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»Na, habt ihr etwas Interessantes entdeckt?«

Herzogs Silhouette zeichnete sich im Höhleneingang ab.

Claudia, die gerade das Foto in der Hand hielt, deponierte es erschreckt wieder an Ort und Stelle. »Wir dachten, Sie hätten nichts dagegen, wenn wir uns etwas umsehen«, sagte sie kleinlaut.

»Hier gibt es sowieso nichts Besonderes, für jemanden wie euch, der aus der Zivilisation kommt, meine ich.« Er trat hinein und legte Gewehr und Lederbeutel neben der Tür ab.

»Sie und Ihre Frau?« Claudia deutete auf das Foto.

»Ja.«

»Hat Sie mit Ihnen hier gelebt?« fragte Tobias.

»Um Gottes Willen, nein.« Er lachte trocken. Es klang, als schüttele man eine Rassel. »Das hätte sie nie gewollt, nein, bestimmt nicht. Sie ist schon lange tot.«

»Das tut mir leid«, sagte Claudia leise, noch immer auf das Foto blickend.

Tobias pulte gelangweilt an dem trockenen Lehmverband herum.

»Tut dir denn der Arm gar nicht mehr weh?« fragte Claudia ungläubig.

»Doch, sicher, hin und wieder schon.«

»Er lügt«, sagte Herzog schmunzelnd. »Er hat noch große Schmerzen, und das wird auch noch eine Weile so bleiben. In den nächsten Tagen müssen wir den Arm noch einmal anschauen und den Lehmverband erneuern. Er hält nicht so lange wie Gips.«

Tobias sagte nichts, verzog nur das Gesicht.

»Übrigens, für heute und morgen überlasse ich dir noch einmal mein Bett. Aber danach mußt du auf dem Boden schlafen wie deine Freunde.«

»Alles klar. Kein Problem. Ich kann heute nacht schon auf dem Boden schlafen. Wirklich! Ich will Sie doch nicht aus ihrem Bett vertreiben.«

»Heute und morgen noch«, sagte Herzog nur und lächelte in seinen Bart hinein. »Ihr könnt mich ruhig Ernst nennen.«

Die Sonne war schon untergegangen, und es wurde kühl. Licht gab es hier natürlich keines, und so beeilten sie sich, ihre Schlafgelegenheiten herzurichten, solange es hell war. Später zeigte ihnen Herzog seine kleine Öllampe, die er aber nur benutzte, um abends an seinem Schreibtisch arbeiten zu können. Das Öl, das er aus den Früchten einer Palme gewann, die unten in der Savanne wuchs, war einfach zu kostbar. Auch mit dem Holz für seine Kochstelle war er sehr sparsam, da er jedes einzelne Holzscheit hierherauf zur Höhle schleppen mußte.

Das gleiche galt in noch viel strengerem Maße für das Wasser. Da verstand Herzog keinen Spaß. Immer wieder schärfte er ihnen ein, sparsam mit Wasser umzugehen, und als sie später einmal den gut anderthalbstündigen Marsch zum Fluß hinunter übernommen und die wassergefüllten, schweren Eimer dann wieder zurückgeschleppt hatten, wußten sie, warum.

Die nächsten Tage verliefen ereignislos, wenn man einmal davon absah, daß sie durch ihre Gespräche immer mehr über Herzog erfuhren und Tobias von Stunde zu Stunde schlechter gelaunt wurde, weil er sich eingesperrt fühlte. Tagsüber, wenn Herzog weg war - meistens arbeitete er in seinem Garten oder ging auf die Jagd und kehrte dann am späten Nachmittag mit seiner Beute und dem frischem Gemüse heim, das er geerntet hatte -, machten Micha und Claudia mit Pencil kurze Streifzüge in die nähere Umgebung der Höhle und versuchten ansonsten, Tobias bei Laune zu halten, der, wenn er nicht schlief, die meiste Zeit über vor der Höhle saß und mit dem Fernglas nach Großtieren Ausschau hielt. Micha schrieb jeden Tag ein paar Seiten in sein Tagebuch und begann sogar, die eine oder andere Seite in einem von Herzogs Büchern zu lesen. Das Ganze nahm mehr oder weniger den Charakter einer Urlaubsreise mit Vollpension an.

