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»Ungewöhnlich«, war ihr erster Kommentar. Genau dasselbe hatte er auch gesagt, als Tobias ihm von seinen Plänen erzählt hatte, damals in dem Cafe.

»Und was wollt ihr da machen?« fragte sie.

»Na, rumreisen, Ski fahren, wandern, lesen, was man halt so macht im Urlaub. Du stellst vielleicht Fragen.«

»Hmm.« Sie schaute ihn, an ihrem Bier nippend, mit großen Augen an. »Is das derselbe Freund, der dir die Pflanze mitgebracht hat?«

»Ja, Tobias, warum?«

»Ach, nur so. Und wo genau wollt ihr da hin?«

Komisch, das wußte er selbst nicht. Tobias hatte mit keinem Wort erwähnt, wo diese seltsame Höhle lag. Bisher hatten sie nur Bahnkarten nach Prag gekauft. Daß das, was sie suchten, wie in dem Film eine Höhle sein sollte, fand er irgendwie phantasielos. Es hätte doch etwas anderes sein können, ein Vulkan wie bei Jules Verne oder ein Mahlstrom wie bei Poe.

»Hohe Tatra«, sagte er aufs Geratewohl, weil ihm diese Gegend noch irgendwie in Erinnerung war.

»Ach so, ja, davon habe ich auch schon gehört. Da kommen die slowakischen Wintersportler her.«

Sie saßen einige Minuten schweigend da, und er rauchte und versenkte sich in den Anblick ihrer neuen blonden Stoppelfrisur. Sie hatte früher schulterlange, sehr lockige Haare gehabt und trug seit ein paar Tagen einen ziemlich radikalen Kurzhaarschnitt.

»Stehen dir gut, die Haare, meine ich.«

»Findest du?« Sie fuhr sich mit der Hand durch die Stoppeln und lachte. »Ist noch sehr ungewohnt.«

»Das glaub ich.«

»Hat dir dein Freund eigentlich mal erzählt, wo er die Pflanze nun her hatte, die du mir gezeigt hast?« fragte sie plötzlich. Er erschrak fürchterlich.

»Ach so, die Pflanze, ja, haha, die . die stammte tatsächlich von da unten.«

»Von wo unten?«

»Na, aus Indonesien, wie du gesagt hast. War wirklich nur ein dummer Scherz von ihm.«

»Das kann man wohl sagen. Aber sonst versteht ihr euch gut, ja?«

»Och, ja, klar.«

»Ich frag nur, weil du doch ziemlich sauer auf ihn warst, wenn ich mich recht erinnere. Und jetzt willst du plötzlich mit ihm verreisen. Ist doch irgendwie seltsam, findest du nicht?«

»Wir haben uns eben wieder vertragen«, erwiderte er kurz angebunden. Er sah ihr an, daß sie ihm kein Wort glaubte.

»Na, ich wünsche euch jedenfalls viel Spaß zusammen«, sagte sie noch. »Hoffentlich schlagt ihr euch nicht gegenseitig die Schädel ein, wenn deinem Freund noch mehr so merkwürdige Scherze einfallen.«

Enameloid von Prionace

Axt saß an diesem trüben Februartag schon sehr früh an seinem Schreibtisch in der Station, weil er versuchen wollte, endlich den Artikel fertig zu schreiben, mit dem er sich nun schon seit Wochen herumquälte. Früher ging ihm so etwas leichter von der Hand. Neben ihm lagen Stapel von dicken Büchern und Fotokopien von Fachaufsätzen, und ihm kam plötzlich der Gedanke, daß er schon seit Ewigkeiten kein normales Buch mehr gelesen hatte. Er las überhaupt nichts anderes mehr als dieses trockene Fachchinesisch mit Titeln, die jedem normalen Menschen wie Überschriften irgendwelcher mystischer Geheimliteratur erscheinen mußten, Titel wie »Vergleichende Osteologie und Phylogenie der Anabantoidei«, »Enameloid von Prionace« oder etwas in der Richtung. Klar, sein Spezialgebiet waren die Fische, und so lauteten heute nun einmal die Überschriften wissenschaftlicher Veröffentlichungen, aber das, was ihm seit Jahren vertraut war, kam ihm plötzlich reichlich absurd vor.

Er mußte grinsen. Früher war das anders. Karl von Frisch, der berühmte Bienenforscher, hatte in den zwanziger Jahren einmal einen Artikel mit dem genialen Titel »Ein Zwergwels, der kommt, wenn man pfeift« veröffentlicht. Dabei handelte es sich sogar um eine angesehene Fachzeitschrift. So etwas würde heute kein Mensch mehr wagen. Auch wenn es in modernen Veröffentlichungen um ganz einfache Dinge ging, mußten sie hinter möglichst kryptischen Titeln verborgen werden. Geschadet hatte es von Frisch offensichtlich nicht. Jahre später bekam er den Nobelpreis, allerdings nicht für seine Arbeit über den folgsamen Zwergwels.

