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Verlegen ruckelte er auf seinem wackligen Hocker hin und her. Man sah ihm an, daß er sich nicht ganz wohl fühlte in seiner Haut.

»Wenn ihr versucht, allein den Wald zu durchqueren, werdet ihr mit größter Wahrscheinlichkeit scheitern. Im günstigsten Falle werdet ihr viel Zeit verlieren, und das in einer ziemlich ungemütlichen Gegend. Das ist auf Dauer kein Ort für Menschen. Eigentlich dachte ich, ihr hättet das endlich begriffen. Im ungünstigsten Fall werdet ihr nie zurückkehren, werdet irgendwo jämmerlich verrecken. Es sei denn .«

»Ja?« fragte Tobias gespannt.

»Es sei denn, ich komme mit.«

»Hey, das wäre Spitze, Mann!« In Tobias’ Gesicht kehrte wieder die Farbe zurück.

»Das würdest du tun?« fragte Claudia.

»Sonst würde ich es nicht sagen. Allerdings ...« Er zog an seiner Pfeife. »Ich sag’s ganz ehrlich. Ich will, daß ihr von hier verschwindet, je eher, desto besser. Außerdem hat Michael ganz recht. Tobias’ Arm muß in einem vernünftigen Krankenhaus behandelt werden. Wenn ihr auf eigene Faust weitermachen wollt, bitte, aber in diesem Fall könnt ihr nicht auf meine Hilfe zählen. Ich meine es ernst. Ich werde keinen Finger rühren, wenn ihr da drinnen verfault, ist das klar?« Wieder diese Blicke. Ihr habt keine Chance. »Mein Angebot ist folgendes: Ihr zeigt mir den Baum mit den Stoffhauben, den ihr gesehen habt, und ich führe euch in den Dschungel, in ein wunderschönes Gebiet, das ihr alleine nie finden würdet. Danach will ich euch hier nicht mehr sehen, dann müßt ihr zurück.«

Tobias stieß verächtlich die Luft aus und blickte demonstrativ zur Seite.

»Okay, ich bin einverstanden«, sagte Micha schweren Herzens. Ihm wäre eine direkte Heimreise ohne weitere Dschungelausflüge lieber gewesen. Aber wenn es denn nicht anders ging .

»Ich auch«, sagte Claudia.

Tobias sprang auf und verschwand in der Dunkelheit. Es dauerte eine halbe Stunde, bis er wieder auftauchte und zähneknirschend zustimmte.

Nicht auszudenken, was aus ihnen geworden wäre, wenn sie diesen Mann nicht getroffen hätten. Zuerst der Unfall von Tobias und jetzt diese Streiterei. Wer weiß, vielleicht wären sie wirklich irgendwann über einander hergefallen. Micha war jedenfalls sicher, daß er Tobias’ Anblick nicht mehr lange ertragen konnte.

Zwei Tage später packten sie ihre Sachen, stiegen zu Fuß in die Ebene hinunter und liefen dann in einem schrägen Winkel auf den Fluß zu, an dessen Ufer sie ein erstes Lager aufschlugen.

Tobias war den ganzen Tag über mufflig und schlecht gelaunt gewesen, schien sich aber mit seiner Niederlage abgefunden zu haben. Am Abend, als sie in der Dämmerung um das Feuer herumsaßen, entspann sich eine Diskussion über die Kambrische Explosion.

»Die was?« fragte Claudia.

»Kambrische Explosion, so nennt man das plötzliche Auftreten zahlreicher neuer Tiergruppen etwa 570 Millionen Jahre vor eurer Zeit«, erläuterte Herzog. »Sie hatten erstmals Hartteile, aus Kalk oder Chitin, die sich als Fossilien überliefern konnten.« Micha fand es befremdlich, daß er von »eurer Zeit« sprach, so als rechnete er sich nicht mehr dazu. Er tat das nicht zum erstenmal.