Claudia und Micha benutzten die Gelegenheit, um unten am Fluß ihre dreckige Wäsche zu waschen. Es hatte sie große Überredungskunst gekostet, Tobias davon zu überzeugen, daß er besser oben an der Höhle bleiben sollte, wozu er natürlich gar keine Lust hatte. Letzten Endes war es wohl Herzogs Bemerkung, daß es da unten, wo er sie hinführen würde, keine Tiere gäbe, die ihn dann doch zum Bleiben veranlaßte. Es gab tatsächlich keine größeren Tiere an diesem kargen, sandigen Uferabschnitt, den Herzog ihnen zeigte, aber selbst, wenn es welche gegeben hätte, wären sie den beiden wahrscheinlich nicht aufgefallen. Sie waren einfach zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

Herzog erzählte ihnen in diesen Tagen, daß er schon fast zehn Jahre hier lebte. Zehn Jahre, eine unvorstellbar lange Zeit. Anfangs sei er ein paarmal hin- und hergefahren, um seine Ausrüstung hierherzuschaffen. Meistens habe er seine Einkäufe in Gegenden getätigt, wo man ihn nicht kannte. Jetzt sei er schon lange nicht mehr drüben gewesen. Er habe alles, was er brauche. Zu Hause galt er wohl als vermißt, aber es schien ihm ziemlich egal zu sein, was man dort über ihn dachte.

Nach dem frühen Tod seiner Frau, über dessen nähere Umstände nichts aus ihm herauszulocken war, hatte er den Entschluß gefaßt, der Zivilisation den Rücken zu kehren, endgültig, wie er sagte. Der ganze Wahnsinn ginge ihn jetzt nichts mehr an. Die Apokalypse werde auch ohne ihn stattfinden, und er würde den anderen nur ihren Spaß dabei verderben. Er wollte sich hier ausschließlich seinen Studien widmen. Etwas anderes interessierte ihn nicht mehr. Im Grunde sei er natürlich Dinosaurierforscher, wie sie ja wüßten, aber das Tertiär sei schließlich auch nicht schlecht. Er habe keinen Grund, sich zu beklagen. Sollte er natürlich irgendwann einmal über ein Schlupfloch ins Erdmittelalter stolpern, werde er sofort umziehen, sagte er und lachte dabei aus vollem Hals, das erste Mal, solange sie ihn kannten.

Das alles klang so einfach und konnte doch nur die halbe Wahrheit sein. Von der Höhle hatte er wie sie durch Sonnenberg erfahren, den er damals schon seit vielen Jahren gut gekannt hatte - die beiden waren Studienkollegen -, der aber wohl nichts davon ahnte, welche Verwendung Herzog von seinem Geheimnis gemacht hatte. Herzog bat sie eindringlich, es dabei zu belassen und ihm auch nach ihrer Rückkehr nichts davon zu erzählen.

Ihm sei hier im Laufe der Jahre übrigens niemand begegnet, erzählte Herzog weiter. Er sei darüber nicht besonders traurig, denn die meisten würden sicher nur irgendwelche sensationellen Abenteuer suchen. Er ließ an möglichen Besuchern kaum ein gutes Haar, so daß Micha sich fragte, warum er zu ihnen so freundlich war.

Im Gegenzug erzählten sie ihm von der Cola-Dose und der Feuerstelle, die sie am Fluß gefunden hatten, und er zeigte sich außerordentlich interessiert.

»Tja, eigentlich wollte ich es euch ja schon lange erzählen.« Er zupfte nachdenklich an seinen Barthaaren herum. »Es gibt hier nämlich noch jemanden«, sagte er fast im Flüsterton und erzählte ihnen von den Fallen, die er gefunden hatte.

Ich komme mir vor wie Darwin nach seinem Ausflug auf die Galapa-gosinseln oder dem Fund eines fossilen Riesenfaultiers, wenn ich das hier niederschreibe. Was hatte ich nur für unsinnige, verquere Vorstellungen im Kopf. Gestern habe ich mich lange mit Claudia und Tobias darüber unterhalten. Sie hatten sich schon ähnliche Gedanken gemacht. Anscheinend drängen sich solche Ideen hier geradezu auf. Auch mit Herzog haben wir darüber geredet, und dabei ist er spürbar aufgetaut.