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Sie kamen auf ihre Sommerferien zu sprechen - kurz davor hatten sie sich das letzte Mal gesehen - und stellten fest, daß sie beide dieselben Inseln in Griechenland besucht hatten, ohne sich zu begegnen. Dieses Thema gab Micha die Gelegenheit, das Herbarblatt ins Spiel zu bringen.

»Du, Claudia, ich wollte dich eigentlich um einen Gefallen bitten. Ein Freund von mir war dieses Jahr in der Slowakei und hat ein paar Pflanzen mitgebracht, die er nicht kannte.«

Er stockte. Während er das sagte, fiel ihm zum ersten Mal die merkwürdige Tatsache auf, daß Tobias offensichtlich Pflanzen und Insekten sammelte. Warum sollte er ansonsten solche Reiseandenken mitbringen. Die Kunstharzeinbettung des Käfers und die Präparation der Pflanze verrieten zudem einige Erfahrung bei diesen Fertigkeiten. Nicht, daß das so ungewöhnlich gewesen wäre, er sammelte ja selbst, aber jetzt fand er es plötzlich seltsam, daß Tobias ihm nichts davon erzählt hatte. Immerhin war er doch sehr begeistert davon gewesen, daß Micha sich für Käfer interessierte. Warum also hatte er nicht erwähnt, daß er selbst Sammler war?

»Und da ich mit der Bestimmung nicht weitergekommen bin«, fuhr er fort, »wollte ich dich eigentlich fragen, ob du vielleicht .«

»Gott, bist du umständlich! So kenn ich dich ja gar nicht.« Sie warf ihm einen neckischen Blick zu.

»Na ja .«

»Dann zeig doch mal her!«

Er holte die getrocknete Pflanze aus seiner Tasche und legte sie auf den Tisch.

»Eine Seerose«, sagte sie, wie aus der Pistole geschossen.

»Ja, soweit bin ich auch gekommen. Aber dann .«

Sie zog ein Bestimmungsbuch aus dem Regal und blätterte eine Weile darin herum, bis sie den richtigen Abschnitt gefunden hatte. Ihr Blick wechselte ein paarmal schnell zwischen der Pflanze und dem Buch hin und her.

»Tja«, sagte sie schließlich. »Die scheint hier nicht drin zu sein. Möglicherweise gibt es da noch mehr als unsere vier Arten, obwohl ich mir das kaum vorstellen kann.«

»Vielleicht kannst du mal nachschauen«, sagte er vorsichtig. »Ich habe keine Ahnung, was es da noch so für Literatur gibt.«

»Klar kann ich das.« Sie schaute auf die Uhr. »Aber heute nicht mehr. Am besten, du läßt sie mir hier, dann kümmere ich mich in den nächsten Tagen mal darum. Jetzt muß ich leider weg.«

»Das wär toll. Aber ... vielleicht könntest du es für dich behalten.«

Er wußte auch nicht, warum er das sagte, aber irgendwie rutschte es ihm heraus, vielleicht weil ihm Tobias’ Brief einfiel.

»Warum das denn?« Sie warf ihm einen spöttischen Blick zu. »Komische Geheimniskrämerei! Was ist denn an der Pflanze so besonders?« Interessiert musterte sie noch einmal das Herbarblatt.

»Ach, ich weiß auch nicht. Bist du jeden Tag hier? Dann komme ich nächste Woche wieder vorbei. Kannst mich auch anrufen, wenn du etwas herausgefunden hast. Meine Telefonnummer hast du ja, oder?«

»Hmm«, sagte sie nur und schüttelte verwundert den Kopf.

Er stand auf. »Gut, dann bis bald.«

Er ging schnell aus dem Laborraum und fluchte innerlich über seine elende Schwatzhaftigkeit. Was sollte sie davon halten?

Drei Tage später klingelte bei ihm zu Hause das Telefon. Claudia war am Apparat. »Du, sag mal, dein Freund hat dir aber einen ganz schönen Bären aufgebunden mit der Slowakei.«

»Wie meinst du das?«

»Na, weil diese Pflanze unmöglich von da stammen kann. Es sei denn, in der ehemaligen CSSR hat in den letzten Jahren neben der politischen auch eine klimatische Wende stattgefunden, und dort sind tropische Verhältnisse eingekehrt, ohne daß die Wissenschaft es bemerkt hätte.«

»Wieso tropisch?« Ihm fielen die seltsamen Urlaubsfotos wieder ein, die Tobias ihm in der Kneipe gezeigt hatte.

