Krachend zersplitterten die beiden Lanzen. Volker erhielt einen Schlag wie ein Pferdetritt. Etwas prallte mit dumpfem Klang gegen seinen Helm. Vor ihm tauchte der Wald auf. Er riß den Hengst herum und schwenkte den Schildarm, der vom Aufschlag der gegnerischen Lanze wie betäubt war. Hastig wendete er den Kopf. Der Kaledonier war nirgends zu sehen. Im Gras lag er jedenfalls nicht. Verfluchter Helm! Wenn er nur eine bessere Sicht hätte. Volker warf den Stumpf seiner zersplitterten Lanze zur Seite, hängte den Schild an das Sattelhorn und hob mit beiden Händen den schweren Topfhelm.
»Ich fürchte, das war ein eindeutiges Unentschieden«, ertönte seitlich von ihm die Stimme Gwalchmais. Der Kaledonier hielt seinerseits eine zersplitterte Lanze in der Hand. »Ihr sitzt recht fest im Sattel, Herr Volker. Die meisten meiner Gegner haben sich nicht so gut gehalten wie Ihr. Es wird mir eine Freude sein, mit Euch die Klinge zu kreuzen.«
Der Spielmann nickte. Die Wirkung des Weins war jetzt verflogen. Sein Haar klebte ihm schweißnaß an den Schläfen. Er schwang sich aus dem Sattel und winkte Golo, ihm das Schwert zu bringen. Dann ballte er die Rechte zur Faust und öffnete sie langsam wieder. Der Verband um seine Hand hatte sich rot gefärbt. Hätte er nur auf dieses dumme Spiel mit der alten Wahrsagerin verzichtet! Er konnte sein Schwert nicht so fest halten, wie es gegen einen solchen Kämpfer notwendig gewesen wäre! »Bring mir den Bastard!« rief er Golo zu. Er konnte in diesem Duell nur durch überlegene Technik bestehen.
Der Knecht eilte zum Packpferd und schnallte das lange Schwert vom Lastsattel. Der Griff der Waffe war so gearbeitet, daß man sie mit zwei Händen führen konnte. Zugleich war das Bastardschwert aber so gut ausgewogen, daß man auch einhändig mit ihm kämpfen konnte.
»Ihr gestattet, daß ich lieber mit Breitschwert und Schild kämpfe?« Gwalchmai hatte seine Waffen bereits genommen und stand breitbeinig mitten auf dem Weg, der zum Wald führte.
»Wenn Ihr glaubt, so der Niederlage entgehen zu können!« Volker wünschte, er wäre nur halb so zuversichtlich, wie er tat. Golo reichte ihm den Bastard. Der Spielmann wog das große Schwert prüfend in der Rechten. Ein stechender Schmerz fuhr durch die verletzte Hand. Er hatte keine Wahl, er mußte die Waffe zweihändig führen. Seine Linke müßte die Hauptlast tragen.
»Wollt Ihr den Kampf nicht aufgeben, Herr?« flüsterte Golo leise. »Dieser Kaledonier scheint mir ein geübter Schlächter zu sein. Mit Eurer Verletzung werdet Ihr einen schweren Stand gegen ihn haben.«
Volker schüttelte den Kopf. »Ich bin Ritter. Ich kann jetzt nicht kneifen. Das ist das Vorrecht der Knappen und Knechte. Ich bin dazu erzogen, auch dann meine Sache nicht aufzugeben, wenn es keine Aussicht auf Erfolg gibt. Weißt du, Junge, das ist der Stoff, aus dem die Dichter Heldenepen schreiben. Setz mir den Helm auf.«
Innerlich fluchte Volker. Natürlich hätte er sich gerne mit Gwalchmai geeinigt, doch dazu war es jetzt zu spät. Aufzugeben, hieße, das Gesicht zu verlieren. Dann würde er schon lieber ein paar Prellungen einstecken. Schließlich kämpften sie nicht auf Leben und Tod.
Der schwere Helm senkte sich über seinen Kopf, und wieder war die Welt auf zwei schmale Schlitze reduziert. Langsam ging er dem Kaledonier entgegen. Dieser stürmte vor und eröffnete den Kampf mit einigen schnellen Attacken, die Volker jedoch mühelos parierte. Das Bastardschwert war die einzige Waffe, mit der er es zum selben Geschick gebracht hatte wie sein Mentor und Fechtmeister, Hagen von Tronje.
Der Spielmann täuschte einen Schlag nach Gwalchmais Helm an, führte die Waffe dann geschickt um den Schild herum, den sein Gegner zur Parade hochriß, und landete mit der flachen Seite des Schwertes einen wuchtigen Treffer an der Hüfte des Kaledoniers. Er konnte den Ritter kurz aufstöhnen hören. Gwalchmai zog sich ein Stück zurück, und sie umkreisten einander eine Weile.
