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»Autsch«, schrie er auf, als ihn das kleine Mistvieh in einem Moment der Unachtsamkeit in die Hand biß. Es schien noch ganz gut bei Kräften zu sein. Er lutschte das Blut von seinem Handballen und hielt die Falle mit dem zappelnden Tier mit der Linken vom Körper weg. Dann setzte er die Falle wieder auf den Boden, drückte das Tierchen vorsichtig gegen den Fallenboden und bog den Bügel zurück. Es piepste und stemmte sich mit überraschender Kraft gegen seine Hand. Er packte es im Nacken und warf es auf den Boden. Raschelnd verschwand der Nager sofort im dichten Unterholz. Hoffentlich fiel er nicht gleich der erstbesten Schlange zum Opfer.

In der Ferne hörte man ein Rauschen, das langsam lauter wurde. Der Mann schaute nach oben durch das dichte Blätterdach in die tiefhängenden dunklen Wolken. Regen, und er kam näher. Er mußte sich beeilen, wenn er von dem Unwetter nicht überrascht werden wollte. So ein Regenguß im Dschungel war kein Kinderspiel, keine kleine erfrischende Dusche, der man sich bei der hier herrschenden Hitze gerne aussetzte. Die extreme Feuchtigkeit und die von den Blättern abprallenden feinen Sprühwassertropfen bildeten schnell einen dichten Nebel, durch den man kaum ein paar Meter weit sehen konnte und Gefahr lief, völlig die Orientierung zu verlieren, auch wenn man sich so gut auskannte wie er. In diesem diffusen Licht sahen dann alle Pflanzen gleich aus, und hier gab es weit und breit nichts anderes als Pflanzen.

Er verstaute die leere Falle in seinem kleinen Lederrucksack, griff nach dem Buschmesser, das er auf dem Boden abgelegt hatte, und machte sich auf den Rückweg. Das Rauschen des Regens war zu einem bedrohlich klingenden Tosen angeschwollen, einem machtvollen Geräusch, das Klatschen von Millionen schwerer Wassertropfen auf breite sattgrüne Blattflächen, die sich den Raum in einem erbarmungslosen Wettkampf um Licht so optimal aufgeteilt hatten, daß der größte Teil des Regens gar nicht bis auf den Boden gelangte. Aber es würde immer noch reichen, um ihn in kürzester Zeit bis auf die Haut zu durchnässen.

Die Regenfront kam zu schnell. Innerhalb von Sekunden wurde es dunkel. Das Geräusch schwoll an wie ein Trommelwirbel, und plötzlich war er in einen dichten Vorhang von Wassertropfen gehüllt. Er mußte einen Unterschlupf finden, schnell. Er schaute sich suchend um und entdeckte ganz in der Nähe eine Palme und einen der schirmförmigen Baumfarne, deren Wedel zusammen ein dichtverflochtenes Dach bildeten.

Das war ein guter Platz, um abwarten, bis der schlimmste Guß vorüber war. Es konnte Stunden dauern. Er war es gewöhnt, lange Zeit zu warten, fast bewegungslos auf einem Fleck auszuharren. Geduld war eine Tugend, die er hier gelernt hatte.

Er hockte sich dicht neben den wie behaart aussehenden Stamm des Baumfarns auf den Boden und holte sich ein Stück Trockenfleisch aus seinem Rucksack. Nein, das Warten machte ihm nichts aus. Außerdem hatte er genügend Stoff zum Nachdenken. Während ihm einzelne dicke Tropfen auf die Krempe seines Hutes fielen und er langsam auf dem zähen Fleisch herumkaute, betrachtete er nachdenklich die Falle, aus der er den Nager befreit hatte. Es war eine normale Mausefalle, wie man sie überall kaufen konnte, vielleicht etwas größer und moderner als die, die sein Vater früher immer benutzt hatte, wenn er in der Speisekammer Mäusekötel entdeckt hatte.

Was ihn beschäftigte, war aber nicht sosehr die Konstruktion der Falle, sondern die Tatsache, daß sie nicht von ihm stammte. Hier trieb sich noch jemand herum, jemand, den er nicht kannte und der kleinen Tieren mit Fallen nachstellte. Das war neu und beunruhigte ihn wesentlich mehr als der Tropenregen, der nun mit voller Heftigkeit auf das Blätterdach des Dschungels niederging.

Der Plan

»Hallo, Micha, schön, daß du anrufst. Was gibt’s denn? Ich wollte gerade aus dem Haus.«

»Ich muß dich sofort sprechen.«

»Heute noch?«

»Oder morgen, jedenfalls so bald wie möglich.«

»Ja ... gut, heute nachmittag hätt ich Zeit, so gegen vier.«

»Okay. Und wo?«

»Komm doch zu mir. Worum geht’s denn?«

»Um deine beschissenen Mitbringsel!« schrie Micha in den Hörer. Was hatte der Kerl nur aus ihm gemacht? Seine wiedergewonnene Selbstbeherrschung war offenbar nur ein dünnes Häutchen, das bei der geringsten Erschütterung riß.

