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Er schloß die Tür zum Klimaraum, rannte die Kellertreppe hinunter und begann zu suchen. Mit jeder Minute, die verging, wurde er nervöser. Ihm lief die Zeit davon. Warum hatte er nur so lange untätig in der Küche herumgesessen. Als ob er nichts Besseres zu tun gehabt hätte, gerade heute. Der Brief war wirklich zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt gekommen. Endlich entdeckte er einen der beiden Heizkörper hinter ein paar losen Brettern unter der Treppe. Den zweiten suchte er vergeblich.

Würde das reichen? Er plazierte den Radiator direkt neben den Rolltisch mit dem Schieferblock und stellte ihn auf maximale Leistung. Das Deckenlicht schwankte kurz. Das fehlte noch, daß jetzt der Strom ausfiel. Er hatte keine Ahnung, wo sich der Sicherungskasten und die Ersatzsicherungen befanden. Zum Teufel, er hatte noch nicht einmal eine Taschenlampe, müßte alles im Dunkeln wieder herrichten, eine absolute Katastrophe.

Er schwitzte und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Wurde es schon wärmer? Die schwarze Oberfläche des Ölschieferquaders fühlte sich noch immer feucht und kalt an. Nein, so schnell ging das nicht. Er mußte Geduld haben, jetzt nur nicht die Nerven verlieren. Das Raumthermometer zeigte noch immer zwölf Grad. Wenn das alles nun nicht funktionierte, wenn sein ganzer schöner Plan nur Makulatur war?

Er schlug die Tür zu, lief in sein Zimmer und füllte die Kaffeemaschine. Er mußte jetzt wach bleiben, wach und ganz ruhig. In ein, zwei Stunden würde er mehr wissen. Wenn es so nicht ging, mußte er sich eben etwas anderes überlegen. Er schaute auf die Uhr: halb eins.

An seinem Schreibtisch sitzend trank er mit hastigen Schluk-ken den heißen Kaffee. Er wurde immer unruhiger. Neue Unwägbarkeiten fielen ihm ein. Wenn ihn hier jemand überraschte. Wenn Lehmke oder Kaiser plötzlich einfiel, daß sie etwas vergessen hatten, und vorbeikamen, um es zu holen.

Quatsch! Er hatte hier früher viele Wochenenden allein zugebracht, um in Ruhe zu arbeiten, und nie war er jemandem begegnet außer Sabine. Warum also ausgerechnet heute? Aber er würde ihnen am Montag erklären müssen, was er sich dabei gedacht hatte. Vielleicht sollte er seine Manipulation irgendwie tarnen, am Ende, wenn er fertig war, einen Kurzschluß inszenieren. Kurzer Funkenflug und dann Totalausfall aller Aggregate. Aber wie machte man so etwas? Für technische Geräte hatte er zwei linke Hände. Besser, er versuchte es gar nicht erst. Außerdem war da die Plastikfolie und das Zeitungspapier. Man würde erkennen, daß sie jemand vorher entfernt hatte.

Er füllte seine Tasse von neuem, stellte sie dann aber nur auf den Schreibtisch und lief wieder hinüber zur Klimakammer. Fünfzehn Grad! Es ging zu langsam, viel zu langsam. Ließ sich diese verdammte Lüftung nicht stärker einstellen? Der Radiator war heiß und knackte unablässig. Gut, wenigstens darauf war Verlaß.

Dann entdeckte er den kleinen bräunlichen Fleck auf dem Schieferblock, dort, wo der Radiator stand. Daneben war ein haarfeiner Riß im Gestein. Sah die Oberfläche nicht insgesamt schon matter aus?

Es trocknete! Wenn das Wasser aus dem Schiefer verdunstete, veränderte sich seine Farbe, wurde er bräunlich, schließlich fast gelb. Normalerweise war das ein Alarmsignal für sie, heute aber kam es ihm vor wie ein Silberstreif am Horizont.

Er schloß wieder die Tür und lief unruhig umher. Dann griff er nach seiner Jacke und verließ das Gebäude. Es hatte ja keinen Sinn, alle fünf Minuten da hineinzurennen. Damit machte er sich nur verrückt. Und trocknen würde es dadurch auch nicht schneller, im Gegenteil. Am besten, er ging jetzt spazieren oder ins Kino und schaute erst in zwei Stunden wieder nach. Dabei konnte er auch etwas nachdenken. Er mußte sich überlegen, was er seinen Kollegen am Montag erzählen würde.

Es dauerte keine halbe Stunde, bis Axt wieder die Station betrat. Diesmal im Laufschritt.

