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»Ja, ja«, murmelte Micha, ohne ihn anzusehen. »Sehr abwechslungsreiche Landschaft.«

»Erstaunlich, nicht?« Er schaute ihn ernst an, und eine Weile erwiderte Micha den Blick, bis ihn seine Verwirrung zwang wegzuschauen. Was war hier los? War er schon so betrunken?

»Ich muß nach Hause«, sagte er. »Bin ganz schön abgefüllt.«

»Okay«, kicherte Tobias. »Mir geht’s ähnlich. Laß uns telefonieren!«

Schmäler

Axt ging es hundsmiserabel. Daß er gerade zwei Wochen Urlaub hinter sich hatte, schien völlig spurlos an ihm vorübergegangen zu sein. Im Gegenteil! Diese ganze groteske Situation und die permanente Angst, jemand aus der Station würde auf die Idee kommen, sich das Skelett anzusehen, hatten ihn derart zermürbt, daß ihn auch ein halbjähriger Kuraufenthalt kaum wieder aufgerichtet hätte. Er stritt sich wegen nichts und wieder nichts mit Sabine und den anderen Mitarbeitern herum, und auch zu Hause lief es nicht viel besser. Marlis hatte mitbekommen, daß er deutlich mehr trank. Als sie ihn darauf ansprach, war er hochgegangen wie eine Rakete, so daß sie ihn nur entsetzt angeschaut hatte und ohne ein Wort in ihrem Zimmer verschwunden war.

So ging es nicht weiter. Er mußte mit jemandem reden, mußte dieses Wissen mit einer Person seines Vertrauens teilen. Alleine schaffte er das nicht, da hatte er sich etwas vorgemacht. Vielleicht sollte er Schmäler anrufen?

Prof. Dr. Gernot Schmäler war der Leiter der Säugetierabteilung im Frankfurter Senckenberg-Museum und in dieser Eigenschaft auch für die Außenstation an der Grube Messel zuständig. Zudem war er nicht nur wegen seiner Haarfarbe so etwas wie die graue Eminenz ihres Fachgebiets und Axts unermüdlicher Förderer und Mentor gewesen. Ja, Schmäler könnte der Richtige sein. Ihr Kontakt war in letzter Zeit zwar ein bißchen eingeschlafen, weil sie beide so beschäftigt waren, aber sie kannten sich schließlich schon seit über zehn Jahren. Außerdem war er ja sein direkter Vorgesetzter, war sozusagen verantwortlich für das, was in und mit der Grube passierte. Er mußte mit ihm sprechen.

Axt versuchte, sich noch etwas zu beruhigen, dann griff er zum Telefon und rief in Frankfurt an.

»Schmäler.«

»Hier spricht Helmut Axt.«

»Ach, Helmut, gut, daß du anrufst.« Schmäler war in Eile. Das hörte Axt sofort. »Ich wollte mich auch schon bei dir melden. Niedner von den Geologen hat mich angerufen und mitgeteilt, daß sie ihre Untersuchungen in der Grube abgeschlossen haben.«

»Ah ja.«

»Sie sind sehr zufrieden und werden uns benachrichtigen, sobald erste Ergebnisse vorliegen.«

»Schön.«

»Er sagte, die Zusammenarbeit zwischen euch lief ganz ausgezeichnet. Das hat mich natürlich sehr gefreut.«

»Hm.«

»Du weißt, wie wichtig Niedner für uns ist.«

»Natürlich.«

»Ist irgend etwas, Helmut?«

»Wieso?«

»Na ja, du klingst so komisch.«

»Du, Gernot ...« Axt räusperte sich, irgend etwas in seinem Hals hinderte ihn am Sprechen.

»Ja?«

»Sitzt du gut?«

»Wie bitte?«

»Ob du gut sitzt?«

»Ich verstehe nicht.«

»Ich meine nur, bevor du dir anhörst, was ich zu sagen habe, solltest du dich in den bequemsten und weichsten Sessel setzen, den du finden kannst. Anschnallen wäre auch nicht schlecht.« Axt schluckte.

»Was soll diese Geheimniskrämerei, Helmut? Erzähl schon!«

»Also, wir haben da einen außergewöhnlichen Fund gemacht.«

»Oh, wie schön! Was ist es denn?«

Nein, er würde es nicht über die Lippen bekommen, seine Stimme würde diesen Unsinn einfach nicht mitmachen. Seine Zunge war zu einem harten Klumpen erstarrt und verweigerte demonstrativ die Mitarbeit.

»Ich, äh . na ja, ich würde sagen, es sieht wie ein Hominide aus.«

»Ein was?« Axt hörte förmlich, wie Schmäler der Stift aus der Hand fiel.

»Ein Hominide. Spreche ich so undeutlich?«

»Bist du betrunken, Helmut?« fragte Schmäler nach einer kurzen Pause.

