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»Schnell!« keuchte er. »Haltet Euch... fest – Ich kann Euch... nicht mehr lange... !«

Die schiere Todesangst gab Mike noch einmal zusätzliche Kraft. Mit einer letzten, verzweifelten Anstrengung zog er sich in die Höhe, purzelte ungeschickt über die Reling und schlug auf der anderen Seite auf dem stählernen Deck der LEOPOLD auf. Sofort sprang er wieder in die Höhe, griff seinerseits nach Singhs Handgelenken und half nun ihm, in Sicherheit zu gelangen. Anschließend saßen sie fast eine Minute lang keuchend nebeneinander. Mike wurde schwarz vor Augen, und wäre da trotz allem nicht noch immer die nagende Sorge um Serena gewesen, hätte er jetzt vermutlich aufgegeben. Sie waren gerade erst an Bord des Schiffes, und schon waren sie dem Tod nur um Haaresbreite entronnen.

Müde wandte Mike den Kopf, und was er sah, ließ ihn abermals schaudern. Unmittelbar neben ihnen rollte sich die Ankerkette klirrend auf einer gewaltigen Winde auf. Hätte er einen Sekundenbruchteil später reagiert oder Singh ihm nicht im letzten Augenblick eine Warnung zugerufen, dann wäre er jetzt vielleicht schon unter Tonnen von geschmiedetem Stahl begraben... »Weiter!« sagte Singh. Er erhob sich, zog Mike mit einem kraftvollen Ruck auf die Füße und deutete zum Heck der LEOPOLD. Die Schüsse hatten aufgehört, aber auf dem Schiff herrschte trotzdem noch ein heilloses Chaos. Von überallher gellten Schreie, und sie sahen Dutzende von Männern, die in schierer Panik durcheinanderhasteten. Auf der anderen Seite des Schiffes, dort, wo Astaroths Worten nach der Kutter angelegt hatte, schien ein wahrer Tumult ausgebrochen zu sein. Irgend etwas war nicht so, wie es sein sollte.Wases war, das begriff er erst wirklich, als er die Flammen sah.

Mike blieb wie angewurzelt stehen. Irgendwo auf dem Achterdeck der LEOPOLD brannte es. Plötzlich fiel ihm auch noch mehr auf: Der stählerne Boden unter seinen Füßen zitterte und bebte noch immer – und er war nicht mehr gerade! Und endlich begriff er wirklich.

Der Ruck, der Singh und ihn beinahe in die Tiefe geschleudert hatte, war nicht nur das Einziehen der Ankerkette gewesen. Was sie gespürt hatten, das wareine Explosion.Irgend etwas im Rumpf der LEOPOLD war explodiert, und zwar mit solcher Wucht, daß es einen gewaltigen Krater in das stählerne Deck des Schiffes gerissen – und ganz offensichtlich auch ein Leck unter der Wasseroberfläche verursacht hatte.Die LEOPOLD sank!

Singh mußte wohl im selben Moment wie er begriffen haben, daß hier etwas nicht stimmte, denn er fuhr wortlos herum und

packte den nächstbesten Matrosen am Arm. »Was geht hier

vor?« herrschte er den Mann an.

»Wir sinken!« keuchte der Matrose in Todesangst. Er versuchte sich loszureißen, aber Singh hielt ihn mit eisernem Griff fest. »Das Schiff sinkt!« keuchte er immer wieder. »Wir müssen von Bord! Schnell!« »Was ist passiert?« fragte Mike noch. Aber der Mann wußte es entweder nicht, oder die Angst war zu viel. Er zerrte und riß mit aller Kraft an Singhs Armen, und schließlich gab Mike dem Inder einen Wink, ihn loszulassen. Blitzschnell war er wieder auf den Füßen und rannte davon.

»Serena!« schrie Mike verzweifelt. »Wo bist du?!« Und zu seinem Erstaunen bekam er sogar Antwort – wenn auch nicht von der Atlanterin. Plötzlich war Astaroths Stimme wieder in seinem Kopf:

Unter Deck. Sie ist bei Winterfeld! Ich kann nicht genau sagen wo, aber sie sind nicht in seiner Kabine. Unter Deck. Ein großer Raum voller lärmender Maschinen. Etwas bewegt sich und stampft. Es macht ihr angst.

»Der Maschinenraum!« sagte Mike. »Singh, sie ist im Maschinenraum! Bei Winterfeld! Komm!«

Sie rannten los. Dutzende von Matrosen kamen ihnen entgegen, aber die Männer, die noch vor einer viertel Stunde ohne zu zögern auf sie geschossen hätten, schienen jetzt nicht einmal mehr Notiz von ihnen zu nehmen. Jedermann an Bord versuchte in verzweifelter Angst den Kutter zu erreichen. Und diese Angst war nicht unbegründet. Die Neigung des Bodens hatte spürbar zugenommen, und Mike glaubte auch zu sehen,

daß das Schiff bereits tiefer im Wasser lag. Die LEOPOLD

sank tatsächlich – und sie sank sehr schnell.