Es war nicht sosehr seine Ungeduld, die ihn zurücktrieb, sondern eine Idee, eine glänzende, wenn auch schmerzhafte Idee. Er hatte vom Zaun hinunter in die Grube geschaut und daran gedacht, wie sie Messi, das große Krokodilskelett, gerettet hatten, an die Nacht, die er dort unten verbracht hatte. Und dann waren sie ihm wieder eingefallen, Max und die Grabungsräuber.

Was er vorhatte, verlangte ein Opfer, zu dem er früher unter keinen Umständen bereit gewesen wäre. Aber zunächst wollte er die beiden Schieferplatten irgendwo unterbringen, die offen im Präparationsraum herumgestanden hatten. Es wäre allzu offensichtlich, wenn die Einbrecher ausgerechnet die Fundstücke zurückließen, über die sie geradezu stolpern mußten. Seinen Kollegen würde er einfach sagen, daß er am Sonnabend einmal kurz vorbeigeschaut, sich über die herumstehenden Platten geärgert und diese dann in einen anderen Raum geschoben hätte. Zu diesem Zeitpunkt sei noch alles in Ordnung gewesen. Bloß wohin mit den sperrigen Gesteinsplatten? Natürlich, mit dem Lastenfahrstuhl in den Keller, wie immer. Er wurde hektisch und begann die einfachsten Dinge zu übersehen. An ihm war wirklich kein Einbrecher verlorengegangen.

Es dauerte lange, bis er die beiden Schieferplatten nach unten transportiert hatte. Sie in den Fahrstuhl zu manövrieren war Schwerstarbeit, bei der es um Millimeter ging. Statt sie einzeln zu transportieren, mußte er sie unbedingt zusammen hinunterfahren, weil er glaubte, damit Zeit zu sparen. Aber das Gegenteil war der Fall. Mehr als einmal dachte er, es würde nicht funktionieren. Dann paßte er selber nicht mehr hinein. Er mußte fluchend unter die Tische mit den Schieferplatten kriechen und dann mit Hilfe eines Holzstockes versuchen, die oben in Brusthöhe angebrachten Knöpfe zu betätigen. Als er endlich fertig war, befand er sich in genau der richtigen Stimmung, um den beiden Präparatoren eine gepfefferte Nachricht zu schreiben.

Er schaute auf die Uhr: kurz nach drei. Er könnte wieder einmal nachsehen, was sich im Klimaraum tat.

Als er die Tür öffnete, schlug ihm feucht-warme Luft entgegen. Zweiundzwanzig Grad, na bitte. Das Lämpchen brannte noch. Überall im Schiefer hatten sich feine Risse gebildet, wie ein ausgetrocknetes Flußbett im Miniformat. Auf der Oberfläche begannen sich einzelne dünne Platten aufzuwölben und abzuschälen. Wenn er mit der Hand darüber fuhr, lösten sie sich wie Schuppen von zu trockener Haut.

Eigentlich ein trauriger Anblick: Millionen Jahre hatte es sich unter Luftabschluß bewahrt. Jetzt erst verrichtete die Atmosphäre ihr Zerstörungswerk an dem weichen Gestein. Erst die kleinen vertrockneten Plättchen, die von ihm übrigblieben, wirkten wirklich tot, so als ob das jetzt entzogene Wasser dem Ölschiefer noch eine Form von Leben verliehen hätte.

Es zerfiel. Wie ein Vampir, den man dem Sonnenlicht aussetzt, dachte er. Nur viel langsamer und nicht so dramatisch. Zurück blieb auch kein qualmendes Häufchen Asche. Aber würde es wirklich schnell genug gehen? Er ging wieder hinaus und schloß sorgfältig die Tür.

Was sollte er jetzt tun? Nach Hause fahren? Nein, dort würde er es jetzt nicht aushaken. Und hier in der Station würde er dauernd nachschauen und fände erst recht keine Ruhe.

Er stieg in seinen Wagen und fuhr eine Weile in der Gegend herum, bis ihn bleierne Müdigkeit zwang anzuhalten. Er hatte in der letzten Nacht nicht sehr viel geschlafen. Als Paläontologe vernichtete man nicht allzuoft Fossilien. Der Gedanke an das, was er am nächsten Tag zu tun plante, hatte ihn immer wieder aus dem Schlaf schrecken lassen.

Er steuerte in einen Forstweg, klappte die Rückenlehne nach hinten und versuchte es sich auf den Sitzpolstern bequem zu machen.

Als er aufwachte, war es halb sieben. Er stieg aus, rieb sich die Augen und überlegte. Zwei Stunden hatte er geschlafen, nicht genug. Je länger er seine Rückkehr hinauszögerte, desto kompletter würde die Zerstörung sein. Er lief den Forstweg entlang, marschierte eine Weile ziellos durch den Wald, dann drehte er doch um und fuhr zurück zur Station.