rührte sich nicht, und er rührte auch das Ruder nicht an. Es wäre
auch zu spät gewesen.
Die HMS GRISSOM und das Schnellboot tauchten hinter dem Felsen auf. Mike hielt den Atem an. Nichts geschah. Weder das deutsche Schiff noch die GRISSOM eröffnete das Feuer. Der Zerstörer kam langsam näher, begleitet von dem kleinen Kanonenboot, das sich nun wieder aus seinem Windschatten löste und direkt auf die NAUTILUS zufuhr. Sämtliche Geschütze der GRISSOM waren auf die NAUTILUS gerichtet. Auf die NAUTILUS – nicht etwa auf das deutsche Schiff. Und auch dessen Kanonen blieben weiter auf sie gerichtet, statt auf den Erzfeind einzuschwenken, wie Ben und Mike eigentlich erwartet hatten. Nicht einmal die Soldaten, die hinter der Reling des Kreuzers standen, bewegten sich.
»He!« murmelte Mike. »Da... da stimmt doch was nicht!«
Trautman schwieg noch immer. Aber auf seinem Gesicht war ein ungläubiger Ausdruck erschienen. Wortlos sahen sie zu, wie sich das Schnellboot näherte, die NAUTILUS einmal umkreiste und dann ganz in der Nähe des Turmes zur Ruhe kam. In seinem Bug erschien eine hochgewachsene, in eine dunkelblaue Marineuniform gekleidete Gestalt, die ein Megaphon in den Händen hielt.
»Ahoi, Kapitän Trautman – oder wie immer Sie heißen mögen!« rief er. »Gestatten Sie, daß ich an Bord komme?«
Während die Besatzung des Schnellbootes eine Planke herbeischaffte, über die Stanley trockenen Fußes auf das tiefer gelegene Deck der NAUTILUS gelangen konnte, öffnete Trautman die Turmluke und kletterte als erster ins Freie – sehr langsam und mit erhobenen Händen, was Mike im allerersten Moment ein wenig dramatisch vorkam. Aber als er ihm nach einigen Augenblicken folgte und einen Blick zur Reling des Zerstörers emporwarf, da empfand er Trautmans Vorsicht als gar nicht mehr so übertrieben. Zum ersten Mal sah er, wie viele Gewehre sich auf die NAUTILUS gerichtet hatten – er zählte sie nicht, aber es mußten weit über hundert sein. Und obwohl die Soldaten mit sprichwörtlich preußischer Disziplin dastanden und sich nicht rührten, konnte er ihre Nervosität regelrecht fühlen. Die Situation hatte etwas von der Lage eines Mannes an sich, der mit beiden Füßen in einer Schüssel voller Benzin steht und eine brennende Zigarette in der Hand hält. Ein winziger Fehler, vielleicht nur eine unbedachte Bewegung, und ihnen würde keine Zeit mehr bleiben, sie zu bereuen.
Nach und nach kamen auch die anderen an Deck – Ben, Juan, Chris, Singh und schließlich als letzte Serena, dicht gefolgt von Astaroth und Isis, der kleinen schwarzweißen Katze, die sie von ihrem Abenteuer auf dem Meeresgrund mitgebracht hatten. Niemand sprach. Selbst Astaroth, der normalerweise keine Gelegenheit ausließ, eine gehässige Bemerkung anzubringen, schwieg jetzt. Alle blickten Stanley mit steinernem Gesicht entgegen.
Die Soldaten hatten den provisorischen Laufsteg mittlerweile befestigt. Ein halbes Dutzend mit Gewehren bewaffneter Männer war auf das Deck der NAUTILUS heruntergekommen und hatte im Halbkreis rings um sie herum Aufstellung genommen, aber Stanley selbst zögerte sonderbarerweise noch, das Schnellboot zu verlassen. Sein Blick irrte immer wieder zwischen der NAUTILUS und dem deutschen Kreuzer hin und her, als warte er auf etwas oder jemanden. Und er mußte auch nicht mehr lange warten. Nach kaum einer Minute durchdrang das Geräusch eines Motors die fast unheimliche Stille, die sich über dem Tauchboot ausgebreitet hatte, und dann kurvte eine kleine Barkasse um den Kreuzer herum und hielt unmittelbar neben Stanleys Schnellboot an. Mike beobachtete mit wachsender Verblüffung, wie ein halbes Dutzend deutscher Soldaten auf das Kanonenboot übersetzte und sich von dort aus zu ihren englischen Kollegen gesellte. Als letzter setzte ein hochgewachsener, bärtiger Mann in der Uniform eines Kapitäns zu Stanley über. Die beiden tauschten einige knappe Worte und betraten dann gemeinsam die NAUTILUS. »Was um alles in der Welt bedeutet das?« murmelte Ben fassungslos. »Was hat er mit diesem Deutschen zu tun?«
Trautman gebot ihm mit einer raschen Geste, zu schweigen. Er blickte den beiden Offizieren gebannt entgegen. Sie kamen nebeneinander näher, fast im Gleichschritt, und obwohl sie sich so unähnlich waren, wie es nur ging – Stanley eine schlanke, drahtige Erscheinung mit dem typischen Aussehen und Gehaben eines britischen Gentleman, der Deutsche ein wahrer Koloß, gut einen Kopf größer als Stanley und mit einem Gesicht, auf dem ein Lachen einfach unvorstellbar erschien, strahlten sie doch beide dieselbe Art von Autorität und Kompetenz aus. Nur etwas, auf das Mike wartete, fehlte: Zwischen den Männern war nicht die mindeste Feindschaft. Mike wiederholte in Gedanken die Frage, die Ben gerade gestellt hatte: Wasum alles in der Welt ging hier vor?
