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»Aber das ist unmöglich!«, rief er.

»Wieso unmöglich? Du hast den Käfer doch selbst gesehen.«

»Den kannst du in einem Laden gekauft haben, in diesem Naturaliendingsda.«

Tobias schüttelte lächelnd den Kopf.

»Oder du warst gar nicht in der Slowakei, sondern irgendwo in den Tropen, in Indonesien, oder weiß der Himmel.«

»Nein. Du glaubst doch selbst nicht, was du da sagst.« Er schaute ihn eindringlich ein. »Ich war in der Slowakei, und ich bin in die Höhle gefahren.«

»Was für eine Höhle?«

Micha sprang auf, saugte gierig an seiner Zigarette und lief in der Küche auf und ab. Tobias stellte Kaffeekanne, Milch, Zucker und zwei Tassen auf ein Tablett und sagte: »Komm, wir trinken unseren Kaffee drüben. Da ist es gemütlicher.«

Micha folgte ihm durch die Diele in ein Zimmer, das von der tiefstehenden Sonne hell erleuchtet war. Kaum trat er über die Türschwelle, blieb er wie angewurzelt stehen.

»O Gott!« entfuhr es ihm.

Das ganze Zimmer wimmelte von Dinosaurierfiguren in allen Größen, Formen und Ausführungen, Dinosaurier aus Metall, aus Plastik, aus Holz und Stein, als Radiergummi, Briefbeschwerer oder Buchstopper, in toto oder als Skelett, wie das fast brusthohe Holzgerippe eines auf den Hinterbeinen laufenden Fleischfressers, das direkt neben dem Kachelofen in einer Zimmerecke stand. An den Wänden hingen alte Filmplakate mit grellen Darstellungen diverser Ungeheuer sowie Ausschnitte aus verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften.

»Hab ich so zusammengetragen über die Jahre«, sagte Tobias.

»Da hast du in letzter Zeit ja Schwerstarbeit verrichten müssen.«

»Wieso? Wegen dem Film?«

»Klar.«

Tobias saß jetzt an einem kleinen runden Tisch neben dem Fenster, von wo aus er amüsiert und mit unverhohlenem Stolz verfolgte, wie Micha an den von Saurierfiguren überquellenden Regalbrettern entlangging. »Nein, nein, da bin ich nun doch ein bißchen zu alt für«, sagte er. »Das meiste ist uralter Kram, aber ich bring’s nicht übers Herz, ihn wegzuschmeißen. Ich häng dran.«

Zwischen den vielen kleinen Drachen entdeckte Micha nun auch andere Sammelstücke: Versteinerungen, Ammoniten, einen kleinen Trilobiten, Abdrücke von Farnwedeln und Blättern, Bernsteinbrocken, Muschelschalen und Schneckengehäuse, kleine Kristalle in den verschiedensten Farben und schließlich auch ein Exemplar jenes ominösen, ebenfalls in Kunstharz eingeschlossenen Prachtkäfers, was ihm in aufdringlicher Weise wieder den Grund seines Besuches in Erinnerung rief. Er hatte es plötzlich überhaupt nicht mehr eilig, darüber zu reden.

»Macht wohl etwas Mühe beim Staubwischen, der ganze Scheiß, hm«, sagte er.

Tobias lachte. »Freut mich, daß du deinen Humor wiedergefunden hast. Komm, der Kaffee wird kalt. Milch, Zucker?«

»Nein, schwarz«, erwiderte er und setzte sich endlich, ohne seine Augen von den zahllosen Ausstellungsstücken abwenden zu können.

»Also, jetzt mal im Ernst, du weißt, daß es stimmt, was ich sage, oder?«

»Wissen, wissen«, sagte Micha spöttisch. »Wie kann man so etwas Verrücktes schon wissen? Es würde einiges erklären . aber glauben kann ich es nicht.«

Er griff nach seiner Tasse und rührte mit dem Löffel gedankenverloren darin herum, bis ihm der heiße Kaffee auf die Hose schwappte.

»Mist!«

»Da kannst ja zweifeln, solange du willst, Micha, aber ich sage dir: Es stimmt! Ich war da. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.« Von irgendwoher zauberte er das Bild mit der Höhle hervor, das Micha schon an dem Abend in der Kneipe gesehen hatte, und legte es vor Micha auf den Tisch. »Es gibt diese Höhle, und sie führt in die Urzeit, ob du ‘s glaubst oder nicht.«

Er saß ganz entspannt auf seinem Stuhl, ein spindeldürres Bein über das andere geschlagen, hielt zwischen beiden Händen seine Kaffeetasse und machte ganz und gar nicht den Eindruck, als habe er irgendeine Vorstellung davon, welche Ungeheuerlichkeit er da gerade behauptet hatte.