»Wird ja auch Zeit. Du hast ne ganz schön lange Leitung, das muß ich schon sagen. Hab schon viel früher mit dir gerechnet.«

Micha biß die Zähne zusammen und ignorierte Tobias’ Bemerkungen.

»Bis später.«

»Ja, ich erwarte dich.«

Gegen Mittag rief Claudia an und erkundigte sich nach seinem Befinden. Er hatte mit so etwas gerechnet und sich für diesen Fall eine ziemlich windige Erklärung zurechtgelegt, etwas von einem Referat, das er bis morgen fertiggestellt haben müßte und das ihm schreckliches Kopfzerbrechen bereitete. Deshalb sei er in der Bibliothek so nervös gewesen. Claudia schien das zu schlucken, jedenfalls bohrte sie nicht weiter nach und wünschte ihm nur viel Erfolg. Sie sagte noch, er solle doch mal wieder bei ihr vorbeikommen, und außerdem könnte er ihr bei Gelegenheit einmal seine Fossiliensammlung zeigen. Sie fände das sehr aufregend. Er war heilfroh, als sie endlich auflegte.

Den Rest des Tages verbrachte er damit, dem Treffen mit Tobias entgegenzufiebern. Er befand sich in einem eigentümlichen Schwebezustand zwischen Wachen und Träumen. Selbst die alltäglichsten Verrichtungen schienen ihm plötzlich tiefere Geheimnisse zu bergen. Seine beiden Mitbewohner, denen er nur kurz beim Frühstück begegnet war, warfen sich vielsagende Blicke zu: zu tief ins Glas geschaut oder frisch verliebt.

Gegen zwei Uhr hielt er es nicht mehr aus und machte sich auf den Weg. Er fuhr eine große Schleife durch die Stadt, um nicht allzufrüh bei Tobias einzutreffen, und stand kurz nach drei vor dessen Wohnungstür.

»Ah, Tag Micha, da bist du ja schon. Komm rein!«

Ohne ein Wort zu sagen, betrat er die Wohnung. Am liebsten wäre er Tobias sofort an die Gurgel gesprungen, hätte ihn gewürgt und hin und her geschüttelt und gefragt, was er sich dabei gedacht habe, warum er aus einem ausgeglichenen und friedliebenden Menschen wie ihm ein einziges Nervenbündel gemacht habe, ob ihm so etwas Spaß mache. Aber er tat nichts dergleichen.

Gleich neben der Wohnungstür befand sich der Eingang zur Küche, und, ohne zu zögern, nahm er an dem kleinen, quadratischen Küchentisch Platz, kramte seine Zigaretten aus der Lederjacke und zündete sich eine an.

»Magst du einen Kaffee oder lieber Tee?« fragte Tobias und machte sich am Herd zu schaffen.

»Kaffee!« antwortete Micha und versuchte ruhig zu bleiben.

Tobias setzte Wasser auf und füllte ein paar Löffel Kaffeepulver in eine weiße Kanne.

»Du hast also endlich herausgefunden, wo der Käfer und die Pflanze herstammen, ja?« Er warf Micha einen flüchtigen Blick zu, als er Zucker und Milch auf den Tisch stellte.

»Also ich muß dir sagen, daß ich anfangs total sauer auf dich war wegen dieses lächerlichen Versteckspiels, aber jetzt .« Er wollte so richtig Dampf ablassen, kam aber gleich wieder ins Stocken.

»Was ist jetzt?«

»Ach, ich weiß auch nicht. Ich blick nicht mehr durch.«

Tobias goß das Kaffeewasser in die Kanne und rührte mit einem Löffel eine Weile darin herum. »Was hast du denn nun herausgefunden?« Er schaute erwartungsvoll.

»Sie stammen nicht aus der Slowakei.«

»Hmm . Dafür hast du so lange gebraucht?«

»Scheiße, jetzt mach mich bloß nicht an, ja!« brüllte er, und Tobias hob beruhigend die Hände.

»Micha, was hätte ich denn tun sollen, he? Wenn ich dir einfach nur erzählt hätte, woher sie stammen, hättest du es mir dann geglaubt?«

»Was geglaubt?«

»Na, daß sie aus der Vorzeit stammen. Aus dem Eozän, um genau zu sein.«

Jetzt war es heraus! So deutlich hatte er es für sich bisher nicht zu formulieren gewagt. Er hielt sich unwillkürlich die Hände über die Ohren, und sein ganzer Körper verkrampfte sich.