Vielleicht sollte er es auch einmal in dem Stil versuchen. »Ein 50 Millionen Jahre alter Fisch, der nicht stinkt, wenn man ihn ausgräbt« wäre doch nicht schlecht. Oder: »Über Ölschiefer, der weder Öl noch Schiefer enthält, dafür aber jede Menge anderer interessanter Sachen«. Er lachte in sich hinein.

»Na, dir scheint’s ja gut zu gehen«, sagte Sabine, die mit der Stationspost in der Hand am Türpfosten lehnte. »Freut mich! Ehrlich! Ich hab dich schon ewig nicht mehr lachen hören.«

»Unsinn«, erwiderte Axt. »Du mußt dich täuschen.«

»Nein, nein, das kannst du dir von einer alten Freundin ruhig einmal sagen lassen.« Sie legte ihm die Post auf den Schreibtisch. »Hier, vielleicht findest du ja da noch etwas, worüber du dich amüsieren kannst.«

Axt schaute ihr lächelnd hinterher, als sie den Raum verließ. Dann ging er den Poststapel durch und stieß auf einen großen Briefumschlag mit dem Absender des Geologischen Instituts. So wie sie hier in Messel hatten wohl auch die Geologen die Wintermonate dazu genutzt, um endlich Daten auszuwerten und zur Veröffentlichung vorzubereiten, denn der Umschlag enthielt einen Artikel, den Niedner und seine Mitarbeiter für eine geologische Fachzeitschrift geschrieben hatten. Er faßte die ersten Ergebnisse ihrer Untersuchungen in Messel zusammen.

Auf Seite drei war eine Karte der Grube abgedruckt. Darüber hatten sie ein schachbrettartiges Raster gelegt. In den Kreuzungspunkten befanden sich jeweils die Bohrlöcher. Irgendwo in der Nähe des steilen Grubenrandes, da, wo die Linien II oder III langführten, mußte das große Krokodil liegen. Es war wirklich ein bemerkenswert großer Wirbel, und alle waren in heller Aufregung gewesen. Axt schätzte, daß das vollständige Tier mindestens drei Meter lang sein mußte. Gegen seinen erbitterten Widerstand hatten die anderen das Krokodil auf den Namen Messi getauft. Er bekam jetzt noch eine Gänsehaut, wenn er daran dachte. Messi, so ein Unsinn.

Sie hatten damals lange diskutiert, was sie tun sollten. Das Skelett lag etwas abseits ihrer augenblicklichen Grabungsstellen. Sie gingen natürlich nach einem bestimmten Plan vor, gruben nicht wahllos mal hier, mal dort, sondern tasteten sich systematisch voran. Das Gebiet, in dem sie das Krokodil vermuteten, wäre eigentlich erst sehr viel später an die Reihe gekommen, und sie hätten die gesamte Planung umstellen müssen, wenn sie es sofort aus dem Schiefer holen wollten. Also beschlossen sie nach Rücksprache mit Schmäler, das Skelett zunächst dort zu belassen, wo es war. Schließlich gab es keinen sichereren Aufbewahrungsort als den Messeler Schiefer, in dem das Fossil schon die letzten 50 Millionen Jahre überdauert hatte.

Plötzlich fiel ihm auf, daß das Riesenkrokodil unmittelbar neben der Stelle lag, wo die Belgier letztes Jahr gegraben hatten. Es hätte nicht viel gefehlt und die Kollegen aus Brüssel wären mit einem wirklich spektakulären Fundstück nach Hause gefahren. Na ja, dicht daneben ist auch vorbei, dachte Axt und schnaubte kurz durch die Nase.

Er mochte Prof. Lenoir und seine Mitarbeiter. Sie kannten sich seit vielen Jahren. Aber auch die kollegialste Zusammenarbeit hatte irgendwo ihre Grenzen. Als die Belgier einmal bei einer einzigen Grabungskampagne eine unverschämte Glückssträhne hatten und nicht weniger als fünfzehn vollständige Fledermausskelette zu Tage beförderten, bekam Sabine einen schweren Heulkrampf und war danach tagelang nicht mehr ansprechbar. Und Axt konnte es ihr wirklich nicht verdenken. Er war entschieden der Meinung, daß die wichtigsten ihrer Fundstücke hier in Deutschland zu bleiben hatten. Dieses Krokodil hatte hier gelebt, war hier gestorben und sollte nun auch der hiesigen Wissenschaft und Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.