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Der Projektor war irgendwie hängengeblieben. Jemand machte Licht und die in sich zusammengesunkenen Zuhörer und Zuhörerinnen begannen sich zu strecken und zu tuscheln. Endlich fand Schuberts Assistent, dem sich nun die Aufmerksamkeit des gesamten Saales zugewendet hatte, den Schalter, der das enervierende Geratter abstellte. Sein Kopf glühte wie eine Laterne, und mit hektischen Bewegungen versuchte er des Problems Herr zu werden. Auch sie hatte sich umgedreht und, ja, er täuschte sich nicht, ein feines, schlichtweg umwerfendes Lächeln umspielte ihren Mund.

Der geplagte Vorführer hatte natürlich im Moment ganz andere Sorgen. Die Bedienung des Diaprojektors konnte sich in Windeseile von einem hochgeschätzten Privileg in ein elendes Martyrium verwandeln. So war es zum Beispiel keine leichte Aufgabe zu erkennen, wann die Referenten ein neues Dia projiziert haben wollten. Da die meisten Redner das monotone »Das nächste Dia, bitte!« vermeiden und sich neben ihren Folien und Manuskriptseiten nicht auch noch die Fernbedienung des Projektors aufhalsen wollten, hatte sich eine Art Zeichensprache eingebürgert, die nur leider in keiner Weise normiert war. Wurde ein langer Zeigestock aus Bambus oder Holz benutzt, war es üblich, mit dem Ende kurz auf den Boden zu tippen. Manche Referenten stampften derart herrisch mit dem Stockende auf den Boden, daß die auf diese Weise malträtierten Zeigestöcke ganz abgeplattete Enden bekamen und nur eine geringe Lebensdauer erreichten. Es hörte sich an, als würde ein Lakai bei Hofe das Erscheinen des Königs ankündigen. So unschön diese Methode auch war, sie verhinderte, daß eine flüchtige Geste, ein Kratzen am Kinn, ein Wechsel des Standbeins im verdunkelten Vortragssaal als Aufforderung zum Diawechsel mißverstanden wurde. Das Auditorium wurde nicht aus seiner Konzentration, der Vortragende nicht aus seinem Redefluß gerissen, und dem Vorführer blieb erspart, vor allen Anwesenden als der Dumme dazustehen, denn es gab eine unumstößliche goldene Regeclass="underline" Was auch geschieht, der Referent hat immer recht.

Da der Fortschritt nun auch in der Zeigestocktechnologie Einzug gehalten hatte und sich in jüngster Zeit mit stark ansteigender Tendenz die modernen Lichtpfeile oder teleskopartig ausziehbaren Westentaschenzeigestöcke einbürgerten, kam das bewährte Stockstampfen leider außer Mode und das Bedienungspersonal an den Projektoren mußte ein geradezu übermenschliches Einfühlungsvermögen aufbringen, um den gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden.

Schuberts hochnäsiger Lackaffe von Assistent, dem Micha seine prekäre Lage von Herzen gönnte, versuchte noch immer verzweifelt, das verklemmte Dia zu lösen, als Axt ein Einsehen mit ihm hatte und eine spontane Einlage zum besten gab. Er entpuppte sich als souveräner Meister der Situation und sammelte bei der langsam ungeduldig werdenden Zuhörerschaft Pluspunkte.

Der Wirbel

Bisher hatte Axt sein Programm relativ unengagiert und mit fast gelangweilter Routine heruntergespult. Weder die ungewöhnlich große Kulisse noch der spektakuläre Auftritt dieses ungleichen Pärchens gleich zu Beginn seiner Ausführungen hatte ihn stimulieren und aus seiner inneren Verkrampfung befreien können. Aber dieses hämmernde Stakkato des verklemmten Diaprojektors riß ihn aus seiner Lethargie, rüttelte ihn wach und verhalf ihm zu einer glänzenden Idee.

»Die kleine Verzögerung gibt mir Gelegenheit«, sagte er, »Ihnen von einem Vorfall zu berichten, der sich gerade zugetragen hat und der ihnen zeigen soll, welch ungewöhnliche Wege die Fossiliensuche bisweilen nehmen kann.« Er wartete einen kurzen Moment, bis die Gesichter seiner Zuhörer sich von dem bedauernswerten Studenten hinter dem Projektor wieder abgewandt hatten.

