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Sie wurden grob den Gang entlang und dann die eiserne Treppe zum Oberdeck des Schiffes hinaufgetrieben, und wohin Mike auch sah, erblickte er überall neue Spuren von immer größerer Zerstörung. Es schien buchstäblich keinen Meter an Bord des Kreuzers zu geben, der nicht inMitleidenschaft gezogen worden war. Überall brannte es, überall erblickte er verbogenes, zerrissenes Metall, und er sah Dutzende von Verletzten, vielleicht auch Toten.

In Mikes Hals saß ein bitterer, harter Kloß, und er kämpfte mit den Tränen. Obwohl dieser entsetzliche Krieg seit anderthalb Jahren tobte und allmählich die ganze Welt in Brand zu setzen schien, hatten sie bisher doch so gut wie nichts davon selbst miterlebt. Sicher, sie hatten die schrecklichen Nachrichten aus allen Teilen der Welt aufmerksam verfolgt, aber sie hatten es aussicherer Entfernunggetan, und es war ein großer Unterschied, davon zu hören oder es zusehen.Mike lernte in diesen Momenten etwas, was er nie wieder im Leben vergessen sollte. Sie hatten in der Schule über die Kriege und Feldzüge der Vergangenheit geredet, und er hatte mit Trautman viel über diesen bisher größten Krieg gesprochen, und er war auch entsetzt gewesen. Und trotzdem, trotz allem hatte er bei all diesen Berichten und Erzählungen immer eine gewisse Faszination verspürt, und er hatte sich dieses Gefühles nicht geschämt. Das Wort Krieg hatte in ihm stets Bilder von gewaltigen Schlachten heraufbeschworen, von tapferen Helden, die todesmutig und mit einem siegessicherenHurraauf den Lippen dem Feind gegenübertraten, es hatte einen Geruch von Abenteuer und heroischen Taten gehabt.

Nichts von alledem war Wirklichkeit. Es gab auf diesem Schiff keine Helden, keine tapferen Krieger und heroische Taten, und wahrscheinlich gab es sie nirgendwo, auf keinem Schlachtfeld der Welt und in keinem Krieg. Es gab nur Tod, Grauen und vollkommen sinnlose, blindwütige Zerstörung. Mike war zutiefst erschüttert und von einem Entsetzen gepackt, das er sich vor ein paar Minuten noch nicht einmal hatte vorstellen können. Sie kamen an einigen toten deutschen Matrosen vorbei, und er empfand nicht wirkliche Trauer bei ihrem Anblick, sondern ein Gefühl, das er selbst nicht richtig einzuordnen imstande war. Es war so... so sinnlos. Diese Männer hier hatten vielleicht selbst Familien gehabt und zwei-, drei-, viermal solange gelebt wie er – und waren in nur einer einzigen Sekunde ausgelöscht worden. Auch das Deck des Kriegsschiffes bot keinen anderen Anblick: Die HALLSTADT brannte lichterloh. Das hintere Drittel des Schiffes schien vollkommen in Flammen zu stehen, und die Hitze war fast unerträglich. Der Himmel über ihnen war schwarz von Qualm.

In den Brückenaufbauten gähnten zahllose, schwarz umrandete Löcher, aus denen Flammen und Rauch quollen. Es war ein wahres Wunder, daß das Schiff nicht schon längst gesunken war. Die GRISSOM hat tatsächlich ganze Arbeit geleistet, dachte Mike bitter. Wie es aussah, hatte Brockmanns Schiff nicht die geringste Chance gehabt – obwohl es ein gutes Stück größer und wohl auch besser bewaffnet gewesen war als der englische Zerstörer.

Dann gingen sie an den Ruinen der brennenden Brücke vorbei, und als Mikes Blick auf das Meer auf deranderen Seite des Schiffes hinausfiel, sah er etwas, was alle seine Überlegungen hinfällig machte: die HMS GRISSOM.

Sie lag keine hundert Meter von der HALLSTADT auf der Seite und sank. Das Meer war ringsum mitTrümmerstücken und brennendem Öl bedeckt. Zahllose Matrosen befanden sich im Wasser und versuchten verzweifelt von dem sinkenden Wrack wegzuschwimmen, um nicht von seinem Sog mit in die Tiefe gerissen zu werden.

Trotzdem verharrte Mikes Blick nur eine Sekunde auf dem sinkenden Zerstörer und den verzweifelt um ihr Leben schwimmenden Matrosen, denn hinter der GRISSOM war noch ein weiteres Schiff aufgetaucht. Es war weitaus größer als die GRISSOM und schien nur aus Panzerplatten und starrenden Geschützen zu bestehen, und obgleich sowohl der Name als auch die Hoheitskennzeichen sorgsam übermalt worden waren, gab es wohl keinen in der kleinen Gruppe, der es nicht sofort erkannt hätte. Es war die LEOPOLD.

