Der Junge wirkte völlig verstört. »Sie hat behauptet, der Tod stünde in meinem Schatten, und ich sei der Verderber der Vergangenheit. Dann verfluchte sie den Leib meiner Mutter und den Samen meines Vaters.«
Volker lachte, doch es klang nicht so unbeschwert wie sonst. »Die Einsamkeit hat ihr den Verstand verwirrt. Gib nichts auf ihre Worte. Dein Schicksal steht nicht in den Linien deiner Hand. Allein der Herr, unser Gott, weiß um unsere Zukunft, und nicht irgendeine dahergelaufene Vettel. Laß uns aufbrechen und diesen unfreundlichen Ort hinter uns lassen.«
Sie waren drei Stunden geritten, als sie die Wegkreuzung erreichten, von der Niamh gesprochen hatte. Nur ein paar Schritt weiter hatte ein junger Mann im Schatten einer Weide sein Lager aufgeschlagen. Er briet ein Huhn über einem Feuer.
Ganz in der Nähe graste ein großes, graues Schlachtroß. An der Weide lehnten eine Lanze und ein Schwert. Direkt daneben lagen ein Topfhelm und ein großer Reiterschild im Gras. Zweifellos handelte es sich bei dem Fremden um einen Ritter. Als er sie sah, richtete er sich am Feuer auf. Der Kerl war ein wahrer Hüne. Er hatte flammendrotes Haar, und so, wie er dreinschaute, würde es Ärger geben. Golo kannte sie, die Herren Ritter. Sich zu schlagen war ihnen stets ein Vergnügen, und dieser Kerl sah so aus, als hätte er sich schon lange nicht mehr vergnügt. Besorgt blickte er zu Volker. Er würde sicher keinem Streit aus dem Weg gehen, doch mit der Schnittwunde in der Hand war er benachteiligt. Warum hatte sein Herr auch das alte Weib aus der Hütte foppen müssen? Sich mit dem Messer die Lebenslinie zu verlängern...
Der Fremde war an den Rand des schmalen Weges getreten, der in den Wald führte, in dem der Feenbaum mit dem verwunschenen Horn stehen mußte. Vielleicht würde der Spielmann ja doch einen Streit vermeiden?
»Wohin führt Euch die Reise? Dies ist eine einsame Gegend. Ihr seid seit zwei Tagen die ersten Menschen, die mir begegnen.« Der Ritter hatte eine volltönende, angenehme Stimme. Er sprach mit einem eigenartigen Akzent, wie ihn Golo noch nie gehört hatte. Einen Moment lang überlegte der Knecht, ob dies vielleicht der Streiter der Feenkönigin sein mochte, doch dann verwarf er diese Idee. Der Kerl sah dafür einfach zu gewöhnlich aus. Für Morrigan würde sich gewiß ein Riese schlagen oder eine Bestie, der Hörner aus der Stirn wuchsen und die Feuer spucken konnte.
»Wir sind auf einer Queste, die uns in diesen Wald dort führen wird, mein Freund. Ich hoffe, Ihr habt nicht die Absicht, uns den Weg zu verwehren, denn wir haben es eilig.« Volker sprach in einem Tonfall, als rede er mit einem einfältigen Bauern. Gleichzeitig äffte er den Akzent des Fremden nach.
Golo seufzte. Er würde seinen Herren niemals begreifen! Da trieben sie nun wochenlang das Spiel mit dem flüchtenden Kaufmann und dem weißen Ritter, der selbst mit verbundenen Augen ein unbezwingbarer Schwertkämpfer war, um unnötigen Kämpfen aus dem Wege zu gehen, und dann provozierte Volker trotz seiner verletzten Schwerthand ein Duell.
