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Volker hob den Arm und gab Golo ein Zeichen anzuhalten, dann sprang er vom Pferd und spähte über das dunkle Wasser. Kurz vor ihnen senkte sich der Damm ein wenig und verschwand dann in den dunklen Fluten. Hier weiterzureiten wäre Selbstmord. Volker ballte wütend die Fäuste. Er war sich immer sicher gewesen, in einer Schlacht sein Ende zu finden... Einen Heldentod an der Seite seines Königs oder wenigstens umgeben von treuen Waffenbrüdern. Aber von einem Sumpfloch verschluckt zu werden... Nein, das konnte nicht das Ende sein! »Wir müssen zurück. Der Weg ist hier überflutet. Es geht nicht weiter.«

»Hinter uns ist es auch nicht besser. Wir sitzen hier fest. Am besten ist wahrscheinlich, wenn wir uns nicht von der Stelle bewegen.«

»Du meinst, wir sollen hier im Regen stehen und zusehen, wie das Wasser langsam steigt?«

»Habt Ihr einen besseren Vorschlag, Herr? Ich fürchte, das wird nur eine kurze Suche.« Golos Wallach schnaubte unruhig. »Hat Euch dieser Bauer nicht eine Flasche Branntwein mitgegeben? Vielleicht sollten wir das gute Tröpfchen vernichten. Ich meine, es macht doch keinen Sinn, wenn wir mit einer Feldflasche voller Schnaps versinken...«

»Wenn dir das Sterben betrunken leichter fällt...« Volker löste die strohumwickelte Tonflasche von seinem Sattelgurt und warf sie dem Knecht zu. Er konnte nicht begreifen, wie man in dieser Lage daran denken konnte, sich zu betrinken. Es mußte einen Ausweg geben! Der Spielmann schirmte die Augen mit der Hand gegen den Regen ab und spähte über die grauschwarze Wasserfläche. Doch es gab nichts außer ein paar Schilfinseln und einigen flachen Erhebungen, auf denen Weiden und niedrige Büsche wuchsen.

Das Wasser reichte ihm jetzt halb zur Wade hinauf. Seine Füße fühlten sich an wie zwei Eisklumpen. Vielleicht sollte er das nächste Mal auf Golo hören... Der Knecht lehnte an seinem Pferd und trank mit gierigen Schlucken aus der Flasche. Als er bemerkte, daß Volker ihn anstarrte, setzte er die Flasche ab. »Auch ‘nen Schluck? Schmeckt teuflisch gut, Herr. Bei allem, was recht ist, Schnaps brennen können die Fischköpfe aus dem Dorf.«

Der Spielmann nickte und nahm dankbar die Flasche in Empfang. Wie flüssiges Feuer rann der klare Branntwein die Kehle hinab, und eine wohlige Wärme begann sich in seinem Bauch auszubreiten. Er nahm noch einen zweiten Schluck, verschloß die Flasche und hängte sie wieder an seinen Sattel.

»Ich könnte noch was vertragen«, maulte Golo.

»Wir werden jetzt weitergehen. Schnall meine Lanze von dem Packpferd. Ich werde sie nutzen, um nach festem Grund zu tasten. Halt dich ein paar Schritt hinter mir. Falls mir was passieren sollte, bleibst du am besten einfach stehen und betest, daß der Regen aufhört.«

»Worauf Ihr Euch verlassen könnt, Herr. Aber sagt, warum bleiben wir nicht gleich hier stehen?«

»Wie fühlen sich deine Füße an?«

»Eiskalt und naß. Warum fragt Ihr?«

Volker lächelte freudlos. »Wir werden hier nicht ertrinken, so hoch wird das Wasser nicht steigen, doch wenn wir still stehen bleiben, wird uns die Kälte umbringen. Verstehst du... Wir werden nicht erfrieren, doch unsere Kräfte zehren mehr und mehr aus. Wir werden Krämpfe in den Beinen bekommen. Der Kampf kann sich über ein bis zwei Tage hinziehen. Irgendwann brichst du erschöpft zusammen. Dann erst wirst du ertrinken. Noch habe ich die Freiheit, mein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Ich werde mich mit Hilfe der Lanze vorwärtstasten. Vielleicht haben wir Glück und schaffen es bis zu einer der flachen Inseln. Wenn wir dort ein Feuer entfachen können, sind wir gerettet. Gib mir jetzt die Lanze!«

Golo konnte sich nicht erinnern, daß ihm jemals zuvor in seinem Leben so kalt gewesen war. Seine Hände waren ganz steif, und klappernd schlugen seine Zähne aufeinander. Noch immer tastete Volker sich mit der Lanze vorwärts. Bislang war es ihnen ganz gut geglückt, auf dem Weg zu bleiben. Ein bißchen bewunderte Golo sogar den Mut und die Ausdauer des Spielmanns. Nicht einmal hatte er über die Kälte geklagt!

