»Und dann? Habt Ihr etwa den Ritter im Zweikampf besiegt? Wie geht die Geschichte weiter?«
Der Knecht maß den Wirt mit einem abfälligen Blick. »Sehe ich vielleicht aus, als sei ich verrückt? Ich bin doch kein Krieger! Ich habe die Zeit, die mir noch blieb, genutzt, meine Sachen gepackt und bin auf und davon. Wißt Ihr, ich habe mich erkundigt, wer dieser Ritter war. Volker von Alzey heißt er, und man sagte mir, er sei der beste Schwertkämpfer im Burgundenreich. Selbst den mächtigen Hagen könne er besiegen. Was soll ich mich mit so jemandem schlagen? Der schlitzt mir den Bauch auf, noch bevor ich blank gezogen habe. Nein, nein! Ich bin zwar nur ein einfacher Mann, aber dumm bin ich nicht!«
Golo rülpste und blickte nachdenklich auf den kleinen Zinnbecher, den er während des Mahls geleert hatte. Der Wirt füllte ihm nach.
»Nun, ich war noch keine drei Tage unterwegs, als ein Händler, den ich des Weges traf, mich warnte. Er war am Vorabend einem furchterregenden Ritter mit langem, blondem Haar begegnet, der nach mir suchte. Dieser verfluchte Herr von Alzey hatte sich auf meine Spur gesetzt. Erst vorgestern habe ich wieder Reisende getroffen, die ihn gesehen haben. Er muß wie von Sinnen sein. Sie berichteten mir, daß er bei Martinopolis eine Bande von fünf Räubern erschlagen hat, die sie bedrohte. Er soll wie ein Wilder und ohne Gnade gefochten haben. Deshalb, Freunde, bin ich in großer Sorge. Was mag diesen Mann nur dazu treiben, mich wegen des Tüchleins einer Dame so unbarmherzig zu verfolgen? Einmal soll er sogar ein Haus angezündet haben, in dem ich nächtigte. Sagt selbst, Herr Wirt, muß man da nicht verrückt sein?«
»Nun ja, wer versteht sie schon, die adligen Herren und...« Draußen auf dem Marktplatz ertönte lautes Geschrei.
»Golo von Worms! Wo steckst du Bastard! Ich werde dir das Herz herausreißen!«
Der Knecht zuckte zusammen und griff nach seinem Schwert. Jetzt kam es darauf an, den Schlußakt überzeugend zu spielen. »Bitte, Herr Wirt, versteckt mich! Dieser Wahnsinnige wird mich ermorden!«
Die Bauern waren aufgestanden und spähten durch die Tür, die sie einen Spaltbreit geöffnet hatten. »Ich...« Der Wirt erhob abwehrend die Hände. »Ich habe kein Kloster. Sucht woanders Unterschlupf. Ich will nicht, daß er auch mir den roten Hahn aufs Dach setzt. Mach, daß du hier wegkommst, Kerl.«
»Nun, Ihr habt also meinen Tod beschlossen. So sei es! Meine Flucht wird heute ein Ende haben!« Golo stand auf und trat zur Tür. Die Bauern wichen zur Seite. Der Knecht konnte seinen Herren jetzt sehen. Volkers Auftritt war eindrucksvoll wie immer. Auf seinem weißen Hengst mit dem weiten scharlachroten Umhang und dem weißen Waffenrock sah er aus wie ein Recke aus den Liedern der Spielleute. Das blanke Schwert in der Hand, ließ er sein Pferd steigen und trieb es dann in Richtung der Schenke. Überall vor den armseligen Häusern des Dorfes hatten sich Schaulustige versammelt.
Golo stieß die Tür des Wirtshauses auf. »Wohlan denn, Herr von Alzey. Laßt uns unseren Zwist zu Ende bringen!« Wenigstens hatte es inzwischen aufgehört zu regnen.
»Endlich ist die Stunde der Rache gekommen, du Wicht! Fünfhundert Meilen bin ich dir gefolgt!« Der Spielmann schwang sich aus dem Sattel und trat mit gesenktem Schwert auf ihn zu. »Nimm das!« Mit kraftvollem Stoß versuchte er, dem Knecht die Waffe in den Leib zu rammen. Wohl hundertmal hatten sie dieses Spiel auf ihrer Reise geprobt, doch Golo hatte stets Angst davor. Er machte einen Schritt zur Seite und ließ die Klinge des Ritters an seiner Waffe abgleiten. Volker setzte nach und stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen. Wie üblich war der Treffer auch diesmal heftiger als vereinbart, und Golo ging stöhnend in die Knie.
»Komm hoch, du elender Wurm, und wehr dich.«
Der Knappe blieb in der Tür am Boden hocken und rieb sich über die Rippen. Er haßte diese Auftritte!
