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»‘n Abend«, sagte er.

Micha erkannte den nächtlichen Besucher, obwohl der jetzt einen Bart trug. Es war der Paläontologe aus Messel, den er damals nach dem Käfer gefragt hatte. Seltsam, dachte er, daß auf dieser Reise andauernd aus dem Nichts Leute auftauchen, mit denen niemand gerechnet hat. Erst Claudia, dann Herzog und jetzt dieser Axt. Was hatte das zu bedeuten?

Eine Weile sagte niemand etwas, selbst Pencil hielt die Klappe. Dann steuerte Axt zielstrebig auf Tobias zu und streckte ihm die Hand hin.

»Sie müssen Tobias sein. Sie glauben gar nicht, wie froh ich bin, Sie zu sehen.«

Tobias sah ihn an, wie man einen Geist ansehen würde, wenn er auf einen zukäme, um einem die Hand zu schütteln. Als er nicht reagierte, zeigte Axt auf Tobias’ Lehmverband. »Was ist mit Ihrem Arm passiert? Gebrochen?«

Tobias starrte ihn finster an und zeigte weiterhin keinerlei Reaktion. Axt drehte sich um und wandte sich Micha zu.

»Und Sie sind Michael. An mich erinnern Sie sich ja vielleicht noch.«

»Hm«, sagte Micha. »Ja, ich erinnere mich.«

Axt nickte freundlich. »Und Sie beide sind eine echte Überraschung für mich, das muß ich sagen.« Er schaute Claudia an, die immer noch neben Micha stand und seinen Arm festhielt.

»Das ist Claudia, meine Freundin«, sagte Micha und ihm fiel gar nicht auf, daß er dieses Wort in Zusammenhang mit ihr zum ersten Mal in den Mund nahm. Er spürte, wie ihre Hände an seinem Arm fester zudrückten.

»Vielleicht können Sie uns mal erklären, was Sie hier zu suchen haben?« fragte Tobias mit scharfer Stimme.

Er und Herzog, der sich immer noch an seiner Machete festhielt, standen jetzt dicht nebeneinander. Passen eigentlich gar nicht schlecht zusammen die beiden, dachte Micha, wie Vater und Sohn. Er konnte sich zuerst nicht recht erklären, warum sie so feindselig auf Axt reagierten, der nun wirklich keine Bedrohung für sie darstellte. Aber dann verstand er, was in ihren Köpfen vorging. Sie brachten ihn mit den Fallen in Verbindung, mit den von Gazehauben verhüllten Baumblüten, die sie im Dschungel entdeckt hatten, mit den Explosionen, die laut Herzog zu dem Erdrutsch geführt und einen ganzen Moorsee verschüttet hatten. Sie dachten, er sei womöglich der große Unbekannte, der hier sein Unwesen trieb.

Natürlich wunderte sich auch Micha darüber, daß dieser Mann plötzlich auftauchte wie eine Geistererscheinung. Er glaubte nicht, daß Axt etwas mit den mysteriösen Vorgängen zu tun hatte, aber genau konnte man so etwas natürlich nie wissen. Wie sah jemand aus, der versuchte vergangenes Leben zu manipulieren? Wie Boris Karloff als Frankensteins Monster? Er schien im übrigen gewußt zu haben, daß sie hier waren, hatte sie mit Namen begrüßt. Wie konnte er das wissen? Vorsicht war sicher angebracht.

Pencil war nach seiner Hysterie und dem darauffolgenden Erschöpfungszustand in die Phase ängstlicher Neugier hinübergewechselt. Vorsichtig beschnüffelte er Stiefel und Rucksack ihres Besuchers, immer auf der Hut, um beim geringsten Anzeichen von Gefahr sofort den Rückzug anzutreten und wieder loszubellen. Der kleine Kerl war ein Phänomen. Micha konnte mittlerweile nachvollziehen, warum Claudia so an ihm hing.

»Ja, also . « Axt wirkte jetzt verlegen und blickte immer wieder verstohlen zu Herzog hinüber, der keine Anstalten machte, sich vorzustellen. »Ich will Ihnen gerne erklären, warum ich hier bin und wie es dazu gekommen ist. Aber wollen wir uns nicht vielleicht setzen?« Verunsichert blickte er von einem zum anderen. »Es ist eine längere Geschichte, wissen Sie. Ich meine, ich kann’s ja selbst kaum glauben.« Er machte eine hilflose Geste, die ihre Gruppe, ihn selbst, den Fluß, die Bäume, überhaupt alles einschließen sollte.

Einen endlos erscheinenden Moment lang geschah nichts. Sie standen bewegungslos um das Feuer, das gespenstische Figuren in die Finsternis malte. Irgendwo rief ein Vogel. Axt wurde immer nervöser. Als er sich von der Stelle rührte, fing Pencil an zu knurren, und obwohl der kleine Dackel nicht besonders bedrohlich wirkte, zuckte ihr Besucher sofort zusammen.

