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»Siehst du den Rauch dort vorne?« Volker hatte sein Pferd gezügelt und wies nach Westen. »Das ist doch die Richtung, in der das Gut des Barons liegt!«

»Das mag wohl sein«, brummte Golo einsilbig.

»Ich reite voraus. Vielleicht braucht man unsere Hilfe. Komm mit dem Packpferd so schnell wie möglich nach.« Volker gab seinem Hengst die Sporen und galoppierte davon.

Der Knecht blickte zu der Rauchsäule. Es mußte sich um ein großes Feuer handeln! Als er noch ein Kind war, hatte er einmal von weitem eine brennende Scheune gesehen. Damals war es ihm so vorgekommen, als wollten die Flammen bis in den Himmel schlagen, doch dieses Feuer schien noch größer zu sein. Es war windstill, und die Rauchwolke erhob sich wie ein riesiger, grauschwarzer Turm über die Sumpflandschaft. Daß es ausgerechnet an dem Tag ihrer Ankunft in der Nähe des Rittergutes brannte, würde man sicher als ein böses Omen betrachten. Und dort mußten sie den Sommer verbringen...

Schon von weitem konnte Volker erkennen, daß das große Rittergut nicht mehr zu retten war. Die Gebäude standen in lichten Flammen, und noch bevor er den Landsitz erreichte, brach der hohe Bergfried mit Getöse in sich zusammen. In weitem Abstand um die brennenden Gebäude standen Bauern und Knechte. Keiner von ihnen unternahm etwas, um die Flammen zu bekämpfen. Volker fluchte. Wie konnten diese Trottel nur tatenlos zusehen, wie die kleine Burg abbrannte? Er gab dem Hengst die Sporen und jagte in halsbrecherischem Galopp den schmalen Knüppeldamm entlang, der durch den Sumpf führte.

Der Herrensitz lag auf einem kleinen Hügel, der sich aus der Sumpflandschaft erhob. Bis dicht unter die Mauern der Burg reichten Felder, und die Gegend rings um den Hügel war mit zahlreichen Entwässerungsgräben durchzogen. Die Grenze zum Sumpf markierte ein Dickicht aus mächtigen, alten Weiden, deren dürre Äste bis ins faulige Wasser hinabhingen.

Am Fuß des Hügels zügelte Volker den Hengst, sprang aus dem Sattel und lief auf die Bauern zu. »Was im Namen des Herren ist hier geschehen? Warum steht ihr tatenlos herum, statt das Feuer zu löschen?«

»Das Feuer ist zu groß«, erklärte ein kleiner, untersetzter Mann. »Außerdem wollen wir nicht so enden wie der Baron. Wir wissen, daß man das Nachtvolk nicht reizen darf. Der Normanne hat durch seine Taten Macha herbeigerufen. Siehst du die Pfähle dort hinten bei den Weiden? Das geschieht allen, die die Königin im Federkleid beleidigen.« Der Mann wies auf einen Kreis aus Pfählen im Schatten einiger mächtiger Weiden. Dort waren die Köpfe von Erschlagenen aufgespießt worden.

»Willst du sagen, daß keiner von euch geholfen hat, den Baron zu verteidigen?«

Der kleine Mann lachte. »Du bist hier genauso fremd wie der Baron. Jeder, der bei den Sümpfen wohnt, weiß, daß es sinnlos ist, gegen das Nachtvolk zu kämpfen. Genausogut könntest du versuchen, in der Dämmerung mit dem Schwert in der Hand den Nebel in die Sümpfe zurückzutreiben. Man kann sie nicht mit Waffen besiegen. Sieh dich um! Rollos normannische Waffenknechte haben gekämpft letzte Nacht. Siehst du auch nur einen toten Feenritter? Wir sind in unseren Hütten geblieben und haben Türen und Fenster verriegelt. Letzte Nacht, kurz nach der Dämmerung, hat es angefangen. Im Nebel erklang der Lärm ihrer Hörner. Es war ein Getöse, als wolle ein Schwarm wütender Drachen über uns herfallen. Dann kam das Feenvolk aus dem Sumpf. Erst waren Schreie und Waffenlärm zu hören, doch bald schon erklangen nur noch Schreie.«

»Wer von euch ist hier der Anführer?«

Der Mann fuhr sich über sein stoppeliges Kinn. »Es gibt jetzt keinen Baron und keinen Vogt mehr. Wenn wir Rat suchen, fragen wir den alten Jean. Er steht dort drüben, bei den Pfählen. Der Mann mit dem kurzgeschorenen weißen Haar.«

Volker stieg den flachen Hügel hinab. Die Bauern senkten den Blick, als er an ihnen vorüberging. Er konnte nicht begreifen, was sie so sehr in Schrecken versetzte. Feenritter, so ein Unsinn!