»Wir hatten in diesem Sommer eine geologische Forschungsgruppe zu Gast in der Grube. Sie führten auf dem ganzen Gelände systematisch Bohrungen durch, und der Zufall wollte es, daß sich in einem ihrer Bohrkerne ein vollständiger und unversehrter Halswirbelknochen fand. Unsere Untersuchungen haben nun ergeben, daß es sich dabei um den Halswirbel eines Krokodils handelt, der Größe des Knochens nach zu urteilen, sogar eines sehr großen Krokodils, wahrscheinlich des größten, auf das wir jemals gestoßen sind.«

Anerkennendes Raunen im Saal.

»Wir sind davon überzeugt, daß der Bohrer den Halswirbel säuberlich aus seinem Knochenverband herausgestanzt hat und der Rest des Skelettes noch im Schiefer liegt, in etwa zweieinhalb Meter Tiefe.«

Jetzt spürte Axt, daß er seine Zuhörer im Griff hatte. Sie hingen an seinen Lippen, öde wissenschaftliche Routine war plötzlich in aufgeregte Entdeckerfreude umgeschlagen. Der kleine Projektorzwischenfall hatte dank seiner Geistesgegenwart eine glückliche Wendung eingeleitet. Für den Rest seines Vortrags war ihm die ungeteilte Aufmerksamkeit des Auditoriums sicher. Er fühlte, wie sein Körper neue Kraft mobilisierte, wie er aus den neugierigen Blicken seiner Zuhörer Energie auftankte, und als dann der Projektor wieder lief, holte er die verlorene Zeit mühelos auf - er wußte, daß es sehr ungern gesehen wurde, wenn man die Vortragszeit überzog -, glänzte mit gewagten Formulierungen und überraschenden Pointen und kam schließlich zum Schluß seines Vortrages.

»Da wir uns hier in einem zoologischen Institut befinden, habe ich darauf verzichtet, Ihnen die botanischen Schätze der Grube Messel zu präsentieren. Natürlich haben wir auch auf diesem Sektor eine sehr reichhaltige Ausbeute an Fundstücken aufzuweisen. Unsere Paläobotaniker haben Hunderte von Arten aus mindestens 65 Pflanzenfamilien nachweisen können. Blätter von Tüpfelfarnen, Panzerfruchtpalmen und Aronstabgewächsen, Früchte von Walnußbäumen und Mondsamengewächsen sowie die Samen, Pollen und Blüten von Riedgräsern und Seerosen wurden in großer Zahl gefunden.

Da hier am Institut, wie ich hörte, sehr intensiv entomolo-gisch gearbeitet wird, möchte ich aber nicht versäumen, Ihnen zum Ende meines Vortrages wenigstens noch zwei unserer berühmten Messeler Insekten zu zeigen. Hier ein Rüsselkäfer, eine von etwa fünfzehn Käferarten, die wir entdecken konnten. Und als letztes, gewissermaßen als schillernder Abschluß, unser Prachtkäfer.«

Aus dem Halbdunkel des Zuschauerraums hörte man einen unterdrückten Aufschrei der Überraschung. Axt fing den Ball auf und fügte hinzu: »Kaum zu glauben, daß dieses Stück bei dem bemerkenswert guten Erhaltungszustand der Strukturfarben 50 Millionen Jahre alt sein soll, finden Sie nicht? Ich danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit.«

Donnernder Applaus prasselte auf ihn ein, als das Licht wieder anging. Mit Stiften und Fingerknöcheln hämmerte sein Publikum so heftig auf die hölzernen Klapptische, daß man unwillkürlich um die Statik des alten Saales zu fürchten begann. Für Axt war es eine ungeheure Wohltat, die ihm nach all den Problemen und Tiefschlägen der letzten Zeit vorkam wie ein erfrischendes Bad nach einem heißen, staubigen Arbeitstag in der Wüste.

Ein strahlender Schubert kam auf ihn zu, schüttelte ihm begeistert die Hand und wandte sich dann an das Publikum.

»Vielen Dank Dr. Axt für Ihren hochinteressanten Vortrag. Ich bin sicher, daß Sie viele neue Freunde für Ihre Grube Messel gewonnen haben. Es ist ja auch ein einmaliger Glücksfall, daß wir in Deutschland eine so bedeutende Fundstätte haben. Nicht umsonst hat das deutsche Wort >Fossillagerstätte< als Fremdwort Eingang in den angelsächsischen Sprachraum gefunden, nicht wahr? Ich bin sicher, es gibt viele Fragen, Kommentare und Anregungen. Die Diskussion ist eröffnet.«