»Schlagartig erschienen fast alle Tierstämme auf der Bildfläche, die später auch die moderne Fauna bilden sollten. Seitdem ist wohl nichts wesentlich Neues mehr hinzugekommen, nur eine Unzahl von Variationen über diese alten Themen. Über die Übergänge, und woher diese neuen Baupläne damals plötzlich kamen, wissen wir so gut wie nichts. Alles scheint ziemlich schnell gegangen zu sein, eine Art Urknall des Lebens. Leider gibt es ausgerechnet aus den Phasen der Erdgeschichte, in denen es wirklich spannend war, fast keine Fossilien.«

Er schaute Tobias an. Ihm fehlten ja zehn Jahre der aktuellen wissenschaftlichen Entwicklung in ihrer Zeit. Herzog lächelte und fragte. »Einverstanden, Herr Kollege?«

Tobias nickte. »Da gibt es aber diese berühmten Fossilien aus Kanada, vom Burgess Shale.«

»Na, das ist doch ein alter Hut. Die sind doch schon seit Anfang des Jahrhunderts bekannt.« Herzog wollte ihn provozieren. Die beiden trugen in letzter Zeit oft kleinere Rangeleien aus, auf rein fachlicher Ebene versteht sich.

»Ja, das stimmt schon«, sagte Tobias mit einem triumphierenden Grinsen, »aber man interpretiert sie heute ganz anders als zu deiner Zeit.« Er liebte es, wenn er Herzog mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen verblüffen konnte. Herzog nahm ihm das anscheinend nicht übel. Es machte ihm im Gegenteil Spaß, sich mit Tobias zu streiten oder ihm einfach nur zuzuhören.

»Es gibt unter den Funden vom Burgess Shale einige Tiere, die sich ganz klar den modernen Formen zuordnen lassen, Seeigel, Korallen und Krebse zum Beispiel. Aber es gibt eben auch zahlreiche sehr merkwürdige Kreaturen, für die später keinerlei Entsprechungen mehr existieren. Kurz nach ihrem Entstehen war für sie gleich wieder Endstation. Ein Wissenschaftler hat sie mal >irre Wundertiere< genannt.«

»Irre Wundertiere«, wiederholte Claudia.

»Klingt nicht besonders wissenschaftlich«, warf Micha ein.

»War ein Amerikaner. Die stellen sich damit nicht so an wie die Deutschen. Bei denen hat auch so etwas Platz in der Wissenschaft. Ich glaube, der war einfach total begeistert von diesen neuen Entdeckungen und das wollte er auch weitervermitteln.«

»Und was sind das nun für irre Wundertiere?« fragte Herzog schmunzelnd.

»Die haben auch so tolle Namen, mir fällt jetzt nur noch Wiwaxia und Hallucigenia ein. Er behauptet jedenfalls, daß die Vielfalt an unterschiedlichen tierischen Bauplänen in dieser sehr frühen Phase der Entwicklung wesentlich größer war als zu jedem anderen späteren Zeitpunkt.«

»Na, das ist ja abenteuerlich.« Herzog verzog zweifelnd das Gesicht.

»Wieso? Es war schon im Kambrium alles da. Später hat es sich nur immer weiter spezialisiert und verfeinert, das hast du doch selbst gesagt. Aber es gab eben gleichzeitig noch viel mehr, was nicht überlebt hat, Tiere mit einem Körperbau, wie es ihn später, nach ihrem Verschwinden, nie wieder gegeben hat.«

»Weil die anderen einfach besser waren.«

»Nein, eben nicht.«

»Sondern?«

»Ich kann es dir jetzt nicht mehr im einzelnen erklären, aber ... die überlebenden Arten hatten einfach Glück.«

»Aha! Glück.«

»Ja, der große Meteor fiel nicht ihnen, sondern den anderen auf den Kopf.«

Herzog schmunzelte. »Wirklich sehr überzeugend. Endlich haben wir die Erklärung.«

Tobias sah Micha verzweifelt an. »Sag du doch auch mal was. Wir haben doch schon oft darüber diskutiert.«

»Aber es ging immer nur darum, ob man in einer bestimmten Zeit voraussagen kann, wer aussterben wird und wer nicht. Diese Fossilien kenn ich nicht.« Micha sah ihn eigentlich ganz gerne so zappeln, ganz egal, ob er nun recht hatte oder nicht.

Tobias warf ihm einen bösen Blick zu. »Na, jedenfalls ist nach Meinung dieses amerikanischen Experten die übliche Darstellung der Evolution als Baum, der unten schmal ist und sich nach oben hin immer weiter verzweigt, falsch.«