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Mit einer raschen Bewegung trat Kitiara an Becks Schwert, das zu ihren Füßen lag, und die Waffe rutschte zu ihrer Gegnerin. Lady Mantilla bückte sich, um es hastig aufzuheben. Dabei hörte Kit ein Zischen – das Kraftfeld löste sich auf. Sie rannte zu der verborgenen Tür.

Hinter ihr setzte sich Lady Mantilla mit einem merkwürdig ruhigen Lächeln auf den Lippen wieder hin und spielte mit dem Schwert ihres Geliebten.

Kit stürmte die Stufen herunter, wo sie unvermittelt auf Ursa stieß, der am anderen Ende seiner Zelle kauerte. Der Söldner sprang aufgeregt auf und klammerte sich an die innere Gitterreihe.

»Kit! Wo ist Colo? Kannst du mich hier rausholen?«

Eine Minute lang konnte sie gar nichts sagen, sondern Ursa nur anstarren. Sie erinnerte sich daran, wie sie ihn rein zufällig kennengelernt hatte, und wie er immer wieder unerwartet ihr Leben beeinflußt hatte. Jetzt sah er mehr tot als lebendig aus; wie sie selbst wahrscheinlich auch. Doch seine Augen strahlten sie an. Die ganze Zeit hatte er diesen sympathischen, durchtriebenen Ausdruck beibehalten.

Unter anderen Umständen hätte sie sich zu ihm hingezogen gefühlt, weit mehr als zu El-Navar. Doch sie wußte, daß Lady Mantilla ihr die Wahrheit gesagt hatte, und in diesem Augenblick haßte sie Ursa von ganzem Herzen.

»Was ist los?« fragte er, als sie nicht gleich antwortete. »Ist etwas schiefgegangen?«

Kit lehnte sich rücklings gegen die Wand und rutschte erschöpft auf den Boden. »Colo ist tot«, sagte sie schlicht.

»Tot!« Er wirkte ehrlich erschüttert. »Erst Radisson, dann El-Navar, Schlaukopf bestimmt auch. Und jetzt Colo…«

»El-Navar ist nicht tot«, sagte sie kurz angebunden.

»Nicht?«

»Ich habe ihn gesehen. Er steckt in einem anderen von diesen Tunnels – in Pantherform. Er hat mich nicht erkannt. Lady Mantilla hat gesagt, sie hätte versucht, ihn zu töten, doch es ging nicht.«

»Also hast du sie getroffen! Du hast sie besiegt.« Wie er grinsen konnte.

»Nein«, sagte Kit trübsinnig. »Sie hat mich besiegt.«

»Aber«, meinte Ursa befremdet. »Du lebst noch. Wie – «

Sie stand auf. »Ich habe ihr Becks Schwert überlassen. Das war alles, was sie wirklich wollte – das Schwert, das du Sir Gatmeys Sohn abgenommen hast.«

Darüber dachte er einen Augenblick lang nach. Dann warf Ursa den Kopf zurück und stieß ein Lachen aus, das trotz seiner mitgenommenen Erscheinung seine Kraft verriet. »Gut. Und kannst du mich jetzt hier rausholen?«

Sie sah wenig interessiert zu der Zelle. »Kann ich nicht«, sagte sie, »und selbst wenn ich es könnte, würde ich es nicht tun.«

»Warum nicht?« fragte er wieder verwirrt.

»Im Austausch für das Schwert hat sie mir die Wahrheit erzählt – über dich.«

»Welche Wahrheit?« grollte er.

»Daß du meinen Vater verraten hast.«

Seine Augen flogen auf. Ursa öffnete den Mund, um etwas zu sagen, besann sich dann aber eines Besseren. Er drehte sich um, ging zur Wand zurück, schlug gegen etwas und kehrte zum Gitter zurück. Sein Gesicht war hart geworden.

»Ich nehme an, du glaubst ihr«, setzte er an.

»Sollte ich das nicht?«

Er rüttelte verzweifelt, aber vergeblich an den Gitterstangen. In seine Stimme schlich sich ein Hauch von Angst. »Du mußt mich hier rausholen, Kit«, bettelte er. »Du mußt mir helfen. Du wirst schon einen Weg finden.«

»Ich will nur eins wissen: Warum hast du das getan? Warum?«

Er verdrehte die Augen. »Sei nicht naiv, Kit«, sagte er wegwerfend. »Das war ein Geschäft. Ein Handel! Es war Geld. Mit deinem Vater hatte es nichts zu tun. Eigentlich mochte ich deinen Vater.«

»Du warst sein Freund!«

Achselzuckend lächelte er. »Kein besonders guter.«

Sie sah ihn wütend an. »Du hast ihn in den Tod geführt.«

»Aber er ist nicht gestorben!« protestierte Ursa. »Er war zum Tode verurteilt, ja, einen Monat und einen Tag nach seiner Festnahme, aber ich habe dem Wärter Geld zugesteckt. Ich bin sicher, daß er entkommen ist.«

