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Jetzt erst bemerkte Golo den eigentümlichen Schmuck des Baumes. An Seilen hingen Schwerter, Morgensterne und Streitkolben. Selbst die Waffenkammer in der Burg König Gunthers war nicht so gut bestückt wie die Sammlung dieses dämonischen Weibes. Eine ganze Armee könnte man damit ausrüsten.

Vom Sumpf her kam Wind auf, und die Klingen der Schwerter schlugen leise klirrend aneinander. »Hast du... all diese Krieger erschlagen?«

Die Frau lächelte und strich sich eine Strähne weißen Haars zurück, das unter ihrer Kapuze hervorgequollen war. Der Wind bauschte ihren Mantel auf, und ein Wicht mit einer Haut wie Eschenrinde kroch unter dem Saum hervor. »Niemals wird ein Sterblicher in den Landen der Feen regieren!« krächzte er mit heiserer Stimme und lachte. Es war dasselbe Lachen, das Golo hinter den Dornenhecken gehört hatte.

»Du bist gekommen, um unseren Frieden zu stören, nicht wahr?« Das Lächeln war aus dem Gesicht der Frau verschwunden. »Du bist gefährlicher als die Ritter, denn du willst nicht kämpfen...«

»Ihr irrt Euch...« stammelte Golo und wich zurück. »Ich will nur fort aus den Sümpfen. Niemals hatte ich vor, König an Eurer Seite zu werden, und mir genügt es...«

»Holt ihn!« Die Frau wies mit ausgestrecktem Arm auf den Knecht, und hinter ihr erhoben sich Dutzende der Wurzelmännchen aus dem Sumpf.

Golo rannte auf das Labyrinth der Schädelstangen zu. Selbst die Toten lachten ihn aus und klapperten mit ihren bleichen Kiefern. Manche der Schädel schnappten nach ihm. Er hob schützend die Arme vors Gesicht. »Laßt mich in Frieden! Ich will doch nichts von Euch...«

Wurzeln wuchsen aus der Erde und griffen nach seinen Beinen. Golo strauchelte und schlug wild mit den Armen um sich. Dann griff er nach seinem Dolch. Er würde sein Leben so teuer wie möglich verkaufen!

Etwas packte ihn bei den Armen. Er wurde geschüttelt.

»Ganz ruhig. Das war nur ein Traum. Es ist alles gut.«

Blinzelnd öffnete er die Augen. Das Gesicht einer alten Frau, gerahmt von strähnigem grauem Haar, beugte sich über ihn. »Niemand wird dir hier etwas tun«, flüsterte sie beruhigend. »Du hast nur zuviel vom Met meiner Enkeltochter getrunken. Das gibt einen schweren Kopf und üble Träume. Setz dich an den Tisch und iß. Ich hab’ etwas Suppe warm gemacht und werde dir einen Kräutersud kochen, der deine Kopfschmerzen vertreibt.«

Noch halb in seinen Träumen gefangen, starrte Golo die Alte an. Woher kam sie? Warum war sie in der letzten Nacht nicht in der Hütte gewesen? Mißtrauisch blickte er sich um. Niamh war nicht zu sehen. Auch ihr Hund war verschwunden.

Unter der Tür schimmerte ein Streifen grauen Morgenlichts. Müde reckte der Knecht seine Glieder. Volker lag dicht neben dem Feuer. Er hatte sich in ein Fell eingerollt. Das Gesicht des Kriegers war entspannt. Er wurde offensichtlich nicht von Alpträumen geplagt. Golo reckte sich, wickelte sich eine Decke um die Hüften und trat an den Tisch, auf den die Alte inzwischen eine Suppenschüssel gestellt hatte. Beim Anblick des Essens wurde ihm übel. Fischsuppe! Das war das letzte, was er jetzt brauchen konnte.

»Geht es dir nicht gut?« Das alte Weib hielt ihm einen Becher mit einer duftenden Flüssigkeit hin.

Golo biß die Zähne zusammen. »Entschuldige, aber ich glaube, ich muß...« Er stürzte zur Tür.

5. KAPITEL

Volker verneigte sich vor der Alten. »Habt Dank für das Frühstück und den Proviant, den Ihr uns überlassen habt. Seid Ihr sicher, daß Eure Enkeltochter nicht doch bald aus den Sümpfen zurückkehren wird?« Das Weib schüttelte den Kopf. »Sie kommt immer erst in der Abenddämmerung, wenn sie Kräuter sucht. Ich werde ihr einen Gruß von Euch ausrichten, edle Ritter.«

»Nun...« Der Spielmann zögerte. Dann griff er nach der Geldkatze an seinem Gürtel. »Sie hat meinem Diener das Leben gerettet. Seid so gut und gebt ihr das hier als Zeichen meines Dankes. Das ist alles Geld, das ich besitze.«