Aber jetzt wurde es dunkel, und ein eisiger Wind wehte von Westen her über die Sumpflandschaft. Mit jedem Herzschlag schien es kälter zu werden. Es war sinnlos, sich noch etwas vorzumachen. Es gab keinen Ausweg. Sie würden den Sonnenaufgang nicht mehr erleben!

»He, bleib nicht zurück!« Volker hatte sich umgedreht und winkte ihm, mit den Pferden zu folgen. »Du darfst nicht lange an einer Stelle stehenbleiben und dich deinen Gedanken hingeben. Das ist nicht gut! Die Kälte wird dich dann schneller besiegen.«

»Ist es nicht egal, ob ich jetzt oder in ein paar Stunden sterbe?«

»Sag so etwas nicht. Dort hinten habe ich eine Insel gesehen, die etwas größer ist. Dort ist ein Licht. Wenn wir es bis dahin schaffen, sind wir gerettet. Dort muß ein Feuer sein!«

Golo kniff die Augen zusammen und spähte in die Finsternis. »Ich kann nichts sehen! Ihr macht mir etwas vor!«

»Bei meiner Ehre als Ritter, ich lüge nicht! Es war eine Tür, die für einen Moment lang geöffnet wurde. Deshalb sehen wir es jetzt nicht mehr.«

Der Knecht dachte an die Geschichten, die er über die Feen gehört hatte. Angeblich lebten sie nicht in dieser Welt. Man mußte geheimnisvolle Pforten passieren, um in ihre Königreiche zu gelangen. Ob es eines dieser Tore war, das Volker gesehen hatte? Golo rieb sich die Arme. Gleichgültig, wohin dieses Tor auch führen mochte. Es war dort sicher angenehmer als hier draußen im Schlamm. Angeblich feierten die Feen jede Nacht Feste, und ihre Tafeln bogen sich unter der Fülle erlesenster Speisen. Bestimmt führte die Pforte sie in einen Feenpalast! Welcher Mensch wäre schon so verrückt, hier mitten im Sumpf zu leben?

Volker blieb plötzlich stehen. Er stocherte mit der Lanze im Wasser herum und schüttelte schließlich den Kopf. »Wenn wir weiter dem Knüppeldamm folgen, entfernen wir uns von der Stelle, an der ich das Licht gesehen habe. Abseits des Dammes werden wir aber keinen festen Boden mehr unter den Füßen haben. Was sollen wir tun?«

Golo fuhr sich über sein stoppeliges Kinn. »Wenn wir auf die Insel zugehen, haben wir wenigstens ein Ziel. Dieser Damm scheint mir ins Nichts zu führen. Versuchen wir das Stück durch den Sumpf zu kommen!«

»Und was ist, wenn wir in der Finsternis die Richtung verlieren?«

»Ihr denkt zuviel, Herr. So viele Möglichkeiten haben wir letzten Endes nicht. Entweder bleiben wir auf dem Damm und frieren uns die Seele aus dem Leib, oder wir wagen uns über das unsichere Wegstück. Wir werden entweder versinken oder aber in einer Stunde vor einem warmen Feuer sitzen. Vielleicht solltet Ihr ein Signal mit Eurem Horn geben. Egal, wer dort hinten auch haust, wenn er ein Herz im Leib hat, wird er uns ein Zeichen geben, damit wir die Richtung halten können.«

»Wie du meinst!« Der Spielmann schnallte das Horn von seinem Sattel und setzte es an die Lippen. Dreimal stieß er hinein, dann machte er eine kurze Pause und wiederholte das Signal. Hinter ihnen platschte etwas ins Wasser und entfernte sich rasch. Golo schluckte.

»Sicher nur eine Ratte oder ein Biber.«

Der Knecht nickte. »Bestimmt habt Ihr recht, Herr.« Vielleicht war es doch nicht so klug gewesen, solchen Lärm zu machen. Golo dachte an die Worte des alten Bauern. Indem sie die Köpfe der Normannen bestatteten, hatten sie angeblich den Zorn der Feenkönigin erweckt. Vielleicht streiften ihre Ritter oder irgendwelche unheimlichen Geschöpfe, die in ihren Diensten standen, durch den Sumpf und waren jetzt auf sie aufmerksam geworden. Wären sie nur niemals in dieses verfluchte Land gekommen! Im Geiste malte sich Golo schon aus, wie auch sein Kopf auf einem Pfahl steckte. Ihn würde bestimmt niemand erretten. Die Raben würden kommen und ihm das Fleisch vom Schädel picken.