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Die Geldflut, die sich plötzlich über einschlägige Forschungseinrichtungen, Museen, Bibliotheken, über Schulen und Universitäten ergossen hatte, würde wieder versiegen und in ein spärliches Tröpfeln übergehen. Alle, die wie er auf mehr als ein Strohfeuer angewiesen waren, würden sich ihre Gelder für die elementarsten Anschaffungen wieder erbetteln müssen wie eh und je.

Natürlich hatte dieser an Ekel grenzende Widerwille, den er angesichts der Dinowelle empfand, viel mit seinen sonstigen Problemen zu tun. Säße da nicht dieses anachronistische Skelett in seinem Hinterkopf, seine Reaktion wäre mit Sicherheit gemäßigter, gelassener ausgefallen. Jedenfalls, das nahm er sich ganz fest vor, als er jetzt mit seinem Wagen auf das Grundstück der Senckenberg-Station in Messel fuhr, sollte sein Sohn nicht darunter leiden müssen. Er war als Junge auch nicht anders gewesen und wäre auf dieser Dinosaurierwelle genauso begeistert mitgesurft.

In der kleinen Villa herrschte schon reges Treiben. Kaiser und Lehmke hantierten mit ihren Sandstrahlgebläsen herum und bekamen Axts Ankunft gar nicht mit, Sabine telefonierte und winkte ihm kurz zu, und Max und Rudi kamen gerade die Kellertreppe hoch, was Axt einen kurzen Adrenalinstoß durch den Körper jagte. Sie ließen ein knappes »Morgen, Chef!« hören, als salutierten sie vor ihrem kommandierenden General.

Axt grüßte zurück, marschierte dann aber sofort in sein Arbeitszimmer, blätterte kurz den Poststapel durch und fand darin unter anderem die offizielle Einladung für den Vortrag in Berlin, den er für Schmäler übernommen hatte. Er sollte in gut zwei Wochen, am 28. November stattfinden. Er machte sich eine kurze Notiz, daß er noch bei Marlis’ Eltern nachfragen mußte, ob er die Nacht bei ihnen verbringen konnte. Wenn sie in der Stadt waren, freuten sie sich sicher über diesen unverhofften Besuch.

»Na, alles klar bei dir?« Sabine lehnte am Türrahmen und schaute zu ihm ins Zimmer.

»Bestens, wie immer. Wieso fragst du?«

»Ach, nur so. Du machst in letzter Zeit manchmal einen hypernervösen Eindruck.«

»Mach ich?« Er lachte kurz auf, vielleicht eine Spur zu laut. »Mir geht’s gut, wirklich. Aber danke, daß du dich um mich sorgst.«

»Übrigens, Prof. Niedner vom Geologischen Institut hat angerufen. Er bittet um Rückruf.«

»So? Was wollte er denn?«

»Hat er nicht gesagt, aber er tat sehr geheimnisvoll. Vielleicht wollte er uns ankündigen, daß sie ihre Bohrungen noch einmal wiederholen müssen.«

»Gott bewahre uns. Die haben hier wirklich genug Unruhe gestiftet.«

Plötzlich hörte man die entsetzte Stimme von Max aus dem Hintergrund. »Wie? Hab ich richtig gehört, diese Bohrheinis kommen noch mal zurück?«

»Keine Angst, Max«, rief Axt ihm zu. »Frau Schäfer beliebte zu scherzen.«

Max atmete erleichtert auf und brummte irgend etwas Unverständliches zu Rudi, der daraufhin bedächtig nickte. Kurz darauf verließen sie zusammen das Haus und liefen zum Geräteschuppen hinüber. Die diesjährige Ausgrabungskampagne war vor kurzem abgeschlossen worden. Im Winter wurden keine Grabungen durchgeführt, so daß die beiden hauptsächlich mit Wartungs- und Aufräumarbeiten beschäftigt waren. Die eingelagerten Schieferblöcke mit den Fossilien mußten regelmäßig kontrolliert, befeuchtet und wieder sorgsam verpackt werden, um den Pilz- und Bakterienbefall zu bekämpfen. Diese Mikroorganismen vermehrten sich in der abgeschlossenen Feuchtigkeit der verpackten Fundstücke mitunter besorgniserregend und mußten mit entsprechenden Mitteln beseitigt werden.

Den Wissenschaftlern in der Station gab die ausgrabungsfreie Zeit endlich Gelegenheit, in Ruhe ihrer eigentlichen Aufgabe nachzugehen. Im Sommer kamen sie vor lauter Fossilienfunden ja kaum dazu, diese genauer zu untersuchen, geschweige denn, sich der aktuellen Literatur zu widmen oder eigene Veröffentlichungen auszuarbeiten. Außerdem mußte im Magazin für die Fundstücke des kommenden Jahres Platz geschaffen werden.