»Wie kannst du erwarten, daß ich das glaube?« Micha schüttelte den Kopf. »Es ist so . so .«

»Was willst du denn noch? Ich habe dir die Beweise doch geliefert.«

»Beweise, ha!« Micha stellte die Tasse ab und ging in die Küche, um seine Zigaretten zu holen, die er dort auf dem Tisch liegengelassen hatte. »Das reicht mir nicht«, rief er von dort in Richtung Saurierzimmer.

»Welche Beweise würdest du denn akzeptieren?« fragte Tobias, als Micha mit Zigaretten und Aschenbecher zurückkam.

»Ich weiß nicht, ich ... vielleicht müßte ich es sehen.«

»Ja!« rief er. »Genau das will ich doch, Mensch. Ich will zusammen mit dir in die Höhle. Was meinst du, was das alles sonst für einen Zweck hatte?«

»Bist du verrückt?« Ihm krampfte sich bei dieser Vorstellung alles zusammen.

»Ich denke, du willst es selbst sehen?«

»Ja, aber .«

So ging es noch eine ganze Weile. Er wollte es sehen, aber er wollte es auch wieder nicht sehen. Er glaubte kein Wort von der Geschichte, und irgendwie wünschte er doch, sie wäre wahr. Er war hin und her gerissen.

Und Tobias? Was war das eigentlich für ein Mensch, der ihm da gegenübersaß und seinen Kaffee schlürfte. Ein Wahnsinniger, ein infantiler Bekloppter, der es bis heute nicht geschafft hatte, sich von einer fixen Kindheitsidee zu lösen? Ein Besessener, ein hoffnungsloser Fall, der ihn nun auch in seine Wahnwelt hinabziehen wollte? Man mußte sich ja hier nur einmal umsehen, all dies unsägliche Zeug, wie das Zimmer eines Zehnjährigen.

Micha war immer noch völlig verkrampft, jeder Muskel seines Körpers arbeitete, und er hampelte dauernd auf seinem Stuhl herum, weil er nicht wußte, wie er sich hinsetzen sollte.

»Ich schaff es nicht alleine, Micha. Ich will ganz ehrlich sein: Ich hatte solchen Schiß, daß ich mir vor Angst fast in die Hosen gemacht hätte. Im eozänen Dschungel bin ich umgekehrt. Ich hab’s einfach nicht mehr ausgehalten.«

Wie das klang, im Eozän umgekehrt, als sei dies irgendeine geographische Angabe. Dabei war es ein Erdzeitalter, eine Adresse in der Zeit, 50 Millionen Jahre her, eine unfaßbare Zeitspanne. Jedes Kohlenstoffatom, jedes Wassermolekül hatte seitdem wahrscheinlich schon unzählige Male im globalen Kreislauf zirkuliert, nichts war mehr übrig von den Lebewesen dieser Zeit, außer einigen spärlichen Überresten in Form plattgedrückter, von vielen Tonnen Gestein zusammengepreßter Skelette.

»Du willst mir doch wohl nicht im Ernst weismachen, daß diese Höhle in die Urzeit führt und irgend etwas mit dem Film zu tun hat, den wir damals gesehen haben«, sagte Micha.

»Du meinst Die Reise in die Urwelt?« Er lachte. »Natürlich nicht, für wie blöd hältst du mich eigentlich? Das ist einfach nur ein verrückter Zufall, nichts weiter. Ich bin da herumgefahren und stand plötzlich vor diesem Loch im Berg. Natürlich mußte ich in diesem Moment auch an Zemans Film denken, aber er hatte sicher nicht die leiseste Ahnung, wie nah er damit der Wirklichkeit gekommen war. Außerdem sieht Zemans Höhle ganz anders aus.«

Irgendwie hätte es ihn gereizt, da hineinzufahren, erzählte Tobias. Vielleicht habe die Erinnerung an den Film dabei auch eine Rolle gespielt, aber für einen angehenden Geologen besäßen Höhlen auch so eine unwiderstehliche Anziehungskraft. Er hatte sogar ein Kunststoffboot gekauft, das dort auf sie warten würde. Eine Petroleumlampe sei auch vorhanden. Alles sei vorbereitet.

Er redete lange auf ihn ein.

Die Leute in der Gegend seien sehr zugeknöpft gewesen, wenn er die Sprache auf die Höhle brachte. Unter den Einheimischen in der unmittelbaren Umgebung, offensichtlich ziemlich abergläubische Leute, galten die Höhle und der angrenzende Wald als verrufenes Gebiet, in das man sich nicht gerne hineinwagte. Nur ein zahnloser Alter habe ihm mehr erzählt. Im Flüsterton sprach er von der Teufelshöhle, die, solange man denken könne, immer wieder Opfer gefordert habe. Leute seien hineingefahren und für immer verschwunden. Tobias erzählte, ein Neffe des Alten habe zwar alles in ein englisch-deutsches Mischmasch übersetzt, dabei aber immer wieder mit der Hand vor seinen bebrillten Augen hin und her gewischt, wohl um anzudeuten, daß der Alte übergeschnappt sei und man sein Gefasel nicht ernst nehmen sollte.