Laßt Ihn, der es weiß,
dem Untier die Zahl zuordnen;
denn es ist eine menschliche Zahl,
die Zahl lautet: 666
Buch der Offenbarung
Die Personen der Handlung:
Katherine Thorn (Kathy)
Jeremy Thorn (Jerry)
Damien
Chessa
Mr. und Mrs. Horton
Mrs. Baylock
Haber Jennings
Pater Tassone
Pater Spilletto
Schwester Teresa
Dr. Greer
(Techulca)
VORWORT
Es geschah in einer Tausendstelsekunde. Das Aufbäumen in den Galaxien, welches eigentlich Äonen währen müßte, geschah in einem einzigen Wimpernschlag.
Im Observatorium von Cape Hattie griff ein junger Astronom einen Augenblick zu spät nach dem Auslöser der Kamera, die dieses Aufbäumen registriert haben könnte; denn aus Bestandteilen dreier Sternbilder entstand in dieser Millisekunde der dunkle, glühende Stern. Aus Steinbock, Krebs und Löwe lösten sich plötzlich Stücke, die einander mit magnetischer Sicherheit fanden und zu einem pulsierenden galaktischen Funken verschmolzen. Er wurde jetzt heller, und die Sternbilder erbebten – oder waren es die zitternden Hände am Okular, als der Astronom versuchte, einen Aufschrei zu unterdrücken?
Er glaubte, allein dieses Phänomen als einziger beobachtet zu haben, doch das stimmte nicht. Denn aus der Tiefe der Erde drang ein Echo herauf. Es waren Stimmen … Noch nicht menschlich, doch mit dem Größerwerden des Sterns zu einem höllischen, mißklingenden Aufschrei werdend. In Höhlen, Kellern und auf offenen Feldern versammelten sie sich: einige Zwanzigtausend satanische Geburtshelferinnen. Sie neigten die Köpfe und hielten sich an den Händen, während ihre Stimmen lauter und lauter wurden, bis die Erschütterung jeden erreichte. Es war das Signal der Hölle, das zu den Himmeln aufstieg und hinabdrang in die letzten Tiefen der Erde. Es geschah im sechsten Monat, am sechsten Tag, in der sechsten Stunde. Daß die Weltgeschichte sich ändern würde, war im Alten Testament prophezeit worden. Die Kriege und die Wirren der letzten Jahrhunderte waren nichts anderes als Anläufe gewesen, Versuche, herauszufinden, wann die Menschheit bereit sein würde, sich der satanischen Führung anzuvertrauen. In den Zeiten Cäsars hatten sie gejubelt, wenn man die Christen den Löwen vorwarf, und in den Zeiten Hitlers hatte man die Juden vergast. Nun waren es Drogen, mit denen die Demokratien ausgelöscht werden sollten, und in den nichtdemokratischen Ländern, in denen die Freiheit des Gebetes gerade noch gestattet wurde, hieß es bereits, Gott sei tot. Von Laos bis zum Libanon kehrten sich Bruder gegen Bruder, die Väter gegen die Söhne. Von Tag zu Tag äußerte sich der Terror schrecklicher. Schulbusse flogen in die Luft, Bomben explodierten bald hier, bald dort. Flughäfen wurden zerstört.
Wer die Bibel las, hatte schon lange erkannt, daß man die biblischen Symbole anders deuten mußte. In Form der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft war das alte Römische Reich wiedererstanden, und mit der Errichtung des Staates Israel waren die Juden in das versprochene Land zurückgekehrt. Dies, zusammen mit der weltweiten Ernährungskrise und den Auflösungserscheinungen der internationalen Wirtschaftsstruktur, war mehr als ein bloßer Zufall. Es war ein gewolltes Zusammentreffen der Ereignisse, denn in der Offenbarung war es prophezeit worden.
Der Stern am Himmel erglänzte nun heller. Der Gesang der Auserwählten wurde lauter, und der steinerne Mittelpunkt des Planeten erzitterte. In den Ruinen der alten Stadt Meggido spürte es der alte Mann Bugenhagen, und er weinte. Seine Schriftrollen und Aufzeichnungen waren nun wertlos geworden. Über ihm, in der einsamen Wüste, ließen die Archäologen die Geräte sinken. Schweigen verbreitete sich, als die Erde unter ihnen zu erzittern begann. Auf seinem Platz in der Ersten Klasse seines Flugzeugs, mit dem Jeremy Thorn von Washington nach Rom flog, spürte er es ebenfalls, und instinktiv befestigte er seinen Sitzgurt, während er sich fragte, was jetzt tief dort unten vor sich gehen mochte. Selbst wenn er den Grund dieses plötzlichen Aufruhrs gekannt hätte, wäre es für ihn bereits zu spät gewesen. Denn in diesem Augenblick zerschmetterte im Keller des Ospedale Generale zu Rom ein Stein den Körper seines neugeborenen Kindes.
