»Er hat recht, Stanley«, unterbrach ihn Trautman leise. »Sie
verstehen immer noch nicht. « Er deutete mit einer müden Geste auf die Karte. »Es reicht vollkommen, den Sog einmal zu unterbrechen. Und selbst wenn nicht – es würde kälter.Hier. «
»Und?« fragte Stanley verständnislos. »Sie haben nicht zugehört, mein lieber Freund«, sagte Winterfeld lächelnd. »Der Trick ist, daß es hiernicht kalt genugist. Aber das wird es, so oder so. Ein Vulkanausbruch dieser Größe wird Millionen Tonnen Staub in die Stratosphäre schleudern. Für Wochen, vielleicht für Monate, wird die Sonne nicht mehr scheinen. Und Dunkelheit bedeutet Kälte. Wäre es hier nur ein wenig kälter, würde das Wasser zu Eis gefrieren, ehe es sinken könnte. Der unterseeische Wasserfall würde aufhören zu fließen. «
»Und damit der Golfstrom abreißen«, flüsterte Brockmann. »Europa würde eine neue Eiszeit erleben. «
»Ja«, bestätigte Winterfeld. »Ich maße mir nicht an, die Welt umbauen zu können. Früher oder später wird die Natur die alte Ordnung wiederherstellen, dessen bin ich sicher. « »Es wird ein sehr langer und sehr kalter Winter werden – nach meinen Berechnungen zwischen fünf und fünfzehn Jahren. Nicht länger. Aber das ist lange genug, um diesen Irrsinn zu beenden. « »Wissen Sie eigentlich, was Sie da reden?« fragte Trautman. Seltsamerweise war seine Stimme ohne jeden Vorwurf. Er klang einfach nur müde – und so, als wisse er genau, wie wenig seine Worte nutzen konnten. »Sie sprechen vom Ende unserer Zivilisation. Zumindest in der Form, wie wir sie kennen. Keine Nation in Europa kann eine Eiszeit überstehen, selbst wenn sienurfünfzehn Jahre andauert. «
»Und wenn?« fragte Winterfeld. »Welches Recht zum Überleben hat eine Zivilisation, deren ganzes Streben darin besteht, immer neue und immer schrecklichere Waffen zu erfinden, mit der sie sich noch schneller selbst auslöschen kann?«
»Und welches Recht haben Sie, über das Schicksal von Millionen Menschen zu entscheiden?« fragte Serena.
Winterfeld starrte sie an, aber Serena hielt seinem Blick ruhig stand, und schließlich war es Winterfeld, der das stumme Duell verlor. Mit einem Ruck senkte er den Blick.
»Mein Entschluß steht fest«, sagte er. »Ich werde diesen Krieg beenden, so oder so. Ihr könnt mir dabei helfen und mit ziemlicher Sicherheit mit dem Leben davonkommen oder es nicht tun und mit großer Wahrscheinlichkeit sterben. « Er atmete hörbar ein, sah wieder auf und blickte herausfordernd von einem zum anderen. »Ich wiederhole mein Angebot ein letztes Mal«, sagte er. »In zwei Stunden erreichen wir die Position der anderen Schiffe, und morgen früh, bei Sonnenaufgang, beginnen wir damit, sie zu versenken. Es ist eure Entscheidung, ob ihr dann in einem Rettungsboot der LEO-POLD sitzen und vor dem Vulkan fliehen werdet oder an Bord der NAUTILUS. «
»So ganz verstanden habe ich das alles nicht«, gestand Chris, als sie wieder zurück in ihrer Kabine waren. »Das... das kann doch alles überhaupt nicht wahr sein. «
»Ich fürchte doch«, antwortete Trautman düster. Er hatte damit begonnen, wie ein gefangener Tiger in der Kabine auf und ab zu gehen, und er sah Chris auch nicht an, als er ihm antwortete, sondern starrte kopfschüttelnd ins Leere. Selbst seine Hände bewegten sich unentwegt, als könnte er sie nicht mehr still halten. »Ich habe geahnt, daß er etwas Verrücktes vorhat, schon als ich die Karten an seinen Wänden gesehen habe. Aber das –«
»Ist vollkommener Unsinn!« behauptete Stanley. »Kein Mensch auf der Welt ist in der Lage, eine neueEiszeitauszulösen. «
Trautman hielt in seinem ruhelosen Herumgehen inne und sah Stanley fast feindselig an. »Sie haben doch gehört, was er gesagt hat«, sagte er. »Sind Sie wirklich so dumm, oder haben Sie einfach nur Angst davor, zuzugeben, daß er recht haben könnte?« »Vielleicht gelingt es ihm ja nicht, eine neue Eiszeit heraufzubeschwören, «, sagte Brockmann, »aber auf jeden Fall wird er eine unvorstellbare Katastrophe hervorrufen, bei der Tausende von Menschen ums Leben kommen können. Wir müssen ihn aufhalten. « »Ein famoser Plan«, sagte Stanley hämisch. »Und wie?« »Das weiß ich nicht«, gestand Brockmann. »Aber irgendwiemußes gelingen. «
»Wir könnten zum Schein auf sein Angebot eingehen«, schlug Juan vor. »Ihr habt gehört, was er gesagt hat. Er braucht die NAUTILUS. Und ich glaube ihm kein Wort, wenn er behauptet, selbst damit zurechtzukommen. « »Winterfeld ist seit dreißig Jahren Seemann«, sagte Brockmann.