»Es ist eine Schande, wenn ich meine Klinge mit deinem Blut besudle, Bastard. Du führst dein Schwert wie einen Besenstiel.«
Golo konnte aus den Augenwinkeln sehen, wie einige der Bauern grinsten. Für sie war das Schauspiel eine unterhaltsame Abwechslung im täglichen Einerlei.
»Du weißt, daß man mich den besten Schwertkämpfer von Burgund nennt, obwohl meine Bescheidenheit es mir verbietet, diesen Titel anzuerkennen. Wenn ich also unter diesen Umständen gegen dich kämpfen würde, so könnte man mich zu Recht einen Mörder nennen. Damit auch dir die Hoffnung bleibt zu obsiegen, werde ich nun meine Augen verbinden und blind gegen dich weiterkämpfen. Das Duell endet, wenn einer von uns beiden in seinem Blute am Boden liegt.«
Golo kämpfte sich mit einem Seufzer auf die Beine. »Ihr seid von Sinnen, Herr. Wer vermag es schon, sich mit verbundenen Augen zu wehren.« Der Knecht konnte hören, wie die Bauern hinter ihm wetteten, wer den Zweikampf gewinnen würde. Ärgerlicherweise setzte kaum jemand auf ihn.
»Schweig, du Rattengesicht!« tönte Volker, dem seine Rolle stets großes Vergnügen bereitete. »Was weißt du schon von Ritterlichkeit und Schwertkunst? Glaube nicht, daß dein Sieg schon gewiß ist.«
»Wohlan, bringen wir unseren Streit zu Ende! Möge der Herr Eurer Seele gnädig sein.«
»Du!« Der Spielmann zeigte auf das hübscheste unter den jungen Bauernmädchen, die dem Spektakel zusahen. »Komm zu mir und verbinde mir mit dem Tuch, das du um den Hals trägst, die Augen. Und schenk mir ein Gebet, auf daß du nicht zur Nacht mein Blut aus dem Stoff waschen mußt.« Es wurde schlagartig still auf dem Platz. Unruhig blickte sich Golo um. Für gewöhnlich konnte man an dieser Stelle den einen oder anderen der Zuschauer hämisch grinsen sehen. Das Mädchen mit dem Tuch war leichenblaß geworden. Sie schlug ein Kreuz und bewegte die Lippen, als spreche sie tatsächlich ein leises Gebet.
»Deine Sorge um mich ehrt dich, Kleine. Doch sei gewiß, daß mir kein Unglück widerfahren wird. Ich habe noch niemals ein Duell verloren. Herr Golo, macht Euren Frieden mit Gott.«
Volker kniete nieder, damit das Mädchen ihm die Augen verbinden konnte. Natürlich dachte er nicht daran, seinen Waffenrock zur Seite zu schlagen oder einfach nur sein Haupt zu beugen. Er mußte den Dreck ja nicht auswaschen! Mindestens hundertmal hatte Golo schon versucht, ihm auszureden, während der Reise das weiße Gewand zu tragen. Jeden Schlammspritzer sah man darauf! Der Knecht packte sein Schwert fester und ging auf den Dorfplatz hinaus.
Das Mädchen hatte dem Spielmann inzwischen die Augen verbunden. Die Klinge leicht angehoben, wartete er auf Golo. »Gut, Herr, Ihr habt es so gewollt!« Golo berührte mit seiner Waffe die Spitze von Volkers Schwert. »Bringen wir es hinter uns!« Mit drei schnellen Schlägen eröffnete der Knecht das Gefecht. Volker parierte die Angriffe mühelos.
Golo machte einen Satz zurück und rutschte dabei fast im Schlamm aus. Torkelnd gewann er sein Gleichgewicht. Irgendwo hinter ihm lachte jemand. Wütend biß der Knecht die Zähne zusammen. Er war bei diesem Schauspiel stets der Dumme.
»Nun, versuchst du etwa, mir davonzulaufen?« Das war das Stichwort für den nächsten Angriff. Golo wußte, daß der Spielmann jetzt stumm bis sechs zählen würde, um dann herumzuschnellen. Mit ein paar schnellen Schritten umrundete er den blinden Ritter und gelangte so in dessen Rücken. Auch er zählte leise mit. Bei sechs sprang er vor und holte zu einem mörderischen Schlag aus, der auf den Kopf des Spielmanns zielte.
»Hinter Euch, Herr Ritter«, schrie das Mädchen, das Volker sein Tuch gegeben hatte. Der Spielmann fuhr herum und riß sein Schwert hoch. Mit lautem Klirren schlugen die beiden Klingen aufeinander. Nun ging der Ritter zum Angriff über. Mit ein paar wütenden Schlägen trieb er Golo zurück und prellte dem Knecht zum Schluß mit einer gewandten Drehung die Waffe aus der Hand. Dann zielte er mit der Schwertspitze auf die Brust des Dieners und löste mit der Linken die Augenbinde.