»Bitte, hören Sie mich doch an. Bei uns gehen seltsame Dinge vor.« Seine Stimme hatte einen flehenden Tonfall angenommen, und er sah jetzt erschöpft und müde aus. »Ich bitte Sie«, sagte er noch einmal. Sein gehetzter Blick zeigte, daß ihm ganz und gar nicht wohl war in seiner Haut. »Geben Sie mir doch eine Chance!«

Claudia war die erste, die reagierte. Sie ließ Michas Arm los, hockte sich auf einen der Baumstämme, die neben dem Feuer lagen. Dann folgten Micha und schließlich Herzog.

»Danke«, sagte Axt, und seine Erleichterung klang aufrichtig. Er hockte sich im Schneidersitz auf den Boden, schaute sie reihum an. »Sie haben wirklich nichts von mir zu befürchten, glauben Sie mir!«

»Also, wir hören«, sagte Tobias.

»Tja, wo soll ich anfangen?« Axt rieb sich mit der Hand über das Gesicht. »Es ist eine ziemlich verwirrende Geschichte, wissen Sie.«

Natürlich erzählte er ihnen nichts von dem Skelett, Tobias’ Skelett. Er konnte ihm ja wohl kaum ins Gesicht sagen, daß er ihn gefunden hatte, als fünfzig Millionen Jahre altes Fossil, in Ölschiefer konserviert, daß er in äußerster Lebensgefahr war, solange er sich hier aufhielt. Nein, das war völlig ausgeschlossen. Sie hätten ihm kein Wort geglaubt. Er mußte sich etwas anderes überlegen.

Sein erstes Ziel hatte er jedenfalls erreicht. Noch lebte Tobias. Das war schon mehr, viel mehr, als er bei ehrlicher Einschätzung der Lage erwarten durfte. Immer wieder sah er das Röntgenbild vor sich, das er so oft angestarrt hatte. Welches unbeschreibliche Gefühl, ihm gegenüberzustehen, einem Menschen aus Fleisch und Blut, auch wenn er sich zunächst so abweisend verhielt und seine ausgestreckte Hand ignorierte! Ihm war diese dürre Gestalt nicht gerade sympathisch, aber darum ging es nicht. Der Zahndiamant blinkte hin und wieder im Schein des Lagerfeuers auf. Ohne diesen seltsamen Stein hätte er ihn nie erkannt. Und jetzt stand er tatsächlich vor ihm, von Angesicht zu Angesicht, und er mußte nur noch aufpassen, daß ihm nichts passierte. Vielleicht konnte er sie ja irgendwie überreden, wieder zurückzufahren.

Wer war dieser ältere Mann mit dem krausen Bart? Er verunsicherte Axt. Sein Miene war undurchdringlich, alles andere als freundlich. Er starrte ihn finster an und legte seine Hand immer wieder drohend auf diese furchteinflößende Machete, die er an seinem Gürtel trug. Bisher hatte er noch kein Wort gesagt. Wo kam er her? Wie hatten sie ihn getroffen?

Während dieser schrecklichen Minuten, als niemand etwas sagte, als das Feuer und seine müden Augen die Gesichter der vier für kurze Zeit in diabolische Fratzen verwandelten, als sie ihn schweigend anstarrten wie ein Trupp ausgehungerter Kannibalen, hatte er fieberhaft überlegt, was er sagen sollte, wenn sie ihn denn überhaupt zu Wort kommen ließen, und schließlich war ihm die Geschichte mit Sabines Fledermaus eingefallen. Wie sich bald herausstellte, hatte er damit genau ins Schwarze getroffen. Je mehr er davon erzählte, von den Skeletten in aller Welt, die einfach verschwanden, von dem Käfer, den Sonnenberg ihm geschenkt hatte, die ganze lange Geschichte, die ihm jetzt, wo er sie im Zusammenhang darstellen mußte, erneut eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken jagte, desto mehr erwachte ihr Interesse, desto aufmerksamer wurden ihre zunächst so abweisenden Gesichter, desto freundlicher und besorgter wurde der Ton ihrer Zwischenfragen.

Irgendwann streckte ihm der ältere Mann eine von harter Arbeit gezeichnete Hand entgegen und sagte: »Ich bin übrigens Ernst Herzog.« Dann brummte er: »Tut mir leid, daß ich so unfreundlich war, aber man kommt hier langsam aus der Übung, was menschliche Umgangsformen angeht.«

Axt stutzte. »Moment mal! Ernst Herzog? Sind Sie etwa der Ernst Herzog, der ...«