»Wieder eine von deinen Lügen.«

»Ich habe nicht so lange dort gewartet«, sagte er störrisch. »Ich sage dir, es war nicht nur, daß ich mich gegen ihn gestellt habe. Auch ein paar von seinen Männern sollten hingerichtet werden. Aber Gregor ist nicht gestorben, bestimmt nicht. Nicht Gregor. Der hatte immer dieses Kenderglück.«

»Erwartest du wirklich, ich nehme dir das ab, nachdem du eingestanden hast, daß du ihn verraten hast?«

»Dich habe ich nicht verraten«, wehrte er sich. »Dich habe ich nicht verraten. Sie haben mich geschlagen und halb verhungern lassen, aber ich habe ihr nicht deinen Namen verraten.«

»Pah!« fauchte sie. »Du hast ihr nichts gesagt, weil du deine eigene Haut retten wolltest. Wenn sie gewußt hätte, wer ich bin, dann hätte sie für dich keine Verwendung mehr gehabt und dich auf der Stelle umgebracht. Du würdest jeden verraten.«

»Nicht dich«, sagte er mit zitternder Stimme.

In dem kreisrunden Saal oben im Turm saß Luz Mantilla auf ihrem Stuhl und starrte ihr Porträt an, das an einem fernen Ort zu einer fernen Zeit entstanden war. In der Hand hatte sie das Schwert von Beck Gwatmey, den sie geliebt hatte, und sie hob die Klinge hoch in die Luft, drehte und untersuchte sie in dem blassen Lichtkegel. Kitiara und El-Navar und Ursa und den ganzen Rest hatte sie völlig vergessen – alles und jeden. Sie dachte nur noch an Beck, der schon so lange tot war und auf sie wartete. Irgendwo.

Sie umfaßte den Knauf und drehte die Klinge um, bis sie nach unten zeigte. Dann trieb sich Lady Mantilla mit einer Freude, die sie lange nicht gefühlt hatte, die Spitze ins Herz.

Kit starrte Ursa haßerfüllt an, als ein leises Grollen den Steingang erschütterte. Die erste Gitterreihe seiner Zelle verschwand vor ihren Augen, und die innere Tür sprang auf.

Kit zwinkerte. Auch Ursa reagierte langsam.

Kits Augen glitten zu dem Schwert, das Colo ihm hier gelassen hatte, aber Ursa war näher dran als sie und hatte sich bereits gebückt, um es zu nehmen. Jetzt trat er durch die Tür und über die Linie, wo die Stangen gewesen waren.

Kit machte einen Schritt zurück.

»Da rein«, sagte er mit einem Wink zur Zelle.

Sie rührte sich nicht. »Wie willst du die verschließen?« fragte Kitiara verächtlich.

Das brachte Ursa zum Nachdenken. Er kratzte sich am Kopf. »Dann muß ich dich wohl töten«, sagte er gelassen.

Er sprang auf sie zu, doch Kit war eine bessere Kämpferin als bei ihrer ersten Begegnung, wo sie noch ein Kind gewesen war. Sie packte ihn am Handgelenk und trat nach oben, womit sie ihm den Arm brach. Trotz seiner Schwäche warf er sie zurück, während beide um das Schwert kämpften. Sein Gesicht war direkt vor ihr, doch vor Kits Augen schwamm nur das Gesicht von Gregor Uth Matar. Sie spürte einen Adrenalinstoß.

»Genau wie früher!« versuchte Ursa zu witzeln, als Kit ihm das Schwert entriß und ihm mit dem Ellbogen ins Gesicht stieß. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte auf den Rücken, wobei er erstaunt zu ihr hochsah – gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Kit das Schwert in seine Brust rammte.

Er versuchte aufzustehen, brach jedoch zur Seite zusammen. Mit dem freien Arm griff Ursa noch nach Kit, fiel dann aber zurück und war tot.

Sekundenlang sah Kit ihn an, denn sie verabscheute ihn, fühlte jedoch auch Mitleid. Sie brachte es nicht über sich, das Schwert herauszuziehen. Unbewaffnet rannte sie durch den Tunnel zurück.

Später – da sie jedes Zeitgefühl verloren hatte, konnten es Stunden, Tage oder Jahre sein – stolperte Kit aus Schloß Mantilla heraus.

Der Nebel hob sich langsam.

Neben dem Eingang lag ein Körper in einer Blutlache. Er gehörte dem geschwätzigen alten Wärter, der zertrampelt und zerrissen war. Er war nicht schnell genug davongelaufen. Als Kitiara auf die Erde blickte, sah sie die Spuren dessen, der den alten Mann umgebracht hatte: Fußabdrücke eines riesigen Panthers.

El-Navar war frei.

Sie konnte kaum die Beine bewegen. Sie ging, als würde sie durch Treibsand waten. Ihr Kopf glühte. Ihre Muskeln waren wie tot. Ein Arm hing schlaff an der Seite herunter. Zum Glück war ihr Pferd noch am Leben und wartete auf sie.