»Weil so etwas Ähnliches wie diese Pflanze nur in Südostasien vorkommt.«

»Südostasien?«

»Ja, Burma, Thailand, Philippinen und so.«

»Is ja merkwürdig.«

»In der Tat.« Sie lachte. »Komische Art von Humor hat dein Freund. Außerdem . Ja, merkwürdig ist das richtige Wort für diese Pflanze.«

»Wieso?«

»Na, ich bin keine Expertin, was tropische Gewächse angeht, und mit der Literatur aus diesen Ländern ist das so eine Sache, aber soweit ich herausfinden konnte, dürfte es diese Pflanze eigentlich gar nicht geben.«

»Bitte? Wieso das denn?«

»Die Merkmale stimmen mit keiner der beschriebenen Arten so richtig überein.«

»Das versteh ich nicht.«

»Ja, ich auch nicht. Ich vermute mal, daß wir hier im Institut nicht die richtige Literatur über diese Gebiete haben. Aber verwunderlich ist es schon.«

»Vielleicht ist es eine sehr seltene Art. Mein Freund hat so etwas gesagt.«

»Schon möglich.« Ihre Stimme klang skeptisch.

»Na, danke für deine Mühe. Ich komme in den nächsten Tagen vorbei und hole die Pflanze wieder ab. Dann geb ich dir einen Kaffee aus, okay?«

»Alles klar. Bis bald dann!«

»Ja, bis bald!«

Er legte auf und zündete sich eine Zigarette an. Jetzt lag der Fall wohl klar. Tobias war in den Tropen gewesen. Das erklärte auch die Fotografien, allerdings nicht die im Hochgebirge aufgenommenen und die anderen, die auch aus den Alpen hätten stammen können. Oder sah es im Himalaja so aus? Noch viel weniger erklärte es, was, zum Teufel, Tobias sich bei diesem Spiel gedacht hatte. Jetzt, wo er sein Verhalten endgültig durchschaut zu haben glaubte, fand er diesen Typen unmöglich. Wollte er ihn damit auf die Probe stellen und herausfinden, ob er etwas von seinem Fach verstand, oder was sollte das? Es interessierte ihn im Grunde einen Scheißdreck, wo der Kerl seinen Urlaub verbracht hatte, und er wußte wirklich Besseres mit seiner Zeit anzufangen, als sich in einer Art Puzzle mühsam seine Reiseroute zusammenzureimen.

Er steigerte sich in eine beachtliche Wut und griff schließlich zum Telefon, um Tobias mal gründlich die Meinung zu sagen und klarzustellen, daß er ihm künftig gestohlen bleiben könne. Leider war der nicht zu Hause, so daß sein Zorn verpuffte. Auch in den folgenden Tagen konnte er ihn nicht erreichen. Statt dessen bekam völlig unverdientermaßen Claudia etwas von seinem Ärger ab, als er das Herbarblatt abholte und ihr den versprochenen Kaffee spendierte. Auch sie wunderte sich genauso wie er über diesen seltsamen Humor.

Nach ein paar Tagen hatte er sich so weit beruhigt, daß ihm selbst ein Anruf bei Tobias als zuviel der Ehre erschien. Wenn dieser Spinner es wagen sollte, sich zu melden, würde er sein blaues Wunder erleben, und wenn nicht, war es auch gut.

Aber Micha hörte wochenlang nichts von ihm, so lange, bis sich sein Ärger weitgehend verflüchtigt hatte und er der ganzen Angelegenheit wieder amüsante Züge abgewann, wenn er seinen Freunden beim Bier davon erzählte. Das Herbarblatt verstaubte inzwischen irgendwo in seinen Regalen.

Dinos

»Papa, warum findest du eigentlich keine Saurier?«

Stefan sah seinen Vater mit großen blauen Augen an und rührte mit dem Löffel in seinen Dino-Cornflakes. Marlis machte sich gerade an der Kaffeemaschine zu schaffen. Sie drehte sich um und warf ihrem Mann einen amüsierten Blick zu, so als würde sie sagen: Ja, genau, warum findest du eigentlich nie Dinos?

Axt legte sein angebissenes Brot auf den Teller, schluckte und trank aus seiner Kaffeetasse. Er schwankte zwischen Belustigung und Ärger. Auf diese Frage hatte er nur gewartet.

»In Messel gab es keine Dinosaurier«, sagte er. »Die waren da schon lange ausgestorben. Das weißt du doch, Stefan.«

Er konnte nicht anders. Der leichte Vorwurf hatte sich einfach eingeschlichen, ohne daß er es wollte. Marlis verzog enttäuscht das Gesicht und wandte sich wieder der Kaffeemaschine zu. Auch Stefan machte nicht den Eindruck, als ob ihn diese Antwort zufriedenstellte. Jetzt mußte er sich vor seinem eigenen Sohn rechtfertigen, warum er nur nach Fischen oder Urpferdchen oder noch unwesentlicheren Dingen grub. Diese Filmfritzen aus Hollywood hatten wirklich ganze Arbeit geleistet.