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»Prof. Sonnenberg, es tut mit leid, aber Sie argumentieren wie ein Outsider, nicht wie einer von uns. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als verantwortungsvoll unsere Arbeit .«

»Was ist mit Ihren Fischen, Sie sind doch Ichthyologe, nicht wahr? Wie viele Arten von Buntbarschen gibt es heute im Viktoriasee? Sagen wir fünfhundert, und viele davon sind sich verdammt ähnlich. Wie viele würden Sie davon als echte, von anderen isolierte Arten ansprechen, wenn Sie nur die Fossilien hätten?«

»Es tut mir leid .«

Sonnenberg ignorierte ihn erneut. »Außerdem ... was würden Sie sagen, wenn ich behauptete, die Muschelarten hätten nur scheinbar eine so lange Lebenserwartung gehabt oder die Säuger eine so kurze. In Wirklichkeit sind die Muschelschalen nur ungleich ärmer an Merkmalen, mit denen sich eine Artunterscheidung begründen läßt, als ein aus mehreren hundert Knochen bestehendes Säugetierskelett. Die Zahl ihrer Arten .«

Axt sah flüchtig auf die Uhr. Er mußte bald aufbrechen. In einer guten Stunde ging sein Zug vom Bahnhof Zoo. Viel Konstruktives war hier wohl auch nicht mehr zu erwarten. Er atmete tief ein und streckte seinem Gastgeber beide Handflächen entgegen. »Also, lieber Professor, ich gebe mich geschlagen. Ich kapituliere auf ganzer Linie. Es tut mir leid, aber ich kann nur wiederholen, was ich vorhin schon gesagt habe: Sie reden wie einer, dem unsere Tätigkeit ein Dorn im Auge ist. Sie wissen doch genausogut wie ich, daß nicht wir, die Paläontologen, die Grenzen unserer Wissenschaft so eng gesteckt haben.« Er sagte das in der vagen Hoffnung, das Gespräch zu einem versöhnlichen Ende zu bringen und Sonnenberg keinen Anlaß zu weiterer Fundamentalkritik zu liefern. »Die Überreste, mit denen wir notgedrungen auskommen müssen, geben einfach nicht mehr her. Sie können eben an Knochen nicht die falschen Fragen stellen. Fossilien verhalten sich nun einmal nicht, zwitschern keine Lieder, tragen in der Regel keine bunten Federn oder Haare als Bestimmungshilfe. Wenn Ihnen das nicht gefällt, waren Sie als Paläontologe wohl kaum ein besonders glücklicher Mensch.«

»Nun seien Sie nicht so mimosig, mein Lieber! Ein kleiner Methodenstreit unter Kollegen hat noch niemandem geschadet. Alles, was ich sagen will, ist doch, daß wir uns unserer Grenzen bewußt bleiben müssen.«

»Das ist Ihnen gelungen.«

Axt fand es plötzlich gar nicht mehr seltsam, daß er bis vor wenigen Tagen noch nie etwas von einem Prof. Alois Sonnenberg gehört hatte. So viele von ihrer Sorte gab es ja nicht, und da war es schon erstaunlich, daß er hier jemanden kennenlernte, noch dazu an relativ exponierter Stelle, dem er noch nie begegnet war. Wenn alle seine Gespräche unter Kollegen so verliefen wie dieses, hatte Sonnenberg sich sicherlich nicht sehr beliebt gemacht über die Jahre und war möglicherweise völlig isoliert. Axt nahm sich vor, Schmäler nach Sonnenberg zu fragen. Die beiden stammten ja in etwa aus derselben Wissenschaftlergeneration. Vielleicht wußte er etwas über diesen seltsamen Kauz, von dem Axt nicht eine einzige Veröffentlichung kannte und keine Ahnung hatte, woran er überhaupt arbeitete. Er hatte ihn eigentlich danach fragen wollen, aber nun war das Gespräch ganz anders verlaufen, und in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit war es wohl besser, er verzichtete darauf.

