ich verstehe dich nicht«, sagte Lady Mantilla. »Jetzt, wo ich deinen Namen kenne, befremdet mich dein Verhalten noch mehr. Wegen deiner Verbündeten.«
Kit starrte sie an. »Was soll das heißen?«
»Dein Name – Matar. Dein Vater war doch Gregor Uth Matar?«
»Was weißt du über meinen Vater?« fragte Kit, deren selbstsicherer Tonfall zitterte.
»Ich habe dir doch gesagt, ich habe eine lange Akte über Ursa«, sagte Lady Mantilla fast ungeduldig. »Ich habe dir gesagt, ich weiß alles über ihn – wo er jemals war, was er getan hat, wie er vorgegangen ist.«
»Was willst du damit sagen?«
»Was ich sagen will?« wiederholte Lady Mantilla. »Ich will sagen, wie kannst du mit dem Menschen unter einer Decke stecken, der deinen Vater verraten hat?«
»Was?«
Lady Mantillas Augen verrieten echtes Erstaunen. »Du weißt es nicht«, murmelte sie. »Du weißt es wirklich nicht…«
»Was soll dieser Trick?« Wütend machte Kit einen Schritt auf die Lady zu. Vergeblich. Die unsichtbare Wand hielt sie auf.
Lady Mantilla legte den Kopf zurück und gab ein langes, schrilles Gelächter von sich. »Es war vor vier Jahren in Whitsett, hoch im Norden. Ursa gehörte zu einem Söldnerheer, das unter deinem Vater einen Entscheidungskampf ausfocht. Gregors Männer waren siegreich, und nach der Schlacht war es Gregor, der die Kapitulationsbedingungen aushandelte. Umringt von seinem treu ergebenen Gefolge, wartete er auf offenem Gelände, während die andere Armee heranritt, um die Waffen niederzulegen.
Was dein Vater nicht wußte: Unter seinen eigenen Männern war eine Gruppe, die die Verteilung der Belohnung für seine Siege nicht gerecht fand. Sie glaubten, er würde sich auf ihre Kosten bereichern. Unter ihnen war ein Mann, ein Oberleutnant, der Gregor bis dahin treu zur Seite gestanden hatte. Er rief diese Gruppe zu einer geheimen Versammlung. Sie schworen, Gregor zu verraten. Angeführt von Ursa Il Kinth, half diese Gruppe, den Sieg zu verfälschen, und Gregor wurde beim Friedensrat verhaftet.«
»Lügnerin!« rief Kit, doch die Anklage kam halbherzig. Die Geschichte von Luz ähnelte sehr derjenigen, die Kapitän La Cava Kit an Bord der Silberhecht erzählt hatte. Vielleicht hatte die Herrin dieselbe Geschichte gehört und schmückt sie jetzt aus, um mich gegen Ursa aufzuhetzen, hoffte Kitiara insgeheim.
»Nein«, summte Lady Mantilla, die ihre Gedanken las, »keine Lüge. Diese Wahrheit ist zu schrecklich für eine Lüge, meinst du nicht auch? Ursas Männer haben deinen Vater umringt, ihn mit Lederriemen gefesselt und ihn der gegnerischen Seite ausgeliefert. Ursa bekam den doppelten Lohn, den dein Vater ausgemacht hatte, und teilte ihn unter den Verschwörern auf. Danach trennten sie sich. Dein Vater wurde in Ketten in den Kerker geschleppt, wo er auf seine Hinrichtung warten sollte. Was für ein schöner Zufall, daß seine Tochter sich mit seinem Verräter zusammengetan hat!«
Wieder warf Lady Mantilla den Kopf zurück und kreischte vor Lachen. Ihr Gegacker dauerte mehrere Minuten, bis es seltsamerweise in ersticktes Schluchzen überging.
Kit schwirrte der Kopf. Sie ballte die Fäuste und preßte sie sich ins Gesicht. Als sie sich von der Herrin abwandte, lief ein Zittern durch ihren Körper. Sie ließ Becks Schwert fallen.
Ein Rascheln ließ sie aufblicken. Mit ganz anderer Miene und fast gelöster Ausstrahlung war Lady Mantilla aufgestanden. Sie zeigte auf die Tür hinter dem Wandbehang, durch den Colo hereingekommen war.
Es wurde still.