Wo ist sie jetzt? In einem kleineren Raum, neben dem mit den lärmenden Maschinen,antwortete Astaroth.Sie hat Angst. Winterfeld ist bei ihr. Aber sie hat keine Angst vor ihm.

Das verwirrte Mike, aber er war auch viel zu aufgeregt, um weiter darüber nachzudenken. Serena war irgendwo tief unter ihnen, und wenn sie tatsächlich in der Nähe des Maschinenraumes war, dann hatten sie noch weniger Zeit, als er bisher geglaubt hatte. Er war nicht einmal sicher, daß sie überhaupt noch ausreichte – was immer im Rumpf der LEOPOLD explodiert war, mußte ein gewaltiges Leck in das Schiff gerissen haben. Es sank immer schneller.

Dicht vor Singh stürmte er durch eine Tür, sah eine abwärts führende Treppe und rannte sie auf gut Glück hinunter. Auch hier kamen ihnen Männer entgegen, die in kopfloser Panik flüchteten, so daß sich Mike und Singh ihren Weg manchmal mit Gewalt freikämpfen mußten. Die Luft wurde immerschlechter, und Mike roch jetzt Flammen und Rauch und heißes Öl. Hier und da waren die metallenen Wände so heiß, daß sie sich verbrannt hätten, hätten sie sie berührt. Endlich nahm der Menschenstrom ab, der ihnen entgegenkam. Der Boden hatte jetzt eine so starke Neigung, daß Mike manchmal Mühe hatte, nicht auszugleiten, und auch die Hitze nahm immer mehr zu. Rauch erfüllte die Luft und ließ Singh und ihn husten, und ganz flüchtig kam ihm zu Bewußtsein, wie absurd es wäre, in einem sinkenden Schiff zu verbrennen. »Dort!« Singh deutete durch den wirbelnden Qualm nach vorne. »Der Maschinenraum!«

Mike konnte nichts Derartiges erkennen, aber er vertraute auf Singhs Orientierungssinn und stolperte hinter ihm her, und tatsächlich erreichten sie nach wenigen Schritten den Durchgang zum Maschinenraum. Die gewaltigen Motoren des Schiffes liefen noch immer.Auf der anderen Seite!sagte Astaroth.Eine Stahltür. Beeilt euch!

Diesmal war es Mike, der ihr Ziel als erster ausmachte. Mit gewaltigen Sprüngen hetzte er zwischen den dröhnenden Maschinenungeheuern hindurch. Er schrie jetzt ununterbrochen Serenas Namen, aber der Lärm der Motoren verschluckte seine Stimme. Dafür hörte er jedoch etwas anderes, und obwohl er nicht wußte, was dieser Laut zu bedeuten hatte, jagte er ihm einen eisigen Schauder über den Rücken: Ein dumpfes, lang nachhallendes Dröhnen, das sich immer und immer wiederholte und aus allen Richtungen zugleich zu kommen schien, als schlügen hundert unsichtbare Riesen mit gewaltigen Hämmern auf den Rumpf der LEOPOLD ein – oder als schlügen gewaltige stählerne Türen hinter ihnen zu ...

»Großer Gott!« keuchte Mike. »Die Schotten! Sie schließen sich!«

Und genau das war es: Wie jedes moderne Schiff verfügte die LEOPOLD über gewaltige, stählerne Türen, die im Falle eines Wassereinbruchs dafür sorgen sollten, daß nicht das ganze Schiff überflutet wurde – und die sich offenbar automatisch schlossen. Das Schiff verwandelte sich in genau diesem Moment in ein Labyrinth aus Hunderten von luft-und wasserdicht verschlossenen Kammern und Gängen und in eine tödliche Falle, in der sie vielleicht vor dem eindringenden Wasser sicher waren, aus dem es aber auch kein Entkommen mehr gab. Mike beobachtete entsetzt, wie sich eine gewaltige Stahlplatte vor die Tür zu schieben begann, auf die Singh und er zurannten. Er legte noch einmal Tempo zu, überwand die letzten Meter mit einem einzigen, verzweifelten Satz und sprang durch den zufallenden Eingang. Ungeschickt schlug er auf dem Boden auf, wälzte sich auf den Rücken und sah, wie Singh imbuchstäblich allerletzten Moment durch die Öffnung hechtete. Hinter ihm schlug das Panzerschott mit einem dumpfen, dröhnenden Laut zu. Es war ein Geräusch, als schlösse sich ein gußeiserner Sargdeckel über ihnen.