Mike hatte sich geirrt. Alles war ganz anders. Nicht Stanley und Brockmann waren übereinander hergefallen, sondern der Feind, den sie eigentlich gemeinsam hatten bekämpfen wollen, in einem Moment der Unachtsamkeit über sie. Bens Prophezeiung, was geschehen würde, wenn die beiden Schiffe auf Winterfelds Schlachtkreuzer trafen, war grausame Realität geworden.

Auch die LEOPOLD war beschädigt: Hier und da flackerten vereinzelte Brände, und aus dem Heck des Schiffes quoll eine fettige, schwarze Wolke, die sich mit der brodelnden Rauchdecke über dem Meer vermischte. Aber das waren im Grunde nur Nadelstiche, die diesen Giganten nicht wirklich beeindrucken konnten. Mike blieb kaum Zeit, seinen neuerlichen Schreck zu verarbeiten. Hinter ihnen hämmerten schwere Schritte auf dem Metall des Decks, und als Mike sich herumdrehte, gewahrte er niemand anderen als Kapitän Winterfeld selbst, der in Begleitung eines halben Dutzend Bewaffneter auf sie zukam. Die Männer waren auf dieselbe abenteuerliche Weise gekleidet wie die, die Mike und die anderen an Deck gebracht hatten, aber Winterfeld trug jetzt wieder seine Paradeuniform, die aussah, als käme sie frisch aus der Reinigung. Mike fiel allerdings auf, daß ihr Träger sorgsam alle militärischen Rangabzeichen und vor allem die Insignien seines Landes entfernt hatte.

»Winterfeld!« sagte Trautman. Er wollte einen Schritt auf Winterfeld zu machen, wurde aber sofort von seinen Bewachern daran gehindert. »Ich hätte mir denken können, daß Sie dahinterstecken. Nur Sie sind zu einem solchen Verbrechen fähig!«

Winterfeld sah den weißhaarigen Steuermann der NAUTILUS eine Sekunde lang mit einem sonderbaren Ausdruck an. Dann gab er den beiden Männern, die Trautman hielten, einen Wink, woraufhin diese ihn losließen.

»Glauben Sie mir – ich habe das nicht gerne getan«, sagte er leise.

»O nein, sicher nicht«, antwortete Trautman. »Die Trauer steht Ihnen deutlich ins Gesicht geschrieben. « Winterfeld seufzte. Trautmans Worte schienen ihn nicht zu verärgern, sondern vielmehr mit Trauer zu erfüllen, was Mike verwirrte. »Ich kann Ihre Gefühle verstehen, Herr Trautman«, sagte er ruhig. »Wir werden später hinlänglich Gelegenheit haben, über alles zu reden. Vielleicht werden Sie dann auch mich verstehen. Aber im Moment haben wir Wichtigeres zu tun. « Er trat an ihm vorbei und musterte die anderen reihum. Sein Blick blieb auf Mikes Gesicht hängen. »Es freut mich, dich wiederzusehen, mein Junge«, sagte er. »Ihr seid alle unversehrt, hoffe ich?« »Mich freut es nicht«, antwortete Mike zornig. »Und ich will nicht mit Ihnen reden, Sie... Sie Mörder!« Winterfeld fuhr leicht zusammen, sagte aber nichts, sondern wandte sich an Serena. »Unsere kleine Prinzessin ist auch noch dabei, wie ich sehe«, sagte er. »Das ist gut. Ich hoffe, du hast dich mittlerweile ein wenig in unserer Welt zurechtgefunden?« Serena funkelte ihn nur haßerfüllt an, und Winterfelds Lächeln wirkte plötzlich ein wenig verkrampft. »Ich hoffe auch, du hast mittlerweile gelernt, dein Temperament zu zügeln, junge Dame«, fuhr er fort.

»Ich habe die Umstände unseres letzten Zusammentreffens nicht vergessen. Ich weiß, wozu du fähig bist. Aber ich habe entsprechende Vorkehrungen getroffen, sei gewiß. « Mike begriff, was Winterfeld meinte. Er hatte keine Ahnung, daß Serena längst nicht mehr im Besitz ihrer Zauberkräfte war! Und wie sollte er auch? Als sie das letzte Mal zusammengetroffen waren, da hatte Serena um ein Haar sein Schiff vernichtet, nur Kraft ihrer Gedanken! Winterfeld schien Serenas Schweigen als Zustimmung zu werten, denn er setzte das Gespräch nicht fort – zumal in diesem Moment eine weitere Gruppe seiner Soldaten über das Deck herankam, die eine riesenhafte, in eine zerfetzte und angesengte Uniform gekleidete Gestalt vor sich hertrieb.