Der fremde Ritter lief rot an. Offenbar kostete es ihn große Mühe, die Fassung zu bewahren und gemäß ritterlichem Ehrenkodex zu antworten. »Da ich als erster an diesen Weg gekommen bin, beanspruche ich auch das Recht, als erster in diesen Wald zu reiten. Solltet Ihr das nicht akzeptieren können, fürchte ich, wird es sich nicht vermeiden lassen, diesen kleinen Streit mit einem Lanzengang zu klären.«
Volker verneigte sich. »Es wird mir eine Freude sein, Euch hinter Eurem Pferd im Gras Hegen zu sehen. Und falls die Käfer dort unten Euch fragen sollten, wer Euch so schnell vom Pferd geholfen hat, so sagt ihnen, daß Ihr Volker von Alzey begegnet seid.«
Der Fremde lachte jetzt. »Ich nehme Euer Angebot an, Herr Volker. Solltet Ihr mit der Lanze so gewandt sein wie mit der Zunge, so müßtet Ihr wohl der gefährlichste Kämpe Aquitaniens sein. Da ich Euren Namen aber noch nie zuvor gehört habe, werde ich mir wohl keine Sorgen über den Ausgang unserer Auseinandersetzung machen müssen. Mein Name übrigens ist Gwalchmai von Kaledonien.«
»Ah, ein Krieger aus dem Volk der Zungenverdreher und Rockträger. Wie ich sehe, seid Ihr noch nicht gerüstet. Darf ich Euch die Dienste meines Knechts anbieten, um Euer Panzerhemd anzulegen?«
»Vielleicht sollten wir zuallererst nach dem Huhn über dem Feuer sehen«, wandte Golo ein. »Wenn Ihr nicht bald den Spieß dreht, dann wird es schwarz wie ein Rabe sein.« Vielleicht würde es sich Volker während eines Essens mit dem Kaledonier ja noch anders überlegen. Wenn die beiden sich die Köpfe einschlugen, bedeutete das nur jede Menge zusätzliche Arbeit für ihn. Er war schließlich derjenige, der die Scharten aus Volkers Schwert wetzen mußte und dem es oblag, das Kettenhemd zu flicken und eine neue Lanze zu schneiden.
»Euer Diener scheint mir ein kluger Mann zu sein, auch wenn er ein wenig vorlaut ist. Gestattet Ihr, daß ich Euch einlade, Herr Volker?«
»Es ist mir eine Ehre und ein Vergnügen, Euch ein wenig besser kennenzulernen. Schließlich ist es ja nichts Persönliches, weswegen wir uns duellieren werden. Es geht lediglich darum zu entscheiden, in welcher Reihenfolge wir in diesen Wald reiten werden. Gestattet Ihr, daß ich meinen Diener damit beauftrage, sich um das Essen zu kümmern, dann können wir ungestört plaudern.«
So liebte Golo seinen Herren. Wütend stieg er ab und schnallte die Kiste mit dem Proviant vom Packpferd. Dann ging er zur Feuerstelle, um sich um das Huhn zu kümmern. Wahrscheinlich würden die beiden ihm nicht einmal einen der mageren Flügel übrig lassen. Obwohl... Er starrte erst auf das Hähnchen und dann auf den Weinschlauch, den er mitgebracht hatte. Wenn er das Fleisch gut mit Salz einrieb und den beiden reichlich von dem schweren Rotwein servierte, dann würde ihr Duell vielleicht ausfallen...
Volker fühlte sich nicht besonders wohl, als er sein Pferd bestieg. Er schwankte leicht, und im Grunde war er überhaupt nicht in kämpferischer Stimmung. Aber nun hatten sie sich auf dieses Duell geeinigt... Dieser Kaledonier war ein ernstzunehmender Gegner. Volker hatte ihn während des Essens unauffällig beobachtet. Er bewegte sich gewandt und selbstsicher. Sein Körper war stets in vollkommener Balance. Wahrscheinlich war Gwalchmai ein erstklassiger Schwertkämpfer. Und muskulöser war er obendrein auch noch.
Volker erschien sein Kettenpanzer heute schwerer als sonst. Ob Golo irgend etwas damit angestellt hatte? Der Ritter hob den Kopf und spähte durch die schmalen Sehschlitze seines Topfhelms. Er konnte nur mit Mühe einen Teil des Waldweges sehen und den Kaledonier, der keine fünfzehn Schritt entfernt mit eingelegter Lanze auf das Zeichen zum Angriff wartete.
»Meinen Speer, Knappe!« Volker streckte die Rechte aus und griff nach der Waffe. Dann preßte er die Linke mit dem Schild eng an den Körper und achtete darauf, den Schild leicht schräg zu halten, damit die Lanze des Gegners gut abgleiten konnte.
Wieder blickte er zu dem Kaledonier hinüber. Sein Grauer tänzelte unruhig. Gwalchmai hatte einen grünen Waffenrock angelegt und war mit einem grünen Schild gewappnet, auf den ein weißer Falke aufgemalt war. »Seid Ihr bereit, Herr Gwaldm... Gwailch... ähm, mein Freund?« Dieser Name! Wie sehr mußte eine Mutter ihren Sohn hassen, um ihm einen Namen zu geben, den kein aufrechter Christenmensch richtig auszusprechen vermochte.
Der Kaledonier hob leicht den Schild und nickte.
»Dann los!« Volker legte die Lanze ein und gab seinem Hengst die Sporen. Mit donnernden Hufen galoppierten die beiden schweren Pferd aufeinander zu. Der Spielmann zielte auf die rechte Hälfte von Gwalchmais Schild. Wenn der Kaledonier nicht aufpaßte, würde es ihn aus den Sattel reißen.