Der Alte kniete neben den Pfählen, und es schien, als bete er. Erst als er bis auf zwei Schritt an den Bauern heran war, konnte Volker die Worte des Bauern verstehen. »... Herrin auf den schwarzen Schwingen. Vergib uns unsere Schuld und sei gnädig zu denen, die deine Kinder mit sich genommen haben. Es war nicht unsere Schuld. Der Baron war ein Fremder, der taub war für die Gesetze unseres Landes... Wir hatten ihn gewarnt, nachtschwarze Herrin des Todes.«

Volker betrachtete die Köpfe der Toten auf den blutverkrusteten Pfählen. Es waren nur Männer. Manche der Gesichter waren zu gräßlichen Grimassen verzogen, so als hätten sie tatsächlich im Augenblick ihres Todes etwas gesehen, das ihre Herzen zu Eis erstarren ließ.

Der Alte hatte inzwischen sein Gebet beendet. Auf seinen krummen Stab gestützt richtete er sich auf und blickte Volker mit trüben grauen Augen an. Er reichte dem Spielmann nur bis zur Brust. Der Bauer trug einen einfachen Kittel aus grobem, hellbraunen Stoff. Sein Gesicht war verwittert wie ein alter Fels, und die Jahre hatten tiefe Furchen in sein Antlitz geschnitten. »Hat König Eurich Euch geschickt, Herr? Ist die Kunde von der letzten Nacht schon bis zu ihm gedrungen?«

»Ich kam, um Gunbrid, der Nichte des Burgundenkönigs, meine Aufwartung zu machen. Was ist hier geschehen, Jean? Warum mußte Rollo sterben?«

Der Greis schüttelte den Kopf. »Der junge Herr wollte nicht auf mich hören. Ich hatte ihn gewarnt. Er hat uns gezwungen, Dämme zu bauen und Kanäle auszuheben. Er wollte sein Land vergrößern und hat dabei an den Besitz der Feenkönigin gerührt. Der Sumpf ist ihr Land. Und vor drei Tagen dann ist er zum heiligen Hain geritten. Das ist ein kleiner Wald, in dem die Menschen, die am Rande des Sumpfes leben, schon seit uralten Zeiten den älteren Göttern opfern. Wir tun dies, um Frieden mit den Feen zu wahren. Rollo hat es uns verboten, und um sein Verbot noch zu unterstreichen, hat er eine der Eichen im Hain gefällt. Ich selbst habe neben ihm gestanden und ihn angefleht, den Baum zu schonen, doch er war wie von Sinnen. Er hatte eine Reise nach Martinopolis gemacht. Dort haben ihm die Mönche viele Geschichten über ihre Heiligen und deren Wunder erzählt. Seitdem war der junge Herr besessen von der Idee, den alten Glauben auszurotten. Ihr müßt nicht glauben, daß wir hier keine guten Christenmenschen wären, Fremder, doch wir wissen auch, daß uns die Feen und die alten Götter hier am Rand der Sümpfe näher sind als der Gottessohn, der im fernen Jerusalem gestorben ist.«

»Und was ist mit dem Gesinde und den Dienern aus der Burg geschehen?«

Der Alte schluckte. »Sie haben sie mit sich in die Sümpfe genommen... Macha hat nur die Normannen töten lassen. Seht Euch die Köpfe an, Herr. Es ist keiner der Einheimischen dabei. Nur die Fremden. Unsere Leute haben sie als Sklaven genommen. Sie werden am Hof der Feenkönigin dienen.« Er wischte sich mit dem Ärmel seines Kittels die Nase. »Meine Enkeltochter gehört auch zu den Gefangenen. Aber sicher wird es ihr dort drüben in der anderen Welt gut ergehen. Die Feen haben sie gemocht. Wißt Ihr, Herr, sie wurde mit einer Glückshaut auf dem Kopf geboren. Das geschieht nur sehr selten. Solche Kinder werden oft von den Feen geholt. Aber es geht ihnen gut...« Jean blickte auf den Sumpf hinaus.

»Und ihr tut nichts? Was hindert dich daran, in den Sumpf zu gehen und sie zurückzuholen?«

»Der Sumpf gibt nichts mehr zurück, was er sich einmal genommen hat«, entgegnete der Alte. Seine Stimme klang hohl und tonlos. »Ihr seid nicht von hier, Herr. Ihr könnt das nicht verstehen. Wie ist Euer Name?«

»Man nennt mich Volker von Alzey. Ich gehöre zu den Edlen des Hofes von Burgund, und ich bin gekommen, um die Nichte meines Königs zu sehen. Nichts wird mich davon abhalten! Morgen gehe ich in die Sümpfe und hole sie zurück. So wie es scheint, gehört sie ja nicht zu den Toten, obwohl sie nicht hier geboren wurde.«

Jean nickte. »Die junge Herrin war eine gute Frau. Nicht so ungestüm wie Rollo. Sie wollte ihn davon abhalten, den Hain zu schänden. Die Baronin hatte begriffen, was es hieß, die Feen zu reizen. Sie war auch gut zu den Bauern und Fischern. Ihr werdet hier keinen finden, der schlecht von ihr spricht. Meine Enkeltochter hatte die Ehre, ihr als Kammerfrau zu dienen. Doch ich sage Euch, Herr Volker, wenn Ihr in die Sümpfe geht, dann seid Ihr des Todes.«