Axt schloß die Tür seines Arbeitszimmers und setzte sich an den Schreibtisch. Die Stimmung unter seinen Mitarbeitern war gut, daran hatten, Gott sei Dank, seine gelegentlichen Ausfälle nichts geändert. Kunststück, die Glücklichen hatten ja auch keine Ahnung, was da neben den anderen schwarzen Schieferplatten im Keller lagerte.

Er seufzte, griff nach dem Telefonhörer und rief Niedner an.

»Ah, Dr. Axt, schön, daß Sie anrufen«, sagte der Geologe.

»Sie wollten mich sprechen?«

»Ja, wissen Sie, wir haben da bei der ersten Durchsicht der Messeler Bohrkerne eine ungewöhnliche Entdeckung gemacht, die eher in Ihren Zuständigkeitsbereich fällt.«

Axt lief ein Schauer über den Rücken. Was hatte das denn zu bedeuten? Er hatte plötzlich Angst, daß noch ein mysteriöser Fund auftauchen könnte, irgendein anachronistisches Artefakt, das seine schöne Grube endgültig in eine wertlose Ansammlung von Knochenmüll verwandeln würde. Ihre Nachbarn unten in der Grube warteten doch nur auf so etwas, damit sie ihre Mülltransporter endlich in Bewegung setzten konnten. Na ja, wenn da noch so ein Unsinn zu Tage kam, würde er der erste sein, der seine Küchenabfälle höchstpersönlich in den Schiefer kippte. Vielleicht waren die Geologen auf einen dieser kleinen Plastikdinosaurier gestoßen, die zu Hause im Zimmer seines Sohnes die Regalbretter füllten, unverwüstlicher Kunststoff, für die Ewigkeit gemacht und von einem todunglücklichen kleinen Homo sapiens-Kind verloren, als es am Ufer des tertiären Messeler Sees spielte, 50 Millionen Jahre, 50 000 Jahrtausende, 500 000 Jahrhunderte vor seiner Zeit.

Er nahm sich zusammen und fragte so unbeteiligt wie nur möglich: »So, was ist es denn?«

»Ein Knochen«, sagte Niedner geheimnisvoll. Er schien zu glauben, daß schon dieses Wort alleine genügte, um einen Paläontologen in Verzückung zu versetzen. Aber Axt war nicht entzückt, ganz im Gegenteil. Ihm brach auf der Stelle der Angstschweiß aus.

»Ein . menschlicher Knochen?« hörte er sich fragen.

»Wie bitte? Haha, ein guter Witz, ein menschlicher Knochen, haha, wirklich gut. Freut mich, daß Sie am Freitagmorgen so guter Laune sind. Nein, für meinen laienhaften Blick sieht es aus wie ein Wirbel, ein ziemlich großer Wirbel. Wenn das ein Menschenknochen ist, dann würde ich sagen, wir sind hier auf

Goliath höchstpersönlich gestoßen.«

Axt litt Höllenqualen bei Niedners Gelächter. Er mußte wohl von allen guten Geistern verlassen gewesen sein. Aber Nied-ners Reaktion war symptomatisch. Menschenknochen in Messel waren einfach lächerlich. Mehr fiel einem vernünftigen Menschen dazu nicht ein.

»Und wie kommt der in Ihren Bohrkern?«

»Na, ich vermute, daß wir zufällig ein großes Fossil angestochen haben.«

»Sie meinen, da liegt noch mehr?«

»Ja, der Wirbel sieht völlig intakt aus, und warum sollte da unten ein einzelner Wirbelknochen herumliegen?«

Stimmt, dachte Axt, das wäre nicht auszuschließen, aber für Messel in der Tat eher ungewöhnlich.

»Dann schicken Sie uns den Knochen doch rüber. Wir werden ihn uns mal genauer ansehen. Aber achten Sie darauf, daß er nicht austrocknet.«

»Gut, wir werden aufpassen«, versicherte ihm Niedner. »Rufen Sie mich doch bitte an, wenn Sie wissen, worum es sich handelt. Wir waren hier alle ganz aufgeregt, als wir ihn bei unseren Untersuchungen im Labor gefunden haben.«

»Natürlich, ich melde mich bei Ihnen. Fossilien sind eben doch etwas anderes als ihre toten Gesteine, was?«

»Das will ich nicht sagen«, antwortete der Geologe und lachte. »Haha, mit dem Menschenknochen haben Sie mir einen richtigen Schrecken eingejagt.«