Die Alte schüttelte erneut den Kopf. »Niamh wird Euer Silber nicht annehmen. Was sie für Euch tat, geschah nicht um einer Belohnung willen. Wenn Ihr Euch wirklich als dankbar erweisen wollt, dann treibt das Packpferd in die Sümpfe.«

Volker seufzte. Er musterte das alte Weib eindringlich. Die Frau hatte dieselben graublauen Augen wie ihre Enkelin. Man sah ihr deutlich an, daß sie mit Niamh verwandt war. Ihr Gesicht war von feinen Falten durchfurcht, doch ihre Augen glänzten und waren voll jugendlicher Kraft. Obwohl sie wohl mindestens schon sechzig Sommer erlebt hatte, hielt sie sich noch völlig gerade. »Ich habe Niamh erklärt, warum ich nicht auf das Pferd verzichten kann. Ohne ein Packpferd müßten wir unsere Reise abbrechen und zur nächsten Stadt reiten.«

»Vielleicht wäre es auch das klügste.«

»Das mögt Ihr so sehen«, entgegnete der Spielmann gereizt. »Doch gestattet, daß ich anderer Meinung bin.« Er wollte sich schon umdrehen und zu den Pferden gehen, als die Alte ihn am Arm festhielt.

»Laßt mich Eure Hand sehen, Herr Ritter. Ich möchte wissen, ob Ihr es seid?«

»Wer soll ich sein?«

Sie lächelte. »Vielleicht der Auserwählte der Hohen Königin. Dies ist doch wohl das Schicksal, das Ihr sucht.« Sie nahm seine Hand und fuhr mit den Fingern darüber. »Eure Lebenslinie ist sehr kurz, Herr. Ihr werdet den Tod finden, den Ihr Euch wünscht, doch das Leben, von dem Ihr träumt, wird Euch stets verwehrt bleiben. Ihr seid ein Wanderer, und ganz gleich, wohin Ihr Euch wendet, das Schicksal wird Euch wiedereinholen. Ihr werdet nicht erleben, daß Eure eigenen Kinder auf Euren Knien sitzen, und doch werdet Ihr weiterleben. Auch wenn das Reich der Burgunden längst nur noch eine ferne Erinnerung ist, wird man noch immer Eure Lieder kennen. Doch die Geschichte ist ungerecht. Eure Kunst wird man einem anderen Dichter zuschreiben.«

Volker zog seine Hand zurück. »Genug. Mehr schlechte Nachrichten möchte ich nicht hören. Ich bin selbst meines Glückes Schmied, und mein Schicksal steht nirgends geschrieben! Am allerwenigsten in meiner Hand. Zeig mir meine Lebenslinie!«

Die Alte fuhr mit ihrem dürren Zeigefinger über seine Hand. »Hier. Euer Leben wird weniger als vierzig Sommer währen.«

Der Spielmann lachte und zog einen Dolch aus seinem Gürtel. »Sieh her, törichtes Weib. Dies ist die Linie?« Er setzte das Messer an und schnitt sich in die Handfläche. »Mein Leben wird jetzt fast doppelt so lange währen.« Dunkles Blut tropfte von seiner Hand.

Die Frau blickte ihn traurig an. »Niemand kann sein Schicksal ändern, nicht einmal Ihr, Herr Volker.« Sie trat zurück und ging zu Golo. Der Spielmann wischte sein Messer an der Satteldecke sauber und steckte es in den Gürtel zurück. Er leckte das Blut von seiner Hand. Die Wunde war nicht sonderlich tief. Es würde nicht einmal eine Narbe zurückbleiben. Er hatte die Alte nur erschrecken wollen. Sie stand jetzt neben dem Jungen und musterte dessen Hand. Plötzlich schlug sie danach, machte einen Satz zurück und spuckte vor Golo aus. Das Pferd des Knechtes scheute. Er hatte alle Mühe, es unter Kontrolle zu halten. Mit großen Schritten eilte die Frau auf die Hütte zu.

Volker zog sich in den Sattel und grinste. Diese Verrückte schien Golo wahrhaft erschreckt zu haben. Der Junge war leichenblaß.

»Ich wünschte, ihr wäret in den Sümpfen verreckt!« keifte das Weib. Sie stand jetzt in der Tür ihrer Hütte und drohte ihnen mit erhobener Faust. »Ihr Bastarde! Mögen Morrigans Raben das Fleisch von euren Knochen picken!«

Volkers Blick fiel auf die beiden grünen Flicken am Saum des grauen Leinenkleides der Frau. Es war das Gewand, das Niamh letzte Nacht getragen hatte! Wer war sie? Sollte etwa... Nein! Die beiden Frauen mußten die Kleider getauscht haben!

Krachend wurde die Tür der Hütte zugeschlagen. Lanzenbrecher schnaubte unruhig, und Volker strich dem Hengst über die Mähne. Er wendete das Pferd und ritt an Golos Seite. »Was hat die verrückte Alte zu dir gesagt?«