»Das spielt keine Rolle«, antwortete Juan überzeugt. »Die NAUTILUS ist mit nichts zu vergleichen, was Sie kennen. Sie ist viel komplizierter als irgendein anderes Schiff auf der Welt. Er braucht uns. Wenn das nicht so wäre, würde er sich keine
solche Mühe geben, uns zur Mitarbeit zu überreden. «
Trautman schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, ich muß dich enttäuschen, Juan«, sagte er. »Sicherlich wird er die NAUTILUS niemals so beherrschen wie wir. Aber das muß er auch nicht. Er muß nur ein einziges Mal auf den Meeresgrund hinuntertauchen – und das ist sogar relativ einfach. Vergiß nicht, daß die NAUTILUS sich zum Großteil selbst steuert. «
»Dann ist es um so wichtiger, daß jemand von uns an Bord ist!« sagte Ben. »Juan hat recht – wir gehen zum Schein auf sein Angebot ein, und im richtigen Moment –« »Winterfeld ist kein Dummkopf«, unterbrach ihn Mike. »Er wird ganz genau damit rechnen und entsprechende Vorkehrungen treffen. «
»Das stimmt«, sagte Brockmann.»Ichwürde jedenfalls so handeln. «
»Na wunderbar«, sagte Stanley. »Dann können Sie uns ja vielleicht auch sagen, wie wir diesen Verrückten aufhalten?«
Brockmann würdigte ihn keiner Antwort. Er spürte wohl, daß Stanleys Feindseligkeit nicht ihm galt, sondern nur ein Ausdruck seiner Hilflosigkeit war. Und trotz allem, was Stanley ununterbrochen versicherte, wußte er wohl im Grunde ganz genau, daß Winterfelds Vorhabennichtso aussichtslos und verrückt war, wie er es gerne gehabt hätte.
»Aber erkanndoch keinen Erfolg haben, oder?« fragte Chris noch einmal. Seine Stimme zitterte ein bißchen, und seine Augen waren groß vor Angst. Er blickte Trautman an, und es war klar, daß er diese Frage nur gestellt hatte, damit Trautman sie verneinte. »Ich weiß es nicht«, gestand Trautman, nachdem er Chris wortlos und sehr ernst angesehen hatte. »So wie die Dinge liegen, ist alles möglich. Im besten Fall gibt es nur einen großen Knall und sonst nichts. Aber im schlimmsten könnte sein Plan aufgehen. Und das würde eine unvorstellbare Katastrophe bedeuten. « »Und welche?« erkundigte sich Serena. Sie war die einzige, die kaum Anzeichen von Schrecken gezeigt hatte, und ihre Frage klang auch jetzt eher interessiert als ängstlich.
»Genaukann das niemand voraussagen«, antwortete Trautman. »Wenn der Golfstrom abreißt, würde es in Europa eisig kalt werden. Und das ist nicht einmal das schlimmste. Hinzu käme die Rauch-und Aschewolke des Vulkans, den Winterfeld zum Ausbruch bringen will. Unter Umständen könnte monatelang die Sonne nicht scheinen. Es wäre möglich, daß ganz Europa einen zehn Jahre langen Winter erlebt. Den härtesten Winter, den du dir nur vorstellen kannst. England, Irland, ganz Skandinavien und vielleicht sogar ein Teil des europäischen Festlandes würden im wahrsten Sinne des Wortes unter einem Eispanzer verschwinden. Die Nordsee würde zufrieren und die meisten Flüsse ebenso. « Er seufzte. »Ja, Winterfeld könnte sein Ziel erreichen – der Krieg wäre zu Ende. « »Und wenn er nun recht hat?« fragteSerena. »Ich meine, wenn es wirklich das kleinere Übel wäre?« Alle starrten sie bestürzt an, aber Serena fuhr in nachdenklichem Ton fort. »Ich weiß noch immer nicht viel von eurer Welt und euren Sitten, aber das, was ich bisher erlebt habe, das erschreckt mich manchmal. Die Menschen töten sich gegenseitig und