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Axt lächelte dankbar, atmete tief durch und erwartete die Fragen aus dem Publikum. Er war zwar etwas erschöpft, aber zum ersten Mal nach langer Zeit wieder zufrieden mit sich. Es war eine gute Idee gewesen, nach Berlin zu reisen. Wahrscheinlich, ohne es zu wollen, hatte ihm Schmäler letztlich doch einen Gefallen getan.

Die Diskussionen nach solchen Vorträgen ähnelten sich überall, folgten zumeist einer bestimmten Dynamik, die mehr mit den internen Auseinandersetzungen und Rangordnungskämpfen der jeweiligen Universität zu tun hatte als mit den eigentlich behandelten wissenschaftlichen Inhalten. Axt wußte meist schon im voraus, welche Fragen kommen würden.

Während Studenten sich in der Regel eher schüchtern und naiv nach dem Stand der Auseinandersetzung um die Mülldeponie oder den Problemen mit Grabungsräubern erkundigten, setzten einige der Wissenschaftler zu eigenen kleinen Vorträgen an, die nicht eigentlich Fragen oder Kommentare darstellten, sondern eitle und ziemlich unverblümte, mitunter ausgesprochen peinliche Selbstinszenierungen waren, die nichts mit seinem Vortrag zu tun hatten und die nicht persönlich zu nehmen, Axt mit der Zeit erst hatte lernen müssen.

Auch hier schien die Diskussion dieselbe Richtung zu nehmen, bis der kleine spitzbärtige Mann, der zusammen mit dieser bildhübschen Schwarzhaarigen mitten in seinen historischen Überblick geplatzt war, die Hand hob und schließlich von Schubert, nachdem er ihn eine Weile geflissentlich übersehen hatte, mit vorwurfsvollem Blick aufgefordert wurde, seinen Beitrag abzuliefern.

»Dr. Sonnenberg!«

Der Erwähnte richtete sich mühsam auf und fragte mit einer überraschend kräftigen Stimme: »Dr. Axt, mich würde interessieren, ob Sie in Messel in jüngerer Zeit endlich auch Primaten gefunden haben. Sie haben in Ihrem Vortrag nichts davon erwähnt.«

»Äh ... ich verstehe nicht recht.« Axts Diskussionsbedürfnis sackte auf den Nullpunkt, und das erfrischende Bad in der Menge war plötzlich eiskalt. Primaten waren Affen, Affen und Menschen, wenn man es genau nahm. Jetzt hatte er es geschafft, dieses unsägliche Skelett einmal für eine Stunde zu vergessen, hatte für kurze Zeit wieder das Gefühl gespürt, was es hieß, Wissenschaftler zu sein und kein Hampelmann, dessen Arbeit der Lächerlichkeit preisgegeben war, und da war es wieder, präsenter denn je. Er riß sich zusammen.

»Sie meinen Affen?«

»Ja, natürlich Affen.« Der schmale Brustkorb des Fragestellers wurde von einem heiseren Lachen geschüttelt. »Menschen werden Sie ja wohl kaum gefunden haben, oder?«

Spontane Heiterkeit im Saal. Besonders die Schöne an der Seite des Spitzbärtigen schien sich geradezu auszuschütten vor Lachen.

Axt wurde rot, versuchte dann aber mitzulachen. Die Sache wuchs ihm über den Kopf. Er war nicht gewohnt, soviel zu lügen, jedenfalls nicht, wenn es um seine Wissenschaft ging.

Mitte der letzten Woche hatten sie das Ergebnis der Altersbestimmung erhalten. Das Skelett war 48 bis 50 Millionen Jahre alt, wies also dasselbe Alter auf wie alle anderen Fundstücke in der Grube auch, ein Ergebnis, wie es in diesem Fall schlimmer nicht hätte ausfallen können.

Damit war die letzte Hoffnung dahin, noch eine einigermaßen vernünftige Erklärung für die Existenz dieses Gerippes zu finden. Es war und blieb eine einzige unerträgliche Verhöhnung ihrer Arbeit, ein reales Ding der Unmöglichkeit.

Schmäler schien damit besser fertig zu werden als er. Sein Optimismus war in keiner Weise erschüttert, und er hatte ihm mitgeteilt, er habe bei den Kollegen in München schon eine Kontrolluntersuchung in Auftrag gegeben. In Niedners Labor müsse irgend etwas schiefgegangen sein, vielleicht Verunreinigungen oder einfach ein Computerfehler. Das Ergebnis aus München würde die Sache sicher bald klären. Die hätten dort die bessere Laborausstattung.

Kontrolluntersuchung hin, Kontrolluntersuchung her, Axt war fertig mit der Welt. Was würden sie als nächstes finden? Einen fossilisierten Farbfernseher? Einen flachgepreßten PC?

Einfach lachhaft.

Als sich das Auditorium wieder beruhigt hatte, blieb ihm nichts weiter übrig, als die Frage zu beantworten.

»Haha, natürlich nicht.«

Doch, schrie es in seinem Kopf, doch, und was für ein Prachtexemplar. Er schluckte und rieb sich mit der Hand über die Mundwinkel. Dann hatte er sich wieder im Griff. »Bisher haben wir nur Fragmente einer Lemurenart gefunden. Wir erwarten da aber noch mehr.«

Allerdings, meldete sich wieder dieser Teufel in seinem Kopf, es ist schon da, es liegt in unserem Keller, samt Armbanduhr und Zahnkronen.

»Wie Sie vielleicht wissen, sind aus dem etwa gleich alten Ausgrabungsgebiet im Geiseltal in der Nähe von Halle fünf Primatenarten bekannt«, fuhr er fort. »Möglicherweise sind diese baumbewohnenden Tiere in Messel eher unterrepräsentiert, weil sie nur auf Umwegen in den See gelangen konnten.«

»Ja, das wäre natürlich eine plausible Erklärung. Ich danke Ihnen.«

Geschafft! Der Spitzbärtige ließ sich wieder auf seinen Sitz fallen, beugte sich kurz zu seiner Begleiterin hinüber und sagte irgend etwas. Sie nickte und warf Axt einen flüchtigen Blick zu.

Schubert ergriff das Wort und erlöste ihn.

»So, da ich keine weiteren Wortmeldungen mehr sehe, beende ich hiermit die Diskussion, danke unserem Referenten Herrn Dr. Axt und möchte Sie noch auf unseren Vortrag in der nächsten Woche hinweisen. Ich bin sicher, er wird ebenfalls auf großes Interesse stoßen. Prof. Riedl aus Wien wird über Evolutionäre Erkenntnistheorie sprechen. Ich bitte wieder um zahlreichen Besuch. Danke!«

Sofort entlud sich lautes Stimmengewirr, man hörte das Zurückklappen der Sitzflächen, das Schnappen von Aktentaschenverschlüssen. Die Spannung in Axt ließ langsam nach.

Das war wohl noch einmal gut gegangen. Er packte seine Unterlagen zusammen und bereitete sich innerlich auf den Ansturm der persönlichen Fragesteller vor, der nun zu erwarten war. Aus den Augenwinkeln sah er sie schon sternförmig auf ihn zukommen, aber es waren nicht so viele, wie er befürchtet hatte. Neben zwei, drei Wissenschaftlern, die ihm vielleicht nur die Hand schütteln oder sich verabschieden wollten, näherte sich ein unsicher und schlaksig wirkender, baumlanger junger Mann, wahrscheinlich ein Student. Kurz hinter ihm folgte eine hagere, dürre Gestalt mit unregelmäßigen Zähnen, die er grinsend präsentierte. Axt nahm etwas Schwärzliches, Blinkendes an seinem rechten Schneidezahn wahr, als er von rechts den Spitzbärtigen mit seiner Miss Universum im Schlepptau auf sich zuhumpeln sah.

Dumme Fragen

Das Bild des schillernden Prachtkäfers traf Micha wie ein Donnerschlag in finsterer Nacht. Plötzlich war er hellwach und saß kerzengerade, so als hätte ihm jemand mit einem Ruck eine Lanze durch den Rücken getrieben. Ohne daß er es wollte, gab er einen erstickten Laut von sich, so daß sich Karin und Detlef umdrehten und ihn fragend anschauten.

Natürlich hatte er das Bild nur kurz betrachten können, viel zu kurz, um Einzelheiten zu erkennen, aber die Ähnlichkeit mit dem Käfer von Tobias war erstaunlich. Er hatte bisher gar nicht gewußt, daß es, abgesehen von Bernsteineinschlüssen, überhaupt so gut erhaltene Insektenfossilien gab, geschweige denn, daß diese Käfer den modernen Formen so ähnlich waren.

Er nahm sich vor, nach der Diskussion zu Axt zu gehen und ihn darauf anzusprechen. Normalerweise hielt er nichts von diesen Typen, die, kaum war das letzte Wort verklungen, nach vorne stürzen und den erschöpften Referenten Löcher in den Bauch fragen mußten. In seinen Augen wollten sie sich nur wichtig machen. Aber er mußte versuchen, mehr über dieses Tier herauszubekommen.