Vor zwei Jahren ging ein solcher Test negativ aus.
Ein kleiner Kratzer führte zu einer schweren Infe ktion, und der Jäger stellte fest, daß meine Immunitäts-Chemie überhaupt nicht mehr funktionierte. Er bereinigte den Infekt natürlich; solange er in mir ist, besteht keinerlei Gefahr. Wenn jedoch ihm etwas passieren sollte…“ Bob sprach den Satz nicht zu Ende, doch seine Eltern nickten.
Sie erinnerten sich an die Umstände, unter denen sie von der Existenz des Jägers erfahren hatten: Seever, der Arzt der Insel, war der einzige, den Bob ins Vertrauen gezogen hatte, bevor die Polizeiaktion des Jägers beendet worden war. Bob hatte den kriminellen Alien durch einen Bluff dazu veranlaßt, den Körper seines Vaters zu verlassen und ihn dann durch Feuer vernichtet. Doch die Austreibung war zu rasch erfolgt. Kurz darauf war Arthur Kinnaird schwer erkrankt. Die Symptome waren eine Mischung von Lungenentzündung und Menengitis, und Dr. Seever hatte vor einem Rätsel gestanden.
Schließlich ha tten er und Bob den widerstrebenden Jäger dazu überredet, sich in Arthur Kinnairds Körper zu begeben und dort Umschau zu halten.
Das Problem erwies sich als recht einfach: virusartige Zellen, die von dem Alien bei seinem hastigen Auszug zurückgelassen worden waren, wurden nicht mehr von dessen Intellekt beherrscht und koordiniert und lebten nun ohne Rücksicht auf das Wohlergehen ihres Gastgebers; das gleiche, doch auf einem erheblich niederen Niveau, hatte der Organismus, von dem sie stammten, auch getan und war dadurch nach den Gesetzen seiner Spezies zum Verbrecher geworden.
Der Jäger konnte die Partikel ohne jede Schwierigkeit seiner eigenen Substanz hinzufügen. Seever hatte es für notwendig erachtet, Bobs Mutter die ganze Geschichte zu erzählen, da sie zu intelligent war, um sich mit Halbwahrheiten zufriedenzugeben; und später, als ihr Mann wieder bei Bewußtsein war, wurde auch er über alles unterrichtet.
Unter diesen Umständen blieb ihnen keine andere Wahl, als Seevers Darstellungen zu glauben, und sie hatten sich schließlich an das Vorhandensein des Jägers gewöhnt; sie unterhielten sich sogar gelegentlich mit ihm, obwohl ihr Sohn natürlich seine Antworten übermitteln mußte.
„In gewisser Weise“, fuhr Bob fort, „stehe ich jetzt in völliger Abhängigkeit von meinem Symbionten. Und inzwischen ist es nicht nur diese Immunitäts-Sache, sondern auch andere Teile meiner Biochemie spielen verrückt. In einigen Fällen kann der Jäger die Ursachen dafür finden und etwas unternehmen, manchmal muß er seine eigenen Methoden in einer Weise anwenden, die nichts mit denen zu tun haben, die mein Organismus selbst in der gleichen Situation gebrauchen würde; zum Beispiel bekämpft er Infektionen, indem er die Erreger in sich aufnimmt, anstatt sie auf chemischem Weg zu neutralisieren.
Er hat seine Rolle als einen Jongleur-Akt beschrieben. Je weiter die Zeit fortschreitet, desto mehr Mühe kostet es ihn, meine Maschinerie in Funktion zu halten. Recht häufig beeinträchtigt eine Maßnahme, die er trifft, eine oder me hrere andere, die er bereits eingeleitet hat, oder etwas, was meine Biochemie normalerweise tut. Wenn es uns nicht gelingen sollte, die Ursache für das alles zu entdecken, und sie so simpel ist, daß man sie beseitigen kann… nun ja, er gibt zu, daß der Jongleur früher oder später einen der Teller fallen lassen wird.“
„Ich nehme an, er kann sich nicht einfach zurückziehen und deine Heilung der Natur überlassen“, sagte Mrs. Kinnaird.