»Nein, leider nicht. Ich bin in meinem Leben noch nie so nüchtern gewesen. Aber die Flasche steht schon neben mir.« »Und du bist absolut sicher, daß es ein Menschenaffe ist? Das wäre eine absolute Sensation.«

»Kein Menschenaffe, Gernot.« Er schrie es fast heraus. »Ein Mensch!«

»Du spinnst!«

»Nein, Gernot, ich spinne nicht. Ich wünschte, es wäre so. Aber das ist noch lange nicht alles, es kommt noch viel dik-ker.«

»Was denn noch?«

»Es ist ein Homo sapiens.«

»Also, jetzt reicht’s, Helmut! Wirklich!« Schmäler wurde ärgerlich. »Was ist denn in dich gefahren?«

»Wenn du mir nicht glaubst, dann komm her! Er liegt unten im Keller. Ich kann nicht mehr, Gernot. Ich bin fix und fertig. Es ist ein gottverdammter Homo sapiens, mitten in unserer Ausgrabungsstelle 5. Ein Homo sapiens mit Zahnkronen und einer Armbanduhr.« Er war jetzt den Tränen nahe. »Gernot, hilf mir! Ich weiß nicht mehr weiter.«

Schweigen.

»Gernot, bist du noch dran?«

»Weiß sonst noch jemand von der Sache? Ich meine, wenn du nicht völlig übergeschnappt bist und irgend etwas an der Geschichte dran ist, dann darf vorerst niemand davon erfahren.«

»Keine Sorge. Wir haben den Fund zwar alle zusammen geborgen, aber angeschaut hat ihn außer mir bisher niemand. Ich habe ihnen erzählt, daß es ein schlecht erhaltenes Krokodil ist.«

»Gut! Hast du schon eine Altersbestimmung machen lassen?« fragte Schmäler.

Eine Altersbestimmung! Natürlich, warum er nicht selber daraufgekommen war.

»Nein, äh, ich wußte nicht ...«

»Also gut. Ich komme morgen abend und nehme dann eine Probe für das Labor mit. Vorher kann ich leider nicht.«

Natürlich, dachte Axt, hätte mich auch gewundert. Aber er war trotzdem erleichtert.

»Gut, Gernot, bis morgen«, sagte Axt. »Ich danke dir!«

»Ja, bis morgen. Malt die Ohren steif! Ach, Helmut, bevor ich es vergesse .«

»Ja?«

»Ich habe da eine Einladung zu einem Vortrag nach Berlin bekommen, ins Institut für Allgemeine Zoologie der FU. Du weißt schon, das Übliche, ein paar Dias, einige unserer Präparate, ein bißchen was zur Historie und zur Präparationstechnik. Kannst du das nicht für mich erledigen?«

Axt glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. Da quälte er sich seit Wochen mit diesem Skelett herum, wußte nicht mehr ein noch aus, fühlte sich ausgelaugt und hilflos, stritt sich wegen jeder Kleinigkeit mit seinen Mitarbeitern und sogar mit Marlis herum, und dieser Oberpaläontologe hatte nichts Besseres zu tun, als .

»Helmut? Bist du noch dran?«

»Ja, ich bin noch dran.« Er mußte sich beherrschen, um nicht aus der Haut zu fahren. »Sag mal, hast du eigentlich verstanden, was ich dir gerade erzählt habe? Gernot, wir haben hier ein menschliches Skelett.«

»Natürlich, ich hab schon verstanden. Wir klären das morgen. Das kann doch nur ein Irrtum sein. Mach dir keine Gedanken! Was ist, Helmut, kann ich mit dir rechnen?«

Er ließ langsam den Hörer sinken und legte ihn mit einem leisen Klicken auf die Gabel.

Was hatte Schmäler gesagt? Mach dir keine Gedanken.

Das war nicht nur enttäuschend, das war niederschmetternd. Er stieß ein bitteres Lachen aus. Wirklich grandios, genau die Art von Rat, die er jetzt brauchte.

Er goß sich einen Whisky ein und behielt die scharfe Flüssigkeit so lange im Mund, bis das Beißen auf der Zunge unerträglich wurde.

Vielleicht wäre es gar nicht schlecht, nach Berlin zu fahren und diesen Vortrag zu halten. Das brächte ihn vielleicht einmal auf andere Gedanken. Er könnte bei Marlis’ Eltern übernachten. Dann fiel ihm die Sache mit der Altersbestimmung wieder ein, wenigstens ein vernünftiger Vorschlag seitens seines großen Gurus. Aber daß er darauf nicht selber gekommen war, schockierte ihn. Was war nur los mit ihm? Natürlich führten sie nicht mehr an jedem Fundstück solche Bestimmungen durch, dazu waren diese Untersuchungen viel zu teuer. Außerdem wußten sie mittlerweile ziemlich genau, wie alt ihre Fossilien waren. Aber in diesem Fall .