Wieder war es der Kaledonier, der den ersten Angriff wagte. Wie sein Wappentier, der Falke, stieß er vor und bedrängte Volker mit seinen Attacken. Kaum konnte er die ungestümen Schläge Gwalchmais abwehren. In der Hoffnung, sich Luft zu verschaffen, versuchte er einen geraden Stich, um seinen Gegner zu zwingen, in die Defensive zu gehen. Offenbar unterschätzte der Kaledonier die Wucht des Angriffs. Denn er hob kaum seinen Schild, und die Spitze von Volkers Schwert glitt ab und fuhr Gwalchmai in den Oberschenkel. Sein Gegner fluchte lauthals. Er ging in die Knie und kauerte sich hinter seinen großen Schild.
Volker wollte ihm schon anbieten, den Kampf zu beenden, als der Kaledonier einen Satz nach vorne machte und den Spielmann mit seinem Schild zu Boden stieß. Volker versuchte, sich zur Seite zu rollen, doch Gwalchmai war sofort über ihm. Er zielte mit der Spitze seines Schwertes unter den Topfhelm und berührte Volkers Hals.
»Genug!« keuchte der Spielmann. »Ihr seid der Bessere. Ich ergebe mich!« Der Kaledonier machte keine Anstalten, seine Waffe zur Seite zu nehmen. Auch er keuchte lauthals. Blut sickerte ihm durch die Panzerringe und lief das Bein hinab. Er hob die Klinge ein Stück an, und dann stieß er zu.
Volker riß den Kopf zur Seite. Klirrend schlug die Waffe gegen seinen Helm und glitt ab. Gwalchmai rammte sein Schwert in die Erde und trat zwei Schritte zurück. »Verzeiht mir! Verzeiht, Herr!«
Volker riß sich den Helm herab. »Was sollte das? Ich hatte doch gesagt, daß ich mich ergebe!«
»Verzeiht!« Auch der Kaledonier zog jetzt seinen Helm ab. »Es war... Ich... Manchmal weiß ich nicht mehr, was ich tue. Ich will dann das Blut meines Gegners fließen sehen. Vor allem, wenn ich verwundet werde. Man sagt, ich hätte Wolfsblut in den Adern und sei ein Berserker. Deshalb mußte ich auch das Königreich Kaledonien verlassen. Ich habe in einem Turnier den Halbbruder des Königs erschlagen und wurde verbannt.«
Volker stieß ebenfalls sein Schwert in die Erde und stülpte seinen Topfhelm über den Griff. »Über diese Eigenart hättet Ihr mich auch vor unserer Auseinandersetzung unterrichten können. Es ist schließlich nicht ganz belanglos, wenn Euch mitten in einem freundschaftlichen Kräftemessen plötzlich die Lust überkommt, mich zu köpfen.«
Gwalchmai starrte zu Boden. »Ich dachte, ich könnte es unterdrücken.«
»Ihr habt gewonnen. Ihr solltet jetzt die Kettenhose ablegen, damit wir uns die Wunde an Eurem Bein ansehen können. Es tut mir leid, Euch verletzt zu haben. Ich werde Euch verbinden. Und mein Diener wird Eure Rüstung reparieren und säubern. Es ist wahrscheinlich klüger, wenn wir über Nacht hierbleiben. Wir beide sollten bei Kräften sein, wenn wir uns dem Streiter der Morrigan stellen.«
»Ich fühle mich nicht schwach!« brauste der Kaledonier auf. »Das ist nur ein Kratzer, und ich werde mir von Euch nicht vorschreiben lassen, was ich zu tun habe!«
»Und wenn ich Euch bitte?« Was für ein gräßliches Temperament! Wahrscheinlich floß Barbarenblut in den Adern des Kaledoniers, und sein Großvater hatte noch zu jenen halbnackten piktischen Räubern gehört, die sich bunt anmalten, wenn sie in den Krieg zogen. »Ich würde Euch gerne einladen, das Abendmahl mit mir zu teilen. Es wird meinem Diener ein Vergnügen sein, für uns beide ein Essen zu bereiten. Der Kerl zieht zwar meist ein griesgrämiges Gesicht, und er hält ein Schwert wie eine Pfanne, doch für Küchenarbeit ist er wirklich zu gebrauchen.«
Gwalchmai zögerte eine Weile. Schließlich nickte er. »Es wäre wohl unhöflich, diese Einladung auszuschlagen, und den Kämpen der Morrigan können wir auch morgen noch zur Hölle fahren lassen.«
6. KAPITEL
Jetzt hatte er also zwei Herren, dachte Golo verdrießlich und musterte die beiden Krieger, die hintereinander den schmalen Hohlweg in den Wald hineinritten. Volker ließ keine Gelegenheit aus, diesem Kaledonier mit dem unaussprechlichen Namen seine Dienste anzubieten. Gestern abend mußte er sogar das Pferd dieses Kerls striegeln. Ganz wie sein Herr war der graue Hengst ein unberechenbares Monstrum. Zweimal hatte er versucht, Golo zu beißen.