Stanley und sein riesenhafter Begleiter kamen heran und blieben in zwei Schritten Abstand stehen. Stanley salutierte spöttisch, während der Deutsche Mike und die anderen nur aufmerksam und aus mißtrauisch funkelnden Augen ansah. »Kapitän Trautman«, begann Stanley, nachdem Trautman seinen Gruß mit einem angedeuteten Kopfnicken erwidert hatte. »Ich sagte doch, daß ich darauf bestehe, Sie und Ihre Enkelkinder zum Dinner auf mein Schiff mitzunehmen. Wußten Sie nicht, daß man die Einladung eines britischen Offiziers nicht ausschlägt?«
»Ihr Humor ist unangebracht«, sagte Trautman. Er deutete auf die Soldaten, die mit angelegten Gewehren einen Halbkreis um sie bildeten, und dann auf den Deutschen. »Was geht hier vor? Haben wir etwas verpaßt? Ist der Krieg beendet?«
»Zumindest für Sie – ja«, antwortete Stanley, noch immer in freundlichem Ton, aber jetzt nicht mehr lächelnd. »Aber bitte verzeihen Sie meine Unhöflichkeit. Darf ich vorstellen: Kapitänleutnant Brockmann, kommandierender Offizier des kaiserlichen Zerstörers HALLSTADT. Die GRISSOM kennen Sie ja bereits. Wo ist der Rest Ihrer Besatzung, wenn ich fragen darf?« »Wir sind vollzählig versammelt«, antwortete Trautman.
»Sie lügen«, behauptete Brockmann. »Das sind doch nur ein paar Kinder. «
Trautman zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Wenn Sie sich selbst davon überzeugen wollen, bitte schön«, sagte er. »Die NAUTILUS steht Ihnen zur Verfügung. Ich glaube ohnehin nicht, daß ich Sie daran hindern kann, sie zu durchsuchen. « »Das ist richtig«, erklärte Stanley lächelnd. Er machte eine knappe Handbewegung. Zwei seiner Männer und auch zwei der deutschen Soldaten hängten sich ihre Gewehre über die Schultern und kletterten hintereinander zur Turmluke hinauf, um im Inneren des Schiffes zu verschwinden.
»Was geht hier überhaupt vor?« fragte Trautman. »Was soll das alles bedeuten? Wieso schießen Sie auf uns? Ich verlange eine Erklärung!«
Stanley lachte erneut. »Sie haben Ihren Humor immer noch nicht verloren«, stellte er fest. »Das ist gut. Natürlich werde ich Ihnen Rede und Antwort stehen aber zuerst lassen Sie mich ein paar Fragen stellen, einverstanden?«
»Zuallererst möchte ich wissen, was dieser Deutsche hier zu suchen hat!« sagte Ben. Er deutete herausfordernd auf Brockmann, der mit unbewegtem Gesicht dastand. »Wir sind hier in britischen Gewässern. Was sucht ein deutsches Schiff hier? Noch dazu einKriegsschiff?«
»Immer mit der Ruhe, mein Junge«, sagte Stanley. »Ich kann dir versichern, daß Kapitänleutnant Brockmann mit vollem Wissen und Billigung der Queen und der britischen Regierung hier ist. Du bist Brite?« »Ja«, antwortete Ben. »Aber ich bin seit ein paar Minuten nicht mehr sicher, ob ich wirklich stolz darauf sein soll. «
Stanley nahm auch das mit einem Lächeln hin. Er musterte aufmerksam die Gesichter der anderen. Schließlich blieb sein Blick an Singh hängen. »Inder, nehme ich an. «