„Die Natur ist nicht so stark an mir interessiert“, antwortete ihr Sohn. „Der Jongleur-Akt ist nicht mehr als das, was jeder Mensch durchmacht, und bei jedem fällt irgendwann ein Teller zu Boden — früher oder später. Wenn man den Dingen ihren Lauf läßt und Augen und Ohren verschließt, mag das „natürliche“ Resultate bringen, doch es ist alles andere als sicher, daß das eigene Überleben unter die Rubrik ›natürlich‹ fällt. Man braucht Wissen, wenn man erreichen will, daß sich die Dinge nach seinen Wünschen entwickeln.“
„Aber der Jäger verfugt doch über Wissen! Du hast uns selbst gesagt, daß er in der Lage ist, Tausende, vielleicht Millionen von Chemikalien zu identifizieren — selbst so unglaublich komplexe Moleküle wie Protein — und sie sogar produzieren kann. Du hast gesagt, falls du jemals Diabetes bekommen solltest, würde er das deinem Körper fehlende Insulin selbst herstellen.“
„Das habe ich gesagt, das sage ich auch noch heute, und er tut es. Er kann eine Menge tun. Er tut eine Menge. Aber auch ihm sind Grenzen gesetzt, und diese Grenzen liegen leider ein ganzes Stück vor der Möglichkeit, sämtliche chemische Funktionen eines menschlichen Körpers zu übernehmen.
Was du anscheinend nicht verstehst, ist die Tatsache, daß seine Fähigkeiten, so unglaublich sie sind, von der noch unglaublicheren Komplexität dieses Problems übertroffen werden. Du bist bestimmt realistischer als diese Spinner, die glauben, man könnte eine Brandwunde heilen, indem man Licht von einer bestimmten Färbung darauf fallen läßt, aber du verstehst trotzdem das Problem nicht.“
„Dann ist deine körperliche Schwäche also eine chronische Angelegenheit?“ fragte Bobs Vater.
„Eigentlich nicht — ich will damit sagen, daß ich nicht ständig abgeschlagen und müde bin. Einer der Teller, den er nicht richtig in der Balance halten kann, hat irgend etwas mit meinen Muskeln zu tun.
Der Jäger kann nichts Spezielles an ihnen feststellen, auch nicht an ihren einzelnen Zellen oder in der Interaktion dieser Zellen oder an den Nerven, durch die sie miteinander verbunden sind; doch nachdem ich diese Erschöpfungszustände bekam — nach Tätigkeiten, die mich höchstens ein wenig ermüden sollten — verlieren sie einfach jede Kraft.
Der Jäger kann nicht nur keine Ursache dafür finden, er kann nicht einmal kurzfristig etwas dagegen tun, indem er etwas Zucker oder andere notwendige Substanzen direkt in die Zellen bringt. Es geht nicht darum, die Zellen besser mit Brennstoff zu versorgen oder stärkere Impulse durch die Nervenbahnen zu schicken oder um andere Dinge — er könnte uns Tausende davon nennen, an denen es nicht liegt.“
Ein paar Minuten lang herrschte Stille.
Bobs Eltern konnten einfach nicht glauben, daß es für das Problem keine Lösung geben sollte. Es ging um ihr Kind. Eigentlich kein Kind mehr, und auch nicht ihr einziges, doch immerhin das ihre. Sie hatten es immer als selbstverständlich angenommen, daß Bob noch leben würde, wenn ihre Jongleure den letzten Teller fallen ließen. Sie wagten nicht, laut zu sagen, daß es eine Lösung geben müsse, doch keiner von ihnen konnte an etwas anderes denken.
Keiner der beiden dachte bewußt daran, dem Jäger irgendwelche Vorwürfe zu machen, doch die Frau überlegte sekundenlang, wie viel besser es gewesen wäre, wenn der Jäger sich in dem Arzt niedergelassen hätte, als seine Polizeiaktion abgeschlossen war — Seever wäre vielleicht in der Lage gewesen, wirksame Gegenmaßnahmen zu treffen, als das Problem noch in den Anfängen steckte.
Doch sie ließ diesen Gedanken nicht laut werden.
„Was hast du — und der Jäger — jetzt vor?“ fragte sie statt dessen. „Ihr müßt doch einen Plan haben.
Wenn nicht, würdest du noch schlechter aussehen.“
„Glaubst du, daß Ben Seever etwas tun kann?“
fragte Arthur Kinnaird. „Er kann auf keinen Fall soviel wissen wie der Jäger, auch wenn er Arzt ist, und nicht Detektiv.“