1
In jeder Sekunde, ob Tag oder Nacht, befinden sich weit über 100 000 Menschen in Flugzeugen hoch über der Erde …
Thorn ließ das Skyline-Magazin, in dem er gelesen hatte, sinken. Statistiken faszinierten ihn, und er begann sofort die menschliche Bevölkerung in diejenige auf der Erde und jene in der Luft einzuteilen. Normalerweise hätte er über andere Dinge nachgegrübelt, aber er griff nach jedem Strohhalm, um nicht an die Dinge denken zu müssen, die ihn erwarteten. Was die Statistik besagte, war: Falls die erdgebundene Bevölkerung mit einem Schlag ausgelöscht würde, gab es hoch über ihnen immer noch über 100 000 Menschen, die ihre Martinis tranken oder sich irgendeinen Film im Bordkino ansahen, ohne zu ahnen, daß auch sie ohne ein Flugticket verloren gewesen wären.
Das große Flugzeug raste durch die Wolken auf den Himmel über Rom zu. Thorn stellte sich die Frage, wie viele dieser Menschen, die sich jetzt in der Luft befanden, Männer, und wie viele davon Frauen waren, und ob sie, falls sie einen sicheren Landeplatz finden konnten, imstande wären, die menschliche Gesellschaft in der alten Form wieder aufzubauen, aus der sie kamen. Wahrscheinlich waren die meisten männlichen Geschlechts und stammten aus mittleren, vielleicht gehobenen kaufmännischen oder Wirtschaftsberufen, oder sie arbeiteten sonstwie ausschließlich mit dem Kopf – kurzum, dies würde bedeuten, daß sie Fähigkeiten besaßen, die relativ nutzlos waren, wenn sie auf eine Erde zurückkehrten, die vorderhand Handwerker und Techniker brauchte. Wohin mit einem Manager, wo es nichts mehr zu managen gab? Was sollte ein Bilanzbuchhalter tun, wenn er keine Bilanzen erstellen konnte? Vielleicht wäre es gar nicht so abwegig, ständig ein paar Flugzeugladungen mit Konstrukteuren und Arbeitern droben am irdischen Himmel kreisen zu lassen, um genügend Muskelkraft vorrätig zu haben, wenn ein neuer Anfang gemacht werden mußte. Nur das Land mit den besten Arbeitern würde eine totale Katastrophe überleben.
Jeremy Thorn spürte das Vibrieren der Maschine unter seinen Füßen, als er seine Zigarette ausdrückte und durchs Fenster hinab auf die Lichter starrte, die schwach zu sehen waren. In den letzten Monaten war er so häufig geflogen, daß dieses Bild zu einem vertrauten Anblick geworden war. Heute allerdings konnte er die Sorge nicht abschütteln, wenn er daran dachte, welche Möglichkeiten es gab. Er hatte das Telegramm in Washington nach zwölf Stunden erhalten, und das, was in der Zwischenzeit geschehen war, war endgültig vorbei. Vielleicht fand er eine strahlende Katherine im Hospitalbett vor, wenn sie gerade ihr neugeborenes Baby stillte – oder aber eine Katherine voll hoffnungsloser Verzweiflung, weil sie es wieder einmal verloren hatte. Aber diesmal war es nicht wie bei den früheren Schwangerschaften gewesen, die nach ein paar Monaten geendet hatten. Diesmal hatte sie acht Monate lang durchgehalten. Und wenn jetzt irgend etwas schiefging, dann – er wußte es bestimmt –, dann war Katherine verloren.
Seit ihrer frühen Kindheit waren sie immer zusammengewesen. Es verband sie sozusagen eine unzertrennliche Jugendliebe. Doch plötzlich – Katherine war gerade siebzehn geworden – zeigte sich bei ihr eine ungewöhnliche Labilität. Katherine war unstet, sie machte den Eindruck, als sei sie ununterbrochen auf der Flucht – und dazu diese Angst in ihrem Blick, als wolle sie jeden anflehen: »Bitte hilf mir, bitte beschütz mich …«