»Sie schauen immerzu auf die Uhr. Haben Sie es eilig oder langweile ich Sie?«

Axt schreckte aus seinen Gedanken auf. »Nein, nein, Sie langweilen mich keineswegs. Es tut mir leid, ich wollte nicht unhöflich erscheinen. Ich muß nur die Zeit ein wenig im Auge behalten. Mein Zug geht in einer Stunde.«

»Was? Dann müssen Sie ja bald aufbrechen. Warum haben Sie denn das nicht früher gesagt? Ich dachte, wir essen noch gemütlich zusammen.« Sonnenberg war sichtlich enttäuscht. »Und da rede ich die ganze Zeit wie ein Wasserfall und betätige mich hier als Nestbeschmutzer sondergleichen. Was müssen Sie jetzt für einen Eindruck von mir haben.«

»Da machen Sie sich mal keine Sorgen, Herr Sonnenberg.« Axt winkte ab und lächelte. »Ihre Kritik ist ja größtenteils berechtigt.«

Sein Gastgeber machte ein betroffenes Gesicht. »Ach, das sagen Sie jetzt nur, um mich zu beruhigen. Zu schade, daß Sie schon wegmüssen. Ich hatte gehofft, noch viel Interessantes über die Grube Messel zu erfahren, aus erster Hand sozusagen.«

»Das müssen wir leider auf ein anderes Mal verschieben.«

»Ich komme darauf zurück. Das ist eine Drohung. Sie müssen nämlich wissen, daß mich gerade das Eozän außerordentlich interessiert. Es muß wie das Paradies gewesen sein, glauben Sie nicht? Mitteleuropa hat sicherlich nicht sehr viel schönere Zeiten erlebt als diese. Und niemand kennt das europäische Eozän besser als Sie. Ihre Grube lag ja sozusagen mittendrin.«

Sonnenberg war wie verwandelt. Er wirkte unsicher und schien nun besondere Liebenswürdigkeit an den Tag legen zu wollen. »Sie müssen mir aber wenigstens erlauben, Ihnen etwas zu schenken, Dr. Axt. Darauf muß ich bestehen!« Er hielt ihm den Kunstharzblock mit dem mittelamerikanischen Prachtkäfer hin. »Hier, bitte! Keine Widerrede! Als kleine Entschädigung dafür, daß Sie sich so lange meine Monologe angehört haben. Ich wüßte wirklich niemanden, dem ich ihn lieber schenken würde.«

3

Die Falle

Das erbärmliche Quieken hatte er schon eine ganze Weile gehört, aber er konnte in der dichten Vegetation nicht ausmachen, von wo das seltsame Geräusch kam. Dann war er beinahe darüber gestolpert. Jetzt kniete der Mann in seinen kurzen Ledershorts neben dem spitzschnäuzigen Nagetier und versuchte, das kleine bissige Biest aus der Falle zu befreien.

Der Bügel war zwar zurückgeschnappt und hatte das Tier festgeklemmt und wohl auch verletzt, aber die Wucht des Aufpralls hatte nicht ausgereicht, um ihm das Genick zu brechen, dafür war es wohl doch zu groß. Trotzdem war es vielleicht schwer verletzt und zu geschwächt, um hier im Dschungel lange überleben zu können. Wer weiß, wie lange der kleine Kerl hier schon gefangen war.

Er überlegte, ob er das Tierchen töten sollte. Diese Nager, von denen es hier im Wald nur so wimmelte, schmeckten eigentlich nicht schlecht, aber wenn man nicht gerade kurz vor dem Verhungern war, gab es wirklich Besseres. Es war nicht allzuviel dran an ihnen, und auch die Felle waren zu klein, als daß er damit etwas Sinnvolles hätte anfangen können. Aber bevor es sich lange herumquälte, könnte er es auch mit einem kleinen